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Es schien so, als ob er keine Wahl hätte. Rees hob die Arme und versuchte sich mental auf den Kampf einzustimmen. Früher hätte er Gover sogar mit einem auf den Rücken gebundenen Arm besiegen können. Aber jetzt, nach so vielen Schichten bei den Boneys und auf dem Wal, war er sich nicht mehr sicher…

In dem Maße, wie Gover Rees’ Selbstzweifel zu spüren schien, verflog seine eigene Angst, und seine Körperhaltung straffte sich unmerklich, wurde aggressiver. »Komm schon, Minenratte!« Er ging auf Rees zu.

Rees stöhnte innerlich. Für so etwas hatte er eigentlich keine Zeit. Mach schon, denk nach; hatte er auf seiner Reise denn gar nichts gelernt? Wie würde sich ein Boney jetzt verhalten? Er erinnerte sich an die Speere, die sie mit tödlicher Präzision durch die Luft auf die Wale geschleudert hatten…

»Paß auf, Gover«, schrie jemand. »Er hat eine Waffe.«

Rees hielt noch immer die beschädigte Flasche in der Hand… und eine Idee keimte in ihm auf. »Was, damit? Gut, Gover — nur mit den Händen. Nur du und ich.« Er schloß die Augen und spürte, wie das Gravitationssensorium in seinem Magen auf den Sog des Floßes und der Plattform ansprach — und dann schleuderte er das Glas, so weit er konnte; nicht ganz senkrecht. Funkelnd glitt es durch die sternenerleuchtete Luft.

Gover fletschte die Zähne. Sie waren gleichmäßig und braun.

Rees trat vor. Der Zeitablauf schien sich zu verlangsamen, und die Welt um ihn herum fror ein; die einzige Bewegung war das Blinken des Glases in der Luft über ihm. Alles wurde hell und lebendig, als ob es von einer starken Lampe in seinen Augen angestrahlt würde. Die schiere Detailfülle überwältigte ihn: er zählte die Schweißperlen auf Govers Stirn und sah, wie die Nasenflügel des Wissenschaftler-Anwärters beim Atmen weiß zitterten. Rees’ Kehle schnürte sich zusammen, und er fühlte das Blut im Hals pulsieren; und die ganze Zeit driftete die zerstörte Flasche, klein und majestätisch, in einem perfekten Orbit durch das komplexe Schwerefeld…

Bis sie schließlich wieder Kurs auf das Deck nahm — und gegen Govers Rücken knallte.

Aufheulend ging Gover zu Boden. Einige Sekunden lang krümmte er sich auf dem Deck, und sein Blut ergoß sich ringsum über das Metall. Schließlich lag er reglos da.

Für lange Augenblicke bewegte sich niemand. Decker, Pallis und die anderen starrten schockiert auf den Toten.

Rees kniete sich hin. Govers Rücken hatte sich in eine Masse aus Blut und zerfetzter Kleidung verwandelt. Rees grub seine Hände in die Wunde und pulte den Glassplitter heraus; dann richtete er sich auf und hielt die grausige Trophäe hoch. Govers Blut tröpfelte an seinem Arm entlang.

Decker kratzte sich am Kopf. »Bei den Boneys…« Er lachte unterdrückt.

Rees spürte einen kalten, geballten Zorn über sich kommen. »Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte er ruhig zu Decker. »Du hast nicht damit gerechnet, daß jemand wie ich mit schmutzigen Tricks kämpft. Ich habe geschummelt; ich habe mich nicht an die Regeln gehalten. Richtig?«

Decker nickte unsicher.

»Verdammt, das ist kein Spiel!« schrie Rees. »Ich konnte nicht zulassen, daß dieser verdammte Idiot mich umbringt, nicht bevor du gehört hast, was ich dir zu sagen habe.

Decker, du kannst mich fertigmachen, wenn du willst. Aber falls du eine Chance haben willst, deine Leute zu retten, solltest du mich anhören.« Er fuchtelte mit dem Glassplitter vor Deckers Gesicht herum. »Habe ich mir damit Rederecht verschafft? Habe ich das?«

Deckers narbiges Gesicht ließ keine Reaktion erkennen. »Du nimmst den da besser mit nach Hause, Baum-Pilot. Er soll sich saubermachen«, sagte er ruhig. Mit einem letzten Blick aus schmalen Augen wandte er sich ab.

Rees ließ den Glassplitter fallen. Schlagartig brach seine Müdigkeit durch. Das Deck schien zu schwanken und kam auf sein Gesicht zu…

Er spürte Arme um Schultern und Hüfte. Benommen blickte er auf. »Pallis. Danke… Ich mußte es tun, weißt du. Du verstehst das doch, nicht wahr?«

Der Baum-Pilot vermied es, ihm in die Augen zu sehen; er starrte auf Rees’ blutige Hände und erschauerte.

12

Der Gürtel hing wie ein schäbiges Spielzeug in der Luft über Pallis. Zwei plattenförmige Fluggeräte trieben zwischen Pallis’ Baum und dem Gürtel; alle paar Minuten emittierten sie Dampfwölkchen und bewegten sich ruckartig einige Meter durch die Wolken. Die Mineure beobachteten von ihrem Fahrzeug aus den einige Meter entfernt stehenden Baum.

Die Flugscheiben wirkten wie eiserne Motten in einem großen Bottich mit roter Luft. Doch mit einem Seufzer erkannte Pallis, daß sie eine Sperre so solide wie aus Holz oder Metall bildeten. Er stand am Stumpf seines Baumes, schaute zu den Posten hoch und rieb nachdenklich das Kinn. »Es hat keinen Sinn, hier herumzuhängen«, erkannte er. »Wir müssen hineingelangen.«

Jaens breites Gesicht war mit Ruß von den Feuerkesseln verschmiert. »Pallis, du bist verrückt. Sie wollen uns doch offensichtlich nicht durchlassen.« Mit ihrem muskulösen Arm wedelte sie in Richtung der Bergleute. »Das Floß und der Gürtel stehen im Krieg miteinander, um Himmels willen!«

»Immer, wenn man euch abgehalfterte Wissenschaftler als Baum-Pilot-Lehrlinge einsetzt, muß man sich über eure ständige Nörgelei ärgern. Warum, zum Teufel, kannst du nicht einfach das tun, was man dir sagt?«

Ein Grinsen erschien auf Jaens breitem Gesicht. »Würdest du lieber wieder Gover zurückhaben, Pilot? Du solltest dich nicht beklagen, wenn die Revolution dir so hochqualifiziertes Personal beschert hat.«

Pallis richtete sich auf und entfernte den Staub von seinen Händen. »Okay, du hochqualifizierte Mitarbeiterin, wir müssen an die Arbeit. Laß uns diese Rauchkessel anheizen.«

Sie runzelte die Stirn. »Meinst du das ernst? Wir brechen durch?«

»Du hast gehört, was Rees gesagt hat… Was wir diesen Mineuren erzählen müssen, ist vielleicht die wichtigste Nachricht, seit das Schiff damals im Nebel aufgetaucht ist. Und wir werden diese verdammten Bergleute zum Zuhören bewegen, ob sie wollen oder nicht. Wenn das bedeutet, daß sie uns vom Himmel blasen, dann können wir eben nichts machen. Dann wird ein anderer Baum kommen, der auch zerstört werden wird, und dann wieder einer, bis diese verdammten Idioten von Minenratten begreifen, daß wir wirklich nur mit ihnen reden wollen.«

Während seiner wenig ausgefeilten Ansprache hatte Jaen nach unten geschaut und sich damit beschäftigt, das Feuer im Kessel in Gang zu bringen; jetzt sah sie hoch. »Ich glaube, daß du recht hast.« Sie biß sich auf die Lippe. »Ich wünschte nur…«

»Was?«

»Ich wollte nur, daß es nicht Rees gewesen wäre, der von den Toten zurückgekehrt ist, um die menschliche Rasse zu retten. Diese kleine Minenratte war schon großspurig genug, als er…«

Pallis lachte. »Mach deinen Kessel voll, Lehrling.«

Jaen ging an ihre Arbeit. Pallis genoß es im stillen, mit ihr zu arbeiten. Sie war eine gute Fahrensfrau, schnell und leistungsfähig; irgendwie wußte sie immer schon, was zu tun war, ohne daß er es ihr erst sagen mußte und ohne daß sie ihn bei seiner eigenen verdammten Arbeit behinderte…

Unter dem Blätterdach entwickelte sich ein Rauchvorhang. Der Baum rotierte schneller und eilte dem Gürtel entgegen, wobei die Luft durch seine Blätter rauschte und klare, heimatliche Gerüche in Pallis’ Nase spülte. Die Patrouillenfahrzeuge hoben sich als unbewegliche Schatten gegen den roten Himmel ab. Pallis stützte sich mit den Beinen am Stumpf seines Baumes ab; das massive Holz vermittelte ihm einen festen Halt. Dann legte er die zu einem Trichter geformten Hände an den Mund. »Mineure!«

Gesichter erschienen über dem Rand jedes Fahrzeuges. Mit zusammengekniffenen Augen konnte Pallis das in Bereitschaft gehaltene Waffenarsenal erkennen: Speere, Messer, Knüppel.

Er breitete die Hände weit aus. »Wir kommen in Frieden! Bei den Boneys, das müßt ihr doch sehen. Was glaubt ihr wohl, habe ich mitgebracht, eine Armee unter meinen Ästen versteckt?«