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Für Rees war ein fliegender Baum schon Wunder genug gewesen. Nun sah er, daß sich über dem Floß ein gewaltiger Wald befand. Jedes Verbindungskabel hing senkrecht und war ziemlich straff gespannt, und Rees konnte fast die Anstrengung der vertäuten Bäume fühlen, mit der sie sich gegen die Anziehungskraft des Kerns wehrten. Das Licht des Nebels wurde durch die rotierenden Baumreihen gefiltert, so daß das Deck des Floßes in ein beruhigendes Dämmerlicht getaucht war. Die um den Wald herumtanzenden Schwärme von Skitters milderten die Farbe des Lichts zu einem Pastellrosa.

Rees’ Baum stieg auf, bis er die Wipfel des Waldes erreicht hatte. Das Floß verwandelte sich von einer Landschaft zurück zu einer Insel in der Luft, die von einem Baldachin hin- und herwogenden Laubs gekrönt wurde. Der Himmel über Rees schien dunkler zu sein als gewöhnlich, so daß er das Gefühl hatte, ganz am Rande des Nebels zu stehen und auf die den Kern umgebenden Nebelschleier herabzuschauen; und in diesem ganzen Universum aus Luft war das Floß das einzige Zeichen menschlichen Lebens, ein hoch in der Luft hängendes Stück Metall.

Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Rees fuhr herum. Über ihm stand Pallis, dessen Gesicht genauso finster war wie die Rauchwand hinter ihm. »Was ist los?« brummte er. »Noch nie ein paar tausend Bäume gesehen?«

Rees fühlte, wie er rot wurde. »Ich…«

Aber Pallis grinste durch seine Narben hindurch. »Hör zu, ich versteh’ dich ja. Die meisten Leute halten das alles für selbstverständlich. Aber jedes Mal, wenn ich es von außen betrachte, gibt es mir eine Art Stich.« Hunderte von Fragen schwirrten in Rees Kopf herum. Wie mochte es sein, auf der Oberfläche des Floßes spazierenzugehen? Was war es wohl für ein Gefühl gewesen, das Floß zu bauen, in der Leere über dem Kern hängend?

Aber jetzt war nicht die Zeit für solche Überlegungen; es gab Arbeit. Er stand auf und krallte seine Zehen in das Laub wie ein richtiger Waldläufer.

»Also, Bergmann«, sagte Pallis, »wir haben einen Baum zu fliegen. Wir müssen in diesen Wald zurückkehren. Laß uns Feuer in den Kesseln machen; ich möchte da oben eine Kuppel haben, die so dicht ist, daß ich darauf Spazierengehen könnte. Alles klar?«

Endlich schien Pallis mit der Position des Baumes über dem Floß zufrieden zu sein. »Okay, Jungs. Los!«

Gover und Rees rannten zwischen den Feuerkesseln hin und her und schaufelten mit den Händen dampfendes Holz in die Flammen. Rauch stieg zu dem Blätterdach über ihnen auf. Gover hustete und fluchte beim Arbeiten; Rees spürte, daß seine Augen tränten und der rußige Rauch seine Kehle reizte.

Beinahe wäre Rees vom Baum gefallen, als dieser mit einer ruckartigen Bewegung die Rauchdecke über sich abschüttelte. Rees beobachtete den Himmeclass="underline" Die fallenden Sterne zogen merklich langsamer an ihnen vorbei als vorher; er schätzte, daß der Baum bei seinem Versuch, der Dunkelheit des Rauchs zu entkommen, seine Rotationsgeschwindigkeit um ein gutes Drittel verringert hatte.

Pallis rannte zum Stamm, um ein Stück Kabel abzuwickeln. Er brach mit Nacken und Schultern durch die Blätter und begann mit seiner Arbeit; Rees sah, wie geschickt er mit dem Kabel zurechtkam, ohne daß es sich in anderen Bäumen verfing.

Schließlich glitt der Baum durch die äußere Schicht des Waldes. Rees blickte auf die Bäume, an denen sie vorbeikamen; sie alle drehten sich langsam und wehrten sich gravitätisch gegen ihre Fesselung; hier und da machte er Männer und Frauen aus, die durchs Laub krochen; sie winkten Pallis zu und riefen ihm aus der Ferne etwas zu.

Als der Baum die Dunkelheit des Waldes erreichte, fühlte Rees die Unsicherheit des Baumes. Während dieser Baum versuchte, die über ihm spielenden unregelmäßigen Lichtkegel einzuschätzen, bewegten sich seine Blätter ungerichtet. Schließlich kam der Baum langsam zu einer definitiven Entscheidung, und seine Drehung wurde schneller; mit einem leichten Rucken bewegte er sich einige Meter nach oben…

…und kam abrupt zum Stillstand. Das an seinem Stamm befestigte Kabel war jetzt straff gespannt; es zitterte und bog sich in der Luft, als es an dem Baum zerrte. Rees verfolgte den Verlauf des Kabels; wie er erwartet hatte, hatte sein anderes Ende das Deck des Floßes erreicht, und zwei Männer befestigten es an einer der hüfthohen Pyramiden.

Er kniete nieder und berührte das vertraute Holz. Der Saft strömte durch den regelmäßig geformten Ast, daß dessen Oberfläche erschauerte wie Haut; Rees konnte die Erregung des Baumes fühlen, als er sich aus der Falle zu befreien versuchte, und verspürte eine merkwürdige Sympathie in sich.

Pallis überprüfte das Kabel ein letztes Mal und umkreiste dann entschlossenen Schrittes die hölzerne Plattform, um nachzusehen, ob alle Feuerkessel gelöscht waren. Schließlich kehrte er zum Stamm zurück und zog aus einer Mulde im Holz einen Stapel Papier. Er bückte sich, schlüpfte mit einem leisen Rascheln durch das Laub — um dann den Kopf zu drehen und ihn wieder aus den Blättern herauszustrecken. Er sah sich um, bis er Rees erblickte. »Willst du nicht mitkommen, Junge? Weißt du, hier lohnt es sich nicht zu bleiben. Dieses alte Schätzchen hat für ein paar Schichten Pause. Also komm; halt Gover nicht vom Essen ab.«

Zögernd bewegte sich Rees auf den Stamm zu. Pallis ließ sich zuerst hinunterfallen. Als er verschwunden war, zischte Gover Rees zu: »Du bist ziemlich weit von zu Hause weg, Minenratte. Vergiß nicht — nichts von dem alledem hier gehört dir. Gar nichts.« Damit schlüpfte der Assistent durch die Blätterwand. Rees folgte ihm mit klopfendem Herzen.

Wie drei Wassertropfen glitten sie an ihrem Kabel durch die wohlriechende Dunkelheit des Waldes hinunter.

Rees arbeitete sich Hand um Hand an dem dünnen Kabel nach unten. Zunächst war es einfach, aber nach und nach begann ein diffuses Schwerkraftfeld an seinen Füßen zu ziehen. Pallis und Gover warteten am unteren Ende des Kabels auf ihn und sahen zu ihm herauf; er schwang sich die letzten paar Meter hinab, wobei er versuchte, den Flanken der Ankerpyramide auszuweichen, und landete sanft auf dem Deck.

Ein Mann mit einem verbeulten Notizblockhalter kam auf sie zu. Der Mann war groß, und sein schwarzes Haar und sein Bart verbargen kaum ein Gewirr von Narben, die noch ausgeprägter waren als die von Pallis. Schöne schwarze Schulterstücke prangten an seiner Kombination. Er blickte Rees finster an; der Junge erschrak vor der Intensität des Blicks, mit dem der er ihn musterte. »Willkommen daheim, Pallis«, sagte der Mann mit grimmiger Stimme. »Obwohl ich sogar von hier aus sehen kann, daß du die Hälfte der Ladung wieder mit zurückgebracht hast.«

»Nicht ganz, Decker«, sagte Pallis gelassen und reichte ihm seinen Papierstapel. Die beiden Männer steckten die Köpfe zusammen und gingen Pallis’ Listen durch. Gover schlurfte ungeduldig über das Deck und rieb sich mit dem Handrücken die Nase.

Und Rees sah sich mit großen Augen um.

Das Deck, auf dem er stand, erstreckte sich unter einem Netz von Kabeln über eine Entfernung, die er kaum überblicken konnte. Er sah Gebäude und Menschen, die geschäftig umherwuselten; ihm wurde geradezu schwindelig von all den verschiedenen Eindrücken, und beinahe wünschte er sich zurück in die beruhigende Begrenztheit des Gürtels.

Er schüttelte den Kopf, wie um sich von einem Schwindel zu befreien. Dann konzentrierte er sich auf die nächstliegenden Dinge: auf den leichten Zug der Schwerkraft, auf die glänzende Oberfläche unter seinen Füßen. Versuchsweise trat er mit dem Fuß auf das Deck. Es gab ein leises, klingelndes Geräusch von sich.

»Kein Grund zur Beunruhigung«, brummte Pallis. Der große Baum-Pilot hatte seine geschäftlichen Verhandlungen beendet und stand nun vor ihm. »Die Platte ist durchschnittlich nur einen Millimeter dick. Sie wird aber abgestützt, damit sie nicht einbricht.«

Rees krümmte die Füße und sprang ein paar Zentimeter in die Luft; als er sanft wieder auf dem Boden landete, fühlte er den Zug der Schwerkraft. »Das fühlt sich an wie ein halbes Gravo.«