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Die Gedanken überschlugen sich in Rees’ Kopf, während er ihm dabei zusah. Die Ereignisse der letzten Schichten tauchten wie die Teile eines Puzzles in seiner Erinnerung auf. Dies war für Menschen ein sehr rauhes Universum. Die Implosion hatte das bewiesen. Und nun, wenn er den Maulwurf nicht völlig falsch verstanden hatte, schien es, als sei die Rötung des Himmels ein Fanal des Untergangs für sie alle, als ob der Nebel selbst eine riesige, unbegreifliche Warnlampe wäre.

Die Begrenztheit seiner Möglichkeiten wurde ihm wieder bewußt, und sein Gewicht lastete schwerer auf ihm als selbst die Anziehungskraft des Sterns. Niemals würde irgend jemand verstehen, was ihn bedrückte. Er war nur irgendein dummes Kind, und seine Sorgen beruhten auf Hinweisen und Bruchstücken, die er selbst nur teilweise verstand.

Würde er immer noch ein Kind sein, wenn das Ende kam?

Weltuntergangsszenarien blitzten in seiner Vorstellung auf: Er stellte sich vor, wie die Sterne erloschen, die Wolken dicker wurden und die Luft selbst zu Gas wurde und nicht mehr zum Atmen taugte…

Er mußte auf die Oberfläche zurückkehren, auf den Gürtel und darüber hinaus; er mußte mehr herausfinden. Und in seinem ganzen Universum gab es nur einen Ort, den er aufsuchen konnte.

Das Floß. Irgendwie mußte er auf das Floß gelangen.

Mit neu erwachter Zielstrebigkeit, ungerichtet, aber intensiv, bewegte er seinen Stuhl auf die Ausstiegsrampe zu.

2

Der Baum war ein fünfzig Meter breites Rad aus Laub und Holz. Seine Rotation verlangsamte sich, und zögernd ließ er sich auf der Gravitationsquelle des Sternenkerns nieder.

Pallis, der Baum-Pilot, hing mit Händen und Füßen unter dem knorrigen Stamm des Baums. Der Sternenkern und das ihn umkreisende Gürtel-Bergwerk lagen in seinem Rücken. Kritisch blickte er durch das Blätterdach auf den Rauch, der zerrissen über den obersten Zweigen hing. Die Rauchschicht war nirgendwo auch nur annähernd dick genug: Er konnte genau sehen, wie das Sternenlicht durchschien und die runden Blätter des Baums umflutete. Er tastete sich mit den Händen am nächsten Zweig entlang und fühlte das leise Zittern der dünnen Holzschicht. Sogar hier, am Ansatz der Zweige, konnte er die schwankende Unsicherheit des Baumes fühlen. Zwei Kräfte wirkten auf den Baum ein: Einerseits versuchte er der tödlichen Schwerkraftquelle des Sterns zu entgehen, andererseits floh er vor dem Schatten der Rauchwolke, wodurch er wieder auf die Gravitationsquelle zugetrieben wurde. Es bedurfte eines geschickten Floßsteuermanns, um einen Ausgleich zwischen diesen beiden Kräften herzustellen; der Baum sollte sich in der erforderlichen Entfernung in einem dynamischen Gleichgewicht befinden.

Nun stießen die rotierenden Zweige des Baumes in die Luft, und er bewegte sich mit einem Ruck um gut einen Meter nach oben. Beinahe wäre Pallis heruntergefallen. Eine Wolke von Skitters taumelte aus dem Laubwerk; die kleinen, radförmigen Wesen schwirrten um sein Gesicht und seine Arme, während sie versuchten, in den Schutz des Baumes, aus dem sie stammten, zurückzugelangen.

Zum Teufel mit diesem Bengel…

Mit einer wütenden, fließenden Bewegung seiner Arme hangelte er sich durch das Blattwerk zur Oberseite des Baumes. Die zerklüftete Decke aus Rauch und Dampf hing einige Meter über seinem Kopf und war durch Rauchfäden lose mit den Ästen verbunden. Bald erkannte er, daß das feuchte Holz in mindestens der Hälfte der an den Ästen angebrachten Feuerkesseln verbraucht worden war.

Und Gover, sein sogenannter Assistent, war nirgendwo zu sehen.

Mit ins Laub eingerollten Zehen richtete sich Pallis zu seiner vollen Größe auf. Mit fünfzigtausend Schichten hatte er ein für die Verhältnisse im Nebel hohes Alter erreicht; aber sein Bauch war immer noch so flach und hart wie einer von den Baumstämmen aus seiner geliebten Baumflotte, und bei seinem Anblick schraken die meisten Menschen zurück vor dem Muster der durch die Zweige verursachten Narben, die sein Gesicht, seine Hände und seine Unterarme bedeckten und rot wurden, wenn er wütend war.

Und jetzt war er wütend.

»Gover! Bei den leibhaftigen Boneys, wo steckst du?«

Ein schmales, kluges Gesicht erschien über einem der Kessel am Rande des Baums. Gover befreite sich aus einem Nest von Blättern und trippelte über die Plattform aus Blättern, wobei ein Paket auf seinem schmalen Rücken baumelte.

Pallis stand mit verschränkten Armen und angespannten Muskeln da. »Gover«, sagte er leise, »ich frage dich noch einmaclass="underline" Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?«

Gover fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase, deformierte dabei die Nasenlöcher, und als er die Hand wieder wegnahm, glitzerte sie feucht. »Ich war schon fertig«, murmelte er.

Pallis beugte sich über ihn. Govers Blick glitt über die Augen des Baum-Piloten und wieder von ihnen weg. »Du bist fertig, wenn ich dir sage, daß du fertig bist. Und keinen Moment früher.«

Gover sagte nichts.

»Schau…« Pallis tippte mit einem Finger auf Govers Paket. »Du trägst noch immer die Hälfte deines Holzhaufens mit dir herum. Die Feuer erlöschen. Und sieh dir die Rauchwand an. Mehr Löcher als in deinem verdammten Hemd. Mein Baum weiß nicht, wohin, wegen dir. Fühlst du nicht, wie er zittert?«

»Jetzt hör zu, Gover. Du bist mir scheißegal, aber der Baum nicht. Wenn du den Baum noch mehr aufregst, schmeiß’ ich dich über den Rand; wenn du Glück hast, fressen dich die Boneys zum Frühstück, und ich fliege mit dem Baum allein zum Floß zurück. Kapiert?«

Gover hing vor ihm, und seine Hände zerrten gleichgültig an dem zerfetzten Saum seines Hemdes. Nach einem Moment des Wartens zischte Pallis: »Und jetzt hau ab!«

Mit einer schnellen Bewegung zog sich Gover zum nächsten Kessel hinauf und zog Holz aus seinem Bündel. Bald füllten frische Rauchschwaden die Löcher in der Wolke, und das Zittern des Baums wurde schwächer.

Mit brodelnder Erregung beobachtete Pallis die ungeschickten Bewegungen des Jungen. Oh, er hatte auch in der Vergangenheit schlechte Assistenten gehabt, aber in den guten alten Zeiten waren die meisten wenigstens bereit gewesen, zu lernen, es wenigstens zu versuchen. Und nach und nach, je mehr harte Schichten sie hinter sich gebracht hatten, waren diese jungen Leute zu verantwortungsbewußten Männern und Frauen geworden, deren Geist sich im gleichen Maße stählte wie ihr Körper.

Aber diese hier nicht. Nicht diese Generation.

Das war bereits sein dritter Flug mit dem jungen Gover. Und der Kerl war immer noch so mürrisch und störrisch wie beim ersten Einsatz auf den Bäumen; Pallis konnte es kaum erwarten, ihn an die Wissenschaft zurückzugeben.

Seine Augen suchten ruhelos den roten Himmel ab. Die fallenden Sterne sahen aus wie ein Haufen Nadelspitzen, die in den Weiten entschwanden; die Tiefen des Nebels, weit unter ihm gelegen, waren eine dunkelrote Sinkgrube. War seine nostalgische Verachtung für die Jugend von heute nur ein Symptom des Älterwerdens? Oder hatten sich die Menschen tatsächlich verändert?

Nun, es gab keinen Zweifel, daß zumindest die Welt um ihn herum sich wirklich verändert hatte. Der frischblaue Himmel und die wohlriechende Luft waren nur noch Erinnerungen aus seiner Jugendzeit; die Luft verwandelte sich in einen rauchigen Mief, und das Wesen der Menschen schien sich mit der Luft zu verdüstern.

Und eins stand fest: Seine Bäume mochten diesen Dunst nicht.

Er seufzte und versuchte, seine Grübeleien zu verdrängen. Die Sterne fielen weiter herunter, unabhängig von der Farbe des Himmels. Das Leben ging weiter, und er hatte seine Arbeit zu erledigen.

Leichte Vibrationen spielten unter den Sohlen seiner nackten Füße und signalisierten ihm, daß der Baum nun fast stabil war und am Rand der Schwerkraftquelle des Sternenkerns schaukelte. Gover bewegte sich schweigend an den Feuerkesseln entlang. Verdammt, der Kerl konnte seine Arbeit gut machen, wenn man ihn dazu zwang. Das war das Ärgerlichste an ihm. »Okay, Gover, ich möchte, daß diese Schicht Holz während meiner Abwesenheit am Brennen gehalten wird. »Und der Gürtel ist nicht sehr groß; wenn du faul bist, wird mir das nicht entgehen. Kapiert?«