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»Wir?«, sagte ich und sah Jamie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er zuckte mit den Schultern und blätterte um.

»Der Stein ist verschwunden. Nur eine Rußspur in meiner Tasche. Also hatte Raymond Recht. Es war ein kleiner, ungeschliffener Saphir. Ich muss daran denken, alles zu Papier zu bringen, um der anderen willen, die vielleicht nach mir kommen

Ein kleiner, kalter Schauer der Vorahnung überlief meinen Rücken und ließ meine Kopfhaut kribbeln, als sich meine Haare zu Berge stellten. Andere, die vielleicht nach mir kommen. Ohne es zu wollen, streckte ich die Hand aus und berührte das Buch; ein unwiderstehlicher Impuls. Ich musste ihn irgendwie berühren, einen Kontakt mit dem verschwundenen Verfasser dieser Worte herstellen.

Jamie warf mir einen seltsamen Blick zu. Mühsam zog ich meine Hand zurück und ballte meine Finger zu einer Faust. Er zögerte einen Moment, richtete seinen Blick dann aber wieder auf das Buch, als zöge die ordentliche, schwarze Handschrift ihn genauso in seinen Bann wie mich.

Ich wusste jetzt, was mir an dieser Schrift aufgefallen war. Sie war nicht mit einem Federkiel hergestellt worden. Selbst die meisterhafteste Federschrift war unregelmäßig eingefärbt, dunkel, wo der Federkiel frisch eingetaucht war, um dann im Lauf der Zeile allmählich zu verblassen. Hier sahen alle Wörter gleich aus – in einer dünnen, festen Linie aus schwarzer Tinte geschrieben, die einen leichten Abdruck in den Fasern des Papiers hinterließ. So etwas vermochte keine Feder.

»Kugelschreiber«, sagte ich. »Er hat es mit Kugelschreiber geschrieben. Mein Gott.«

Jamie musterte mich erneut. Ich muss bleich ausgesehen haben, denn er machte eine Bewegung, als wollte er das Buch schließen, aber ich schüttelte den Kopf und wies ihn mit einer Handbewegung an, weiterzulesen. Er runzelte skeptisch die Stirn, richtete jedoch den Blick wieder auf die Seite, während er mich aus dem Augenwinkel betrachtete. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf das Buch, und seine Augenbrauen hoben sich, als er die Worte auf der nächsten Seite las.

»Sieh dir das an«, sagte er leise und hielt mir das Buch hin, während er auf eine Zeile deutete. Sie war in Latein verfasst wie die anderen, doch es waren unvertraute Wörter unter den Text gemischt – lange, seltsam aussehende Wörter.

»Mohawk?«, sagte Jamie. Er blickte auf und sah Ian ins Gesicht. »Das ist doch bestimmt ein Wort aus einer Indianersprache. Eine der Algonquinsprachen, oder?«

»Regnet Stark«, sagte Ian leise. »Es ist Kahnyen’kehaka – die Mohawksprache, Onkel Jamie. Regnet-Stark ist ein Name. Und die anderen Wörter dort auch – Kraftvoller-Wanderer, Sechs-Schildkröten und Der-mit-den-Geistern-spricht.«

»Ich dachte, die Mohawk hätten keine Schriftsprache«, sagte Jamie und zog eine seiner roten Augenbrauen hoch. Ian schüttelte den Kopf.

»Das haben sie auch nicht, Onkel Jamie. Aber irgendjemand hat das hier geschrieben –« Er wies auf die Seite. »Und wenn man den Klang der Worte herausbekommt …« Er zuckte mit den Achseln. »Es sind Mohawknamen, da bin ich mir sicher.«

Jamie sah ihn einige Sekunden an, dann senkte er kommentarlos den Kopf und fuhr mit seiner Übersetzung fort.

Ich hatte einen der Saphire, Regnet-Stark den anderen. Der-mit-den-Geistern-spricht hatte einen Rubin, Kraftvoller-Wanderer hat den Diamanten genommen, und Sechs-Schildkröten hatte den Smaragd. Wir waren uns nicht sicher, wie das Diagramm aussehen sollte – ob es vier Ecken haben sollte, für die Himmelsrichtungen, oder fünf, ein Pentagramm. Aber wir waren fünf, die sich bei ihrem Blut verschworen hatten, also haben wir den Kreis mit fünf Punkten ausgelegt.

Zwischen diesem und dem nächsten Satz war eine kleine Lücke, und die Schrift veränderte sich. Sie wurde jetzt sicher und regelmäßig, als hätte der Verfasser eine Pause eingelegt, um zu einem späteren Zeitpunkt mit seiner Geschichte fortzufahren.

Ich bin zurückgegangen, um nachzusehen. Von dem Kreis ist keine Spur zu sehen – aber ich wüsste schließlich auch keinen Grund, warum das so sein sollte. Ich muss wohl eine Zeit lang bewusstlos gewesen sein; wir haben den Kreis knapp innerhalb der Öffnung einer Höhle ausgelegt, doch auf der Erde sind keine Spuren zu sehen, die anzeigen würden, wie ich zu der Stelle gekrochen oder gerollt bin, an der ich aufgewacht bin, und doch sehe ich Spuren im Staub, die vom Regen stammen. Meine Kleider sind feucht, aber ich kann nicht sagen, ob das vom Regen, vom Morgentau oder vom Schweiß kommt, weil ich in der Sonne gelegen habe; es war fast Mittag, als ich aufgewacht bin, denn die Sonne stand genau über mir, und es war heiß. Ich habe Durst. Bin ich von der Höhle weggekrochen und dann zusammengebrochen? Oder bin ich durch die Gewalt des Übergangs ein Stück weit geschleudert worden?

Als ich das hörte, hatte ich das ausgesprochen merkwürdige Gefühl, dass die Worte irgendwo in meinem Kopf als Echo widerhallten. Nicht, dass ich sie schon einmal gehört hatte, und doch kamen mir die Worte furchtbar bekannt vor. Ich schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, und als ich aufblickte, waren Ians Augen auf mich gerichtet, sanftbraun und voller Spekulation.

»Ja«, sagte ich unverblümt als Antwort auf seinen Blick. »Ich auch. Und Brianna und Roger.« Jamie, der innegehalten hatte, um eine Formulierung auszutüfteln, blickte auf. Er sah Ians Gesicht und das meine und streckte die Hand aus, um sie auf die meine zu legen.

»Wie viel hast du lesen können, Junge?«, fragte er leise.

»Eine ganze Menge, Onkel Jamie«, antwortete Ian, ohne den Blick von meinem Gesicht abzuwenden. »Nicht alles –«, ein kurzes Lächeln berührte seine Lippen, »und ich habe bestimmt Grammatikfehler gemacht – aber ich glaube, ich verstehe es. Und du?«

Es war nicht klar, ob diese Frage an mich oder Jamie gerichtet war; wir zögerten beide, wechselten einen Blick – dann wandte ich mich wieder Ian zu und nickte, und Jamie tat dasselbe. Jamies Hand schloss sich fester um die meine.

»Mmpfm«, sagte Ian, und eine Miene tiefster Genugtuung erhellte sein Gesicht. »Ich wusste doch, dass du keine Fee bist, Tante Claire.«

Ian, der nicht mehr viel länger hatte wach bleiben können, hatte sich schließlich gähnend zurückgezogen, obwohl er auf dem Weg ins Bett einen Halt einlegte, um Rollo im Nacken zu packen und ihn stillzuhalten, während ich Adso, der sich auf das Doppelte seiner normalen Größe aufgeplustert hatte und wie eine Schlange zischte, aus dem Schrank holte. Ich hatte den Kater ebenfalls am Nacken gepackt, um zu verhindern, dass er zerfleischt wurde, und ihn oben in unserem Schlafzimmer in Sicherheit gebracht, wo ich ihn ohne Umschweife auf dem Bett absetzte, um mich dann sofort an Jamie zu wenden.

»Was ist als Nächstes passiert?«, sagte ich.

Er war schon dabei, eine frische Kerze anzuzünden. Während er mit einer Hand sein Hemd öffnete und mit der anderen das Buch aufblätterte, ließ er sich auf das Bett sinken, nach wie vor in die Lektüre vertieft.

»Er konnte keinen seiner Freunde finden. Er hat zwei Tage lang die nähere Umgebung abgesucht und nach ihnen gerufen, aber keine Spur von ihnen gefunden. Er war sehr bestürzt, war aber schließlich der Meinung, dass er weiterziehen müsse; er brauchte etwas zu essen und hatte nichts als ein Messer und etwas Salz dabei. Er musste jagen oder Menschen finden.«

Ian hatte gesagt, Tewaktenyonh habe ihm das Buch gegeben und ihm aufgetragen, es mir zu bringen. Es hatte einem Mann namens Otterzahn gehört, hatte sie gesagt – einem Mitglied meiner Familie.

Ein eisiger Finger hatte sich bei diesen Worten auf meinen Rücken gelegt – und war nicht mehr von dort gewichen. Leise Schauer der Beklommenheit kribbelten wie Geisterfinger über meine Haut. Meine Familie, in der Tat.

Ich hatte ihr gesagt, dass Otterzahn vielleicht zu »meiner Familie« gehörte, weil ich die besondere Verwandtschaft der Zeitreisenden nicht anders beschreiben konnte. Ich war Otterzahn nie begegnet – zumindest nicht persönlich –, doch wenn er der war, für den ich ihn hielt, dann gehörte ihm der Kopf, der auf unserem kleinen Friedhof begraben war – der Kopf mit den Silberplomben.