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Doch Rees war schon auf dem Weg zum Schott.

Als der große Mineur schließlich erschöpft auf dem Deck lag, beugte sich Rees über ihn. »Hör zu«, sagte er fest. »Ich hätte dich sterben lassen können.«

Roch leckte das Blut von seinem ramponierten Mund.

»Ich habe dich nur aus einem Grund gerettet«, erläuterte Rees. »Du bist ein Überlebenskünstler. Deshalb hast du dein Leben mit diesem verrückten Sprung riskiert. Und dort, wo wir hingehen, brauchen wir Überlebenskünstler. Verstehst du? Doch wenn ich jemals — auch nur einmal — glaube, daß du diese Mission mit deiner verdammten Sturheit gefährdest, werde ich dieses Schott öffnen und dich deinen Fall beenden lassen.«

Für lange Minuten hielt er Blickkontakt mit dem Bergmann, und schließlich nickte Roch.

»Gut.« Rees stand auf. »Also«, fragte er Gord, »was jetzt?«

Es lag ein Gestank nach Erbrochenem in der Luft.

Gord wölbte die Augenbrauen. »Schwerelosigkeits-Ausbildung, glaube ich«, sagte er. »Und eine Menge Arbeit mit Lappen und Eimer…«

Mit den Händen um Hals und Waffenarm seines Angreifers drehte sich Decker um und sah das Brücken-Gerüst in seine filigranen Komponenten zusammenfallen. Der große Zylinder hing für eine Sekunde in der Luft; dann spuckten die Dampfdüsen weiße Wolken, und die Brücke fiel nach unten weg. Dabei hinterließ sie ein Loch im Deck, in das hilflos einige Leute fielen.

Es war also vorbei; Decker war gestrandet. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Kontrahenten zu und machte sich daran, das Leben aus dem Mann herauszuquetschen.

Auf dem aufgegebenen Floß ging das Töten noch viele Stunden weiter.

15

In den ersten Stunden nach dem Start war es in dem überfüllten Schiff fast nicht zum Aushalten. Es stank nach Erbrochenem und Urin, und Menschen jeden Alters schwärmten schreiend und rangelnd durch die Kammer.

Rees führte das Problem nicht nur auf die Schwerelosigkeit zurück, sondern auch auf den Sturz des Schiffes selbst. Auf einmal damit konfrontiert zu werden, daß die Welt nun doch keine unbegrenzte Scheibe war — zu erkennen, daß das Floß im Grunde nicht mehr gewesen war als eine aus Eisen zusammengestückelte Motte in der Luft — schien einige Passagiere an den Rand des Wahnsinns getrieben zu haben.

Vielleicht hätte man die Fenster beim Start verdunkeln sollen.

Rees verbrachte lange Stunden damit, die Errichtung eines Netzes aus Seilen und Kabeln zu überwachen, das sich wie ein Spinnennetz durch das Observatorium spannte. »Wir werden das Innere mit dieser isotropischen Struktur ausfüllen«, hatte Hollerbach mit Nachdruck geraten. »Konstruiert es so, daß es nach allen Richtungen gleich aussieht. Dann wird es nicht ganz so schlimm werden, wenn wir den Kern erreichen und das ganze verdammte Universum sich auf den Kopf stellt…«

Bald wickelten die Passagiere Decken um die Seile und grenzten kleine Privatsphären ab. Das High-Tech-Ambiente der Brücke begann direkt heimelig zu wirken, als sich die provisorische Zeltstadt immer weiter ausdehnte; menschliche Gerüche, nach Essen und Ausscheidungen, durchdrangen die Luft. Rees gönnte sich eine Pause und bahnte sich einen Weg durch das zerstörte Interieur zu dem, was früher einmal das Dach des Observatoriums gewesen war. Die Hülle war noch immer transparent. Rees preßte das Gesicht gegen das warme Material und starrte hinaus. Unwiderstehlich überkam ihn die Erinnerung daran, wie er damals aus dem Bauch eines Wals hinausgeschaut hatte.

Nach dem Sturz vom Floß hatte die Brücke schnell an Geschwindigkeit gewonnen und ihre Fluglage so ausgerichtet, daß ihr kurzer, dicker Bug auf das Zentrum des Nebels wies. Jetzt raste sie abwärts durch die Luft, und der Nebel hatte sich in eine riesige, dreidimensionale Darstellung perspektivischer Bewegung verwandelt. In der Nähe befindliche Wolken schossen vorüber, und in mittlerer Entfernung stehende Sterne glitten ins Weltall und sogar am Ende des viele hundert Meilen weiten Blickfeldes drifteten blasse Sterne langsam nach oben.

Das Floß war schon lange zu einem Fleck geworden, der sich in der pinkfarbenen Unendlichkeit über ihnen verlor.

Ein kurzes Zittern lief durch die Hülle. Dann eruptierte lautlos eine Dampfwolke wenige Meter über Rees’ Kopf und wurde sofort weggewischt; ein Indiz dafür, daß Gords improvisiertes Höhensteuerungssystem funktionierte.

Die Außenwandung fühlte sich an seinem Gesicht jetzt wärmer an als sonst. Die Windgeschwindigkeit dort draußen mußte phänomenal sein, doch durch das reibungsarme Material der Brücke konnte die Luft harmlos vorbeiströmen, ohne die Außenwandung nennenswert zu erwärmen. Rees’ müder Geist begab sich auf spekulative Bahnen. Wenn man den Temperaturanstieg maß, überlegte er, konnte man vielleicht irgendwie einen Schätzwert des Reibungskoeffizienten der Hülle ermitteln. Allerdings würde man natürlich auch einige Angaben zu den Wärmeleiteigenschaften des Materials benötigen…

»Es ist schon erstaunlich, nicht wahr?«

Nead war an seine Seite getreten. Der jüngere Mann wiegte einen Sextanten in den Armen. Rees lächelte. »Was machst du hier?«

»Ich soll unsere Geschwindigkeit messen.«

»Und?«

»Unter den Schwerkraftverhältnissen hier draußen fliegen wir mit Grenzgeschwindigkeit. Ich schätze, daß wir den Kern in ungefähr zehn Schichten erreichen…«

Nead wirkte verträumt, als er seine Meldung machte; seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Ausblick. Aber seine Wort hatten eine elektrisierende Wirkung auf Rees. Zehn Schichten… in gerade zehn Schichten würde er den Kern sehen, und das Schicksal der Rasse würde sich entscheiden.

Er kehrte wieder in die Gegenwart zurück. »Wir sind bisher nicht dazu gekommen, unser Training abzuschließen, Gord. Oder?«

»Wir hatten andere Prioritäten«, erwiderte Gord trocken.

»Laß uns eine Heimat finden, wo wir immer Zeit haben, Leute auszubilden — sogar Zeit, aus dem Fenster zu schauen…«

Jaen fing schon an zu reden, bevor sie die beiden erreicht hatte. »Und wenn du diesem unerträglichen alten Narren nicht endlich sagst, daß er seinen Sinn für das Wesentliche offenbar auf dem Floß zurückgelassen hat, übernehme ich keine Verantwortung mehr für meine Aktionen, Rees!«

Rees stöhnte innerlich. Seine Pause war wohl vorbei. Er drehte sich um, und Jaen nahm ihn in Beschlag. Sie hatte Hollerbach im Schlepptau, der sich vorsichtig durch das Netz aus Seilen hangelte. »Ich glaube, so hat kein popeliger Wissenschaftler Zweiter Klasse mehr mit mir gesprochen seit… seit…«, murmelte der alte Wissenschaftler.

Rees hielt die Hände hoch. »Kühlt euch ab, ihr beiden. Fang noch mal von vorne an, Jaen. Wo liegt das Problem?«

»Das Problem«, fauchte Jaen und riß an ihrem Daumen, »ist dieser dumme alte Furz, der…«

»Was, du unverschämtes…«

»Haltet die Klappe!« fuhr Rees dazwischen.

Jaen kochte vor Zorn, zwang sich aber sichtlich zur Ruhe. »Rees. Bin ich für das Teleskop verantwortlich oder nicht?«

»Bist du.«

»Und mein Auftrag lautet, daß die Navigatoren — und die Boneys, ihre sogenannten Assistenten — all die Daten erhalten, die sie für die Festlegung unserer Flugbahn um den Kern benötigen. Und das muß unsere erste Priorität sein. Richtig?«

Rees nibbelte zweifelnd seine Nase. »Ich kann dazu nichts sagen…«

»Dann sag Hollerbach, daß er seine verdammten Finger von meiner Ausrüstung lassen soll!«

Mit unterdrücktem Grinsen wandte Rees sich an Hollerbach. »Was hast du vor, Chef-Wissenschaftler?«

»Rees…« Der alte Mann verschränkte seine langen Finger ineinander und zupfte an dem lockeren Fleisch. »Wir haben jetzt nur noch ein brauchbares wissenschaftliches Instrument. Ich möchte auch nicht die Kriterien für die Besatzung dieses Schiffes nachkarten. Natürlich geht es zunächst um die Größe des Genpools…« Er schlug mit der Faust auf die Handfläche. »Trotzdem nähern wir uns genau in diesem Augenblick der Blindheit dem größten wissenschaftlichen Wunder des Kosmos: dem Kern selbst…«