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Doch hier lag es nun, klein, aber schwarz und stabil auf Jamies Schreibtisch. Er und Ian hatten den Morgen in die Übersetzung vertieft im Studierzimmer verbracht; als ich zu ihnen trat, konnte ich an der Art, wie Jamies Haar abstand, erkennen, dass er den Bericht des Tagebuches entweder zutiefst faszinierend oder furchtbar verstörend gefunden hatte – oder möglicherweise beides.

»Ich habe ihnen gesagt, was es ist«, sagte er ohne Umschweife und deutete auf Roger und Brianna. Die beiden saßen mit ernsten Gesichtern dicht nebeneinander auf Hockern. Jemmy, der sich geweigert hatte, von seiner Mutter getrennt zu werden, spielte unter dem Tisch mit seinen Holzbauklötzen.

»Habt ihr es ganz gelesen?«, fragte ich und sank auf den verbleibenden Stuhl.

Jamie nickte mit einem Blick auf Ian, der am Fenster stand, weil er zu unruhig zum Sitzen war. Sein Haar war kurz geschnitten, aber fast genauso verwüstet wie Jamies.

»Aye, das haben wir. Ich habe nicht vor, es komplett vorzulesen, sondern ich dachte, ich fange am besten mit der Stelle an, an der er beschließt, es alles von Anfang an niederzuschreiben.«

Er hatte die Stelle mit dem gegerbten Lederstück markiert, das ihm als Lesezeichen diente. Er schlug das Tagebuch auf, fand seine Stelle und begann zu lesen.

Der Name, den man mir bei meiner Geburt gegeben hat, ist Robert Springer. Ich weise diesen Namen und alles, was mit ihm einhergeht, zurück, denn er ist die bittere Frucht von Jahrhunderten voller Mord und Ungerechtigkeit, ein Symbol für Diebstahl, Sklaverei und Unterdrückung 

Jamie blickte über den Buchrand hinweg und bemerkte: »Ihr seht, warum ich nicht jedes Wort lesen will; der Mann hat wirklich eine ermüdende Art.« Er fuhr mit dem Finger über die Seite und las weiter.

»Im Jahr unseres Herrn – ihres Herrn, jenes Christus, in dessen Namen sie vergewaltigen und plündern und – nun, es geht in diesem Stil weiter, aber dann kommt er zur Sache, und es ist das Jahr neunzehnhundertachtundsechzig. Ich gehe also davon aus, dass ihr wisst, von welchen Morden und Plünderungen er redet?« Er betrachtete Brianna und Roger mit hochgezogenen Augenbrauen.

Brianna setzte sich abrupt auf und klammerte sich an Rogers Arm.

»Ich kenne diesen Namen«, sagte sie, und es klang atemlos. »Robert Springer. Ich kenne ihn.«

»Du hast ihn gekannt?«, fragte ich und spürte, wie mich ein Strom durchlief – Aufregung, Angst, vielleicht auch nur Neugier.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, ihn habe ich nicht gekannt, aber ich kenne den Namen – ich habe ihn in der Zeitung gesehen. Du nicht –?« Sie wandte sich Roger zu, doch er schüttelte stirnrunzelnd den Kopf.

»Nun, wahrscheinlich haben sie es ja in Großbritannien nicht berichtet, aber in Boston hat es für großes Aufsehen gesorgt. Ich glaube, Robert Springer war einer von den Fünf von Montauk.«

Jamie zog die Nase kraus.

»Was für Fünf?«

»Es war nur etwas – etwas, was ein paar Leute getan haben, um auf sich aufmerksam zu machen«, winkte Brianna ab. »Es ist nicht wichtig. Sie waren Aktivisten in der Indianerbewegung, oder zumindest haben sie da angefangen, aber dann waren sie selbst der Bewegung zu verrückt, und so –«

Angesichts der verwirrten Mienen ihres Vaters und ihres Vetters holte sie tief Luft und begann am Anfang. Sie versuchte – mit gelegentlichen Erläuterungen aus Rogers oder meinem Munde –, die Situation zu erläutern und einen kurzen, wenn auch konfusen Bericht von der traurigen Lage der amerikanischen Indianer im zwanzigsten Jahrhundert abzugeben.

»Also ist – oder war – dieser Robert Springer in eurer eigenen Zeit so etwas wie ein Indianer.« Jamie klopfte mit den Fingern einen kurzen Trommelwirbel auf den Tisch und runzelte konzentriert die Stirn. »Nun, das stimmt mit seinem eigenen Bericht überein; er und seine Freunde haben sich anscheinend heftig über das Verhalten der von ihnen so genannten ›Weißen‹ ereifert. Ich nehme an, damit meint er Engländer? Oder zumindest Europäer?«

»Nun, ja – nur dass sie neunzehnhundertachtundsechzig natürlich keine Europäer mehr waren, sie waren Amerikaner; nur, dass die Indianer zuerst Amerikaner waren – und deshalb haben sie damals angefangen, sich Native Americans zu nennen, und –«

Roger tätschelte ihr das Knie und bremste ihren Redefluss.

»Vielleicht können wir uns die Geschichtsstunde für später aufheben«, schlug er vor. »Was war es denn, was du über Robert Springer in der Zeitung gelesen hast?«

»Oh.« Aus dem Konzept gebracht, runzelte sie die Stirn, um sich zu konzentrieren. »Er ist verschwunden. Sie sind verschwunden – die Fünf von Montauk, meine ich. Sie wurden alle von der Regierung gesucht, weil sie irgendetwas in die Luft gejagt hatten oder damit drohten, ich weiß es nicht mehr genau – und man hat sie festgenommen, aber dann sind sie gegen Kaution freigekommen, und hoppla – waren sie verschwunden.«

»Offensichtlich«, murmelte Ian mit einem Blick auf das Tagebuch.

»Es war bestimmt eine Woche lang ein großes Thema in den Zeitungen«, fuhr Brianna fort. »Die anderen Aktivistengruppen haben die Regierung beschuldigt, sie beseitigt zu haben, um nicht durch die Dinge in Verlegenheit gebracht zu werden, die eventuell bei dem Verfahren ans Licht kommen würden. Also wurde eine große Suchaktion veranstaltet, und ich meine, ich hätte gelesen, dass sie einen der Vermissten tot gefunden haben – irgendwo im Wald in New Hampshire oder Vermont oder so –, aber sie konnten nicht sagen, wie er gestorben ist. Und niemand hat eine Spur von den anderen gefunden.«

»Wo sind sie?«, zitierte ich leise, und meine Nackenhaare kribbelten. »Mein Gott, wo sind sie

Jamie nickte nüchtern.

»Aye, nun gut; ich denke, dieser Springer könnte der Mann sein.« Er berührte die Seite, die er vor sich hatte, beinahe respektvoll.

»Er und seine vier Begleiter haben jede Verbindung zur weißen Welt abgebrochen und sich neue Namen gegeben, die ihrem wirklichen Erbe entstammten – sagt er.«

»Das ist ja dann auch das einzig Richtige«, sagte Ian leise. Eine neue, seltsame Stille haftete ihm an, und ich musste daran denken, dass er während der letzten beiden Jahre ein Mohawk gewesen war – von seinem weißen Blut rein gewaschen, Wolfsbruder getauft –, einer der Kahnyen’kehaka, der Wächter des Westtores.

Ich hatte das Gefühl, dass auch Jamie diese Stille bewusst war, doch er hielt seinen Blick auf das Tagebuch gerichtet, dessen Seiten er behutsam umblätterte, während er ihren Inhalt zusammenfasste.

Robert Springer – oder Ta’wineonawira, oder »Otterzahn«, wie er sich fortan nannte – hatte diverse Verbindungen zur Schattenwelt politischer Extremisten und den noch tieferen Schatten unterhalten, die er als Schamanismus der Ureinwohner bezeichnete. Ich hatte keine Ahnung, wie groß die Ähnlichkeit zwischen seinem Tun und den ursprünglichen Bräuchen der Irokesen war, doch Otterzahn glaubte, dass er von den Mohawk abstammte und machte sich jeden Fetzen von Tradition zu eigen, den er finden – oder erfinden – konnte.

Es war bei einer Namensgebungszeremonie, dass ich Raymond zum ersten Mal begegnet bin.

Bei diesen Worten setzte ich mich abrupt auf. Er hatte Raymond bereits zu Anfang erwähnt, doch da war mir der Name noch nicht besonders aufgefallen.

»Beschreibt er diesen Raymond?«, fragte ich drängend.

Jamie schüttelte den Kopf.

»Nicht, was sein Äußeres betrifft, nein. Er sagt nur, dass Raymond ein großer Schamane war, der sich in Vögel oder Tiere verwandeln konnte – und der durch die Zeit wandeln konnte«, fügte er vorsichtig hinzu. Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.