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Er ging zu der Umzäunung des Abschnitts. Vielleicht würde er Pallis noch einmal sehen und sich von ihm verabschieden können. Stämmige Wachen patrouillierten mit Schlagstöcken in den Händen. Rees blickte deprimiert am Zaun entlang. Noch mehr Ressourcen vom eigentlichen Ziel abgezogen… doch es hatte schon Unruhen gegeben; wer hätte sagen können, was noch geschehen wäre, wenn nicht der Schutz durch den Zaun und die Wachen bestanden hätte? Eine Streife bekam Blickkontakt mit ihm und nickte; sein breites Gesicht zeigte keine Regung. Rees fragte sich, wie leicht es diesem Mann fallen würde, seine eigenen Leute abzuwehren, um ein paar Privilegierte zu schützen…

Eine Explosion irgendwo auf der anderen Seite der Brücke ließ das Deck wie von einem massiven Tritt erzittern. Eine Rauchsäule stieg über dem Gerüst empor.

Die Wachen bei Rees drehten sich um und schauten in die Richtung. Rees rannte um die Brücke herum.

Entfernte Rufe, ein Schrei… und der Zaun war auf einer Länge von drei Metern niedergerissen und brannte. Posten liefen zu der Bresche, doch der Mob schien überwältigend, sowohl an Wildheit als auch an Zahl. Rees sah eine Mauer aus Gesichtern, Alten und Jungen, Männern und Frauen, vereint in verzweifeltem, wildem Zorn. Jetzt wurden Brandbomben gegen die Brücke geschleudert und schlugen auf dem Deck auf.

»Was, zum Teufel, machst du hier?« Es war Decker; der große Mann ergriff Rees’ Arm und zog ihn zurück zur Brücke.

»Decker, können sie nicht verstehen? Sie können nicht gerettet werden; es ist einfach nicht genug Platz da. Wenn sie jetzt angreifen, scheitert die Mission und niemand wird…«

»Kumpel.« Decker packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn kräftig. »Wir haben keine Zeit zum Reden. Wir können diese Menge nicht mehr lange aufhalten… Du mußt da rein und starten. Jetzt gleich.«

»Das ist unmöglich«, Rees schüttelte den Kopf.

»Verdammt, ich werde dir zeigen, was unmöglich ist.« Ein kleines Feuer brannte zwischen den Resten einer Brandbombe. Decker bückte sich, entzündete ein Stück herumliegendes Holz und schleuderte es in das die Brücke umgebende Gerüst. Augenblicklich züngelten Flammen an dem trockenen Holz.

Rees starrte darauf. »Decker.«

»Keine weitere Diskussion, verdammt!« brüllte ihm Decker ins Gesicht und besprühte ihn mit Speichel. »Nimm mit, was du kannst, und dann weg hier!«

Rees drehte sich um und wollte davonrennen.

Einmal blickte er noch zurück. Decker war schon fast nicht mehr zu sehen in dem Chaos an der Bresche.

Rees erreichte die Schleuse. Die noch ein paar Minuten zuvor bestehende ordentliche Schlange hatte sich aufgelöst; schreiend versuchten sich die Menschen den Eingang durch die Schleuse zu erzwingen und hielten ihr vielgestaltiges Handgepäck über dem Kopf. Rees kämpfte sich unter Einsatz von Fäusten und Ellbogen durch das Innere der Brücke. Das Observatorium war ein lärmendes Tollhaus, in dem Geräte und Menschen kreuz und quer verstreut waren; das einzige übriggebliebene große Instrument das Teleskop — ragte wie ein riesiger Roboter über die Menge.

Rees brach sich eine Bahn durch das Chaos, bis er auf Gord und Nead stieß. Er zog sie zu sich heran. »In fünf Minuten starten wir!«

»Das ist unmöglich, Rees«, widersprach Gord. »Du siehst doch selbst, was los ist. Wir würden die Passagiere und die da draußen verletzen, sogar töten…«

Rees deutete auf die transparente Hülle. »Schau mal nach draußen. Siehst du den Rauch dort? Decker hat das verdammte Gerüst in Brand gesetzt. Deine wertvollen Sprengbolzen werden also ohnehin in fünf Minuten gezündet. Stimmt’s?«

Gord wurde blaß.

Plötzlich steigerte sich der Lärm zu einem Toben; Rees beobachtete, wie weitere Abschnitte des Zauns niedergerissen wurden. Die paar noch kämpfenden Wachen gingen in einer Menschenflut unter.

»Wenn sie uns erreichen, sind wir erledigt«, stellte Rees fest. »Wir müssen starten. Nicht in fünf Minuten. Jetzt sofort!«

Nead schüttelte den Kopf. »Rees, dort sind noch Leute…«

»Schließ das verdammte Schott!« Rees packte den jungen Mann an der Schulter und schob ihn gegen ein in der Wand eingelassenes Kontrollpult.

»Gord, zünde diese Sprengbolzen. Tu es einfach!«

Mit schmalen Augen und vor Angst zitternden Wangen tauchte der kleine Ingenieur in dem Getümmel unter.

Rees arbeitete sich zum Teleskop vor. Er kletterte auf das Gestell des alten Instruments, bis er ein wogendes Meer von Menschen überblickte. »Hört mir zu!« brüllte er. »Ihr seht, was sich draußen abspielt. Wir müssen jetzt starten. Legt euch hin, falls genug Platz ist. Helft euren Nachbarn und kümmert euch um die Kinder!«

Fäuste hämmerten an die Außenwandung, und verzweifelte Gesichter preßten sich an die transparente Wand…

…und mit einem synchronen Knattern zündeten die Sprengbolzen des Gerüsts. Der zerbrechliche Holzrahmen zerfiel schnell — und dann hielt nichts mehr die Brücke auf dem Floß.

Der Boden neigte sich. Schreie breiteten sich wie ein Lauffeuer aus, und die Passagiere klammerten sich aneinander. Unterhalb der transparenten Hülle hob sich das Deck des Floßes, als ob es sich verflüssigt hätte, und das Schwerefeld des Floßes schleuderte die Passagiere in die Luft. Es war ein komisches Bild, als sie fast gegen das Dach knallten.

Ein Crescendo von Schreien drang aus der Schleusenkammer. Nead hatte es nicht mehr rechtzeitig geschafft, das Schleusenschott zu schließen; Nachzügler sprangen über die breiter werdende Lücke zwischen der Brücke und dem Deck. Ein letzter Mann zwängte sich durch die zugehende Tür. Er blieb mit dem Knöchel am Pfosten hängen, und als Rees sein Schienbein brechen hörte, wurde ihm schlecht. Eine ganze Familie löste sich vom Deck des Floßes und schlug gegen die Hülle und glitt mit erstaunten Blicken in die Unendlichkeit…

Rees schloß die Augen und klammerte sich an das Teleskop.

Endlich war es vorbei. Das Floß wurde zu einer Decke über ihnen, entfernt und abstrakt; der dünne Regen von Menschen auf die Hülle versiegte, und vierhundert Leute erlebten plötzlich zum erstenmal in ihrem Leben den freien Fall.

Ein Schrei ertönte, der von sehr weit her zu kommen schien. Rees schaute nach oben. Roch war mit einem brennenden Knüppel in der Hand durch das Loch im Zentrum des Floßes gesprungen. Er fiel die dazwischenliegenden Meter mit gespreizten Beinen und starrte mit hervorquellenden Augen durch das Glas auf die erschrockenen Passagiere.

Der große Bergmann krachte kopfüber auf das durchsichtige Dach des Observatoriums. Er ließ seinen Knüppel fallen und versuchte krampfhaft, sich an der glatten Wandung festzuhalten. Doch er schlitterte hilflos über die Oberfläche, wobei seine gebrochene Nase und der zerschlagene Mund eine Blutspur hinterließen. Dann taumelte er seitlich weg — und ergriff schließlich, in letzter Sekunde, den rauhen Vorsprung einer Dampfdüse.

Rees kletterte vom Teleskop herab und machte Gord ausfindig. »Verdammt, wir müssen etwas tun. Sonst wird er die Düse losreißen.«

Gord kratzte sich am Kinn und musterte den baumelnden Mineur, der zu den verblüfften Passagieren hereinstarrte. »Wir könnten die Düse in Betrieb setzen. Der Dampf würde ihn natürlich verfehlen, weil er unterhalb der eigentlichen Austrittsöffnung hängt — aber seine Hände würden versengt — ja; das würde ihn abschütteln…«

»Oder«, schlug Rees vor, »wir könnten ihn bergen.«

»Was? Rees, dieser Spaßvogel hat versucht, dich umzubringen.«

»Ich weiß.« Rees sah hinaus auf Rochs rotes Gesicht und seine angespannten Muskeln. »Sucht ein langes Seil. Ich werde die Schleuse öffnen.«

»Das ist nicht dein Ernst…«