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Alarmiert sah Pallis nach unten.

Die harte Oberfläche eines Patrouillenfahrzeugs der Mineure kam auf ihn zugeflogen; zwei Bergleute hingen an einem über das Metall gespannten Netz. Das Eisen raste wie eine Wand auf ihn zu…

Er hatte einen blutigen Geschmack im Mund.

Pallis öffnete die Augen. Er lag auf dem Rücken, offensichtlich auf dem Fluggerät der Mineure. Durch sein Hemd spürte er die Knoten des Netzes. Er versuchte sich aufzusetzen — und war nicht übermäßig überrascht, daß er mit Händen und Füßen an das Netz gefesselt war. Er entspannte sich und versuchte, nicht den Anschein zu erwecken, eine Bedrohung darzustellen.

Ein breites, bärtiges Gesicht erschien dicht über ihm. »Der hier ist in Ordnung, Jame; er ist mit dem Kopf aufgekommen…«

»Besten Dank«, schnappte Pallis. »Wo ist Jaen?«

»Ich bin hier«, rief sie von außerhalb seines Blickfeldes.

»Ist bei dir alles klar?«

»Es wäre klarer, wenn diese Trottel es zulassen würden, daß ich mich hinsetze.«

Pallis lachte — und zuckte zusammen, als ein Schmerz durch Mund und Wangen jagte. Offenbar würde er seine Kollektion von Narben um einige neue Exemplare ergänzen müssen. Jetzt tauchte kopfüber in Pallis’ Blickfeld ein zweites Gesicht auf. Pallis kniff die Augen zusammen. »An dich erinnere ich mich. Ich glaube, deinen Namen schon gehört zu haben. Du bist Jame aus der Quartiermeisterei.«

»Hallo, Pallis«, meinte Jame brummig.

»Bist du immer noch so ein Bierpanscher/Barkeeper?«

»Du bist ein höllisches Risiko eingegangen, Baum-Pilot. Wir hätten dich abstürzen lassen sollen«, grummelte Jame…

»Habt ihr aber nicht«, erwiderte Pallis grinsend und entspannte sich.

Während der kurzen Reise mit den Bergleuten zum Gürtel erinnerte sich Pallis wieder an das Gefühl des Wunders, mit dem er Rees’ Geschichte zum erstenmal gehört hatte. In seiner Eigenschaft als Freund des zurückgekehrten Verbannten hatte er mit Rees, Decker und Hollerbach in dem Büro des alten Wissenschaftlers zusammengesessen und den Blick auf die simplen Handbewegungen geheftet, mit denen Rees bestimmte Aspekte seiner Abenteuer zu unterlegen pflegte.

Es war so phantastisch, der Stoff, aus dem Legenden sind: Die Boneys und ihre Knochenwelt, die Wale, der Gesang… doch Rees’ Ton war trocken, faktenorientiert und völlig überzeugend, und er hatte alle Fragen von Hollerbach mit Verve beantwortet.

Schließlich kam Rees zu der Beschreibung der großen Walwanderung. »Aber natürlich«, hatte Hollerbach gekeucht. »Ha! Es ist ja so offensichtlich.« Und dann drosch er mit der Faust auf den Schreibtisch.

Der aus seiner Verzauberung gerissene Decker sprang auf. »Du blöder alter Furz«, grollte er. »Was ist so offensichtlich?«

»So viele Teile passen zusammen. Internebulare Wanderungen…! Natürlich; wir hätten darauf kommen müssen.« Hollerbach erhob sich von seinem Stuhl und begann im Raum umherzustiefeln, wobei er eine knochige Faust auf die Handfläche klatschte.

»Es reicht jetzt mit der Schauspielerei, Wissenschaftler«, sagte Decker. »Werd deutlicher.«

»Zunächst der Gesang der Wale: Diese alten Spekulationen, die unser Held jetzt bestätigt hat. Sag mir nur eins: Warum sollten die Wale sonst über ein so großes Gehirn verfügen, eine solch signifikante Intelligenz und eine derart differenzierte Kommunikation? Wenn man es durchdenkt, sind sie eigentlich nur Herdentiere, und — aufgrund ihrer reinen Größe — weitestgehend sicher vor Räubern, was Rees ja auch bestätigt hat. Sicher brauchen sie kaum mehr zu tun, als durch die Atmosphäre zu kreuzen und sich von dem zu ernähren, was so durch die Luft fliegt. Dazu gehört kaum mehr Intelligenz als die eines, sagen wir, Baumes, um diesem Schatten auszuweichen und die Gravitationsquelle zu umgehen…«

Pallis rieb sich die Nasenwurzel. »Aber ein Baum würde nie in den Kern fliegen — jedenfalls nicht freiwillig. Willst du das damit sagen?«

»Exakt, Baum-Pilot. Sich dem Streß eines solchen Gezeitenwechsels und einer so gefährlichen Strahlung auszusetzen, erfordert eine größere Gehirnkapazität, den Weitblick, die elementaren Instinkte abzublocken, eine hochstrukturierte Kommunikation — vielleicht sogar auf telepathischer Basis —, so daß jeder nachfolgenden Generation das richtige Verhalten weitervererbt wird.«

Rees lächelte. »Also muß ein Wal seine Flugbahn um den Kern ganz präzise festlegen.«

»Natürlich, natürlich.«

Deckers Gesicht zeigte eine Mischung aus Verwirrung und Zorn. »Wartet… Laßt uns das Schritt für Schritt durchgehen.« Er kratzte sich am Bart. »Was haben die Wale davon, wenn sie in den Kern tauchen? Gehen sie dort nicht einfach in die Falle?«

»Nicht, wenn sie ihre Flugbahn richtig definieren«, erklärte Hollerbach ein wenig ungeduldig. »Das ist der eigentliche Punkt… Erkennst du das? Es ist eine Gravitationsschleuder.« Er hielt eine hagere Faust hoch und verdrehte sie, um die Rotation darzustellen. »Hier ist der wegrotierende Kern. Und…« — die andere Hand hielt er flach und ließ sie auf den imaginären Kern zustoßen — »hier kommt ein Wal.« Der Modellwal fegte am Kern vorbei, ohne ihn zu berühren. Seine hyperbolische Flugbahn verdrehte sich in der gleichen Richtung, in welcher der Kern rotierte. »Für einen kurzen Moment wird der Wal von der Gravitation des Kerns erfaßt, wobei das Tier einen gewissen Betrag seiner Winkelgeschwindigkeit übernimmt… Durch sein Rendezvous mit dem Kern erfährt er also einen leichten Energiezuwachs.«

Pallis schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, daß ich da nicht jedesmal durchmuß, wenn ich einen Baum fliege.«

»Es ist ganz einfach. Die Wale schaffen das schließlich auch… Und sie nehmen all das nur auf sich, um genug Energie zum Erreichen der Fluchtgeschwindigkeit des Nebels zu sammeln.«

Decker ließ eine Faust auf den Schreibtisch krachen. »Genug geschwätzt. Was ist jetzt die Relevanz der ganzen Sache?«

Hollerbach seufzte und führte seine Finger zur Nasenwurzel, auf der Suche nach seiner schon lange verschwundenen Brille. »Die Relevanz ist die: Beim Erreichen der Fluchtgeschwindigkeit können die Wale den Nebel verlassen.«

»Sie wandern«, intervenierte Rees engagiert. »Sie reisen zu einem anderen Nebel… Einem neuen, mit vielen jungen Sternen und einem blauen Himmel.«

»Wir sprechen hier von einem großen Populationstransfer zwischen den Nebeln«, führte Hollerbach aus. »Zweifellos sind die Wale nicht die einzige Spezies, die zwischen den Nebeln hinund herreist… doch selbst wenn es so wäre, würden sie in ihrem Verdauungstrakt vielleicht so viele Sporen und Samen befördern, um dem Leben einen neuen Brückenkopf zu ermöglichen.«

»Das ist alles sehr aufregend.« Rees schien regelrecht trunken. »Ihr seht, daß die Tatsache der Migration auch ein anderes altes Rätsel löst: den Ursprung des Lebens hier. Der Nebel ist erst ein paar Millionen Schichten alt, und deswegen konnte sich hier noch kein Leben nach dem Vorbild der Evolution auf der Erde entwickeln.«

»Und die Lösung dieses Rätsels«, ergänzte Hollerbach, »könnte so aussehen, daß es hier vielleicht überhaupt nicht entstanden ist.«

»Es ist von irgendwo anders in den Nebel gelangt?«

»Das ist richtig, Baum-Pilot. Aus einer anderen, erschöpften Materieballung. Und jetzt, wo dieser Nebel auch am Vergehen ist, wissen die Wale, daß es Zeit zum Weiterziehen ist. Es hat vielleicht vor dem Vorgänger unseres Nebels schon andere gegeben: eine ganze Wanderungskette, die bis an den Anfang der Zeit zurückreicht.«

»Es ist ein wunderbares Bild«, sagte Rees verträumt. »Als sich das Leben erst einmal irgendwo in diesem Universum etabliert hatte, muß es sich schnell ausgebreitet haben; vielleicht sind all die Nebel schon auf die eine oder andere Art besiedelt, mit fremden Spezies, die unaufhörlich den Leerraum durchkreuzen…«