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Er wartete.

Gord sackte gegen den Rahmen des Schotts. Rees’ Lungen schmerzten höllisch, als sie versuchten, Sauerstoff aus der dünnen Luft zu ziehen…

Ein Schemen tauchte vor ihm auf, dessen Hände den Schleusenrahmen umklammerten. Dann erschien ein verzerrtes Gesicht mit blau angelaufenen Lippen, ein starrer Körper mit zusammengebundenen Beinen… Nead, erkannte Rees benommen; Nead war zurück, und er selbst hatte noch etwas zu erledigen.

Als ob er sich selbständig gemacht hätte, verkrampfte sich sein Arm auf der Schaltfläche. Das Schleusenschott glitt zu. Dann fuhr das Innenschott auf, und er wurde von sauerstoffhaltiger Luft umfangen.

Später berichtete Nead mit rauher Stimme: »Ich merkte, daß die Zeit knapp wurde und ich noch immer nicht fertig war. Also habe ich das Seil durchgeschnitten und so weitergemacht. Es tut mir leid.«

»Du bist ein verdammter Narr«, flüsterte Rees. Einen Augenblick lang versuchte er, den Kopf von der Pritsche zu erheben; dann gab er es auf und fiel wieder in seinen Schlaf zurück.

Mit den von Nead montierten Düsen steuerten sie das Schiff in eine weite, elliptische Umlaufbahn um einen heißen gelben Stern, der tiefer in dem neuen Nebel stand. Die großen Schleusen waren geöffnet, und Männer krochen über die Hülle und befestigten Kletterseile und neue Dampfdüsen. Dünne, klare Luft durchzog das miefige Innere des Schiffes; schließlich verzog sich der Gestank der vielfach wiederaufbereiteten Luft, und eine ausgelassene Stimmung ergriff von den Passagieren Besitz.

Sogar die Schlangen vor der Proviantausgabe wirkten heiter.

Die Körper derjenigen, die die Reise nicht überlebt hatten, wurden aus dem Schiff geholt, in Lumpen gewickelt und der Luft übergeben. Rees überflog die Ansammlung der Trauernden an der Schleuse. Plötzlich realisierte er, wie ›multikulturell‹ sie jetzt waren: Leute vom Floß wie Jaen und Grye neben Gord und anderen Mineuren; und da war noch Quid mit seiner Truppe von Boneys. Ohne Berührungsängste standen sie alle zusammen, vereint in Trauer und Stolz. Die alten Trennlinien hatten ihre Bedeutung verloren, erkannte Rees; an diesem neuen Ort waren sie alle einfach nur Menschen…

Irgendwann würde die Brücke wieder von diesem Stern abheben, doch diese Körper würden als Reminiszenz an die Ankunft der Menschheit in der neuen Welt für viele Schichten eine Umlaufbahn um ihn einschlagen, bis der Luftwiderstand sie am Ende in den flammenden Stern stürzen ließ.

Trotz der Frischluftzufuhr verfiel Hollerbach zusehends. Schließlich lag er auf einer Pritsche, die an der transparenten Innenwand der Brücke befestigt worden war. Rees ging zu dem alten Wissenschaftler hin, und zusammen sahen sie hinaus in das neue Sternenlicht.

Hollerbach schüttelte sich in einem Hustenanfall. Rees legte eine Hand auf den Kopf des alten Mannes, und dann beruhigte sich Hollerbachs Atem wieder. »Ich habe dir doch gesagt, daß ihr mich zurücklassen sollt«, sagte er mit einem pfeifenden Atemzug.

Rees überhörte das und beugte sich vor. »Du hättest die Aussetzung der jungen Bäume sehen sollen«, meinte er. »Kaum daß wir die Käfige geöffnet hatten, waren sie schon auf und davon… Sie haben sich um diesen Stern verteilt, als ob sie hier geboren wären.«

»Vielleicht sind sie das auch«, vermutete Hollerbach trocken. »Pallis hätte das gefallen.«

»Ich glaube nicht, daß sich einer von uns Jüngeren vorstellen konnte, wie grün Blätter sein können. Und die Bäume wachsen offensichtlich schon. Bald werden wir einen flugtüchtigen Wald haben und können Expeditionen ausschicken: vielleicht stoßen wir auf Wale oder neue Nahrungsquellen…«

Hollerbach kramte unter seiner Pritsche herum; mit Rees’ Hilfe brachte er ein kleines, in grobes Tuch eingewickeltes Päckchen zum Vorschein.

»Was ist das?«

»Mach es auf.«

Als Rees das Tuch abwickelte, erblickte er schließlich eine präzise gearbeitete Maschine mit der Größe seiner hohlen Hände; in ihrem Zentrum glänzte eine silberne Kugel, und um diese Kugel waren bunte Perlen an Kreisen aus Draht aufgereiht. »Dein Orbitalmodell«, stellte Rees fest.

»Ich hatte es im Handgepäck mitgenommen.«

Rees betastete das bekannte Gerät. »Soll ich es haben, wenn du nicht mehr bist?« fragte er verlegen.

»Nein, verdammt!« Hollerbach hustete verärgert. »Rees, dein Anflug von Sentimentalität nervt mich. Ich wollte jetzt, ich hätte das verdammte Ding auf dem Floß zurückgelassen. Junge, ich möchte, daß du es zerstörst. Wenn du mich aus der Schleuse wirfst, schick es hinterher.«

Rees war schockiert. »Aber warum? Es ist das einzige Modell des Sonnensystems im ganzen Universum… buchstäblich unersetzlich.«

»Es bedeutet gar nichts!« Die alten Augen funkelten.

»Rees, dieses Ding ist das Symbol einer verlorenen Vergangenheit, einer Vergangenheit, die wir abstreifen müssen. Wir haben uns schon viel zu lange an solche Relikte geklammert. Jetzt sind wir ein Bestandteil dieses Universums.«

Mit plötzlicher Kraft packte der alte Mann Rees’ Ärmel und schien sich daran aufrichten zu wollen. Rees runzelte die Stirn, legte ihm eine Hand auf die Schulter und bugsierte ihn vorsichtig wieder in die Waagrechte. »Versuche, dich auszuruhen…«

»Das kannst du vergessen«, lehnte Hollerbach mit kratzender Stimme ab. »Ich kann keine Zeit mit Ausruhen verschwenden… Du mußt ihnen sagen…«

»Was?«

»Daß sie sich ausbreiten sollen. In diesem Nebel ausschwärmen. Wir müssen jede Nische ausfüllen, die wir hier finden können; wir können uns nicht länger auf die Überbleibsel einer fernen Vergangenheit stützen. Wenn wir überleben wollen, müssen wir an diesem Ort heimisch werden, unseren Einfallsreichtum und unsere neuen Ressourcen nutzen…« Ein weiterer Hustenanfall unterbrach seine Rede. »Ich will diese Bevölkerungsexplosion, von der wir gesprochen haben. Wir dürfen die Zukunft der Menschheit nie wieder von einem einzigen Sternennebel oder gar einem einzigen Schiff abhängig machen. Wir müssen diese verdammte Wolke erobern und uns dann auf weitere Nebel ausdehnen. Ich will an diesem verdammten Ort nicht nur Tausende, sondern Millionen von Menschen mit all ihren sozialen Aktivitäten.

Und Schiffe… wir werden neue Schiffe brauchen. Ich stelle mir Handelsbeziehungen zwischen den bevölkerten Nebeln vor, wie zwischen den legendären Städten der alten Erde. Und ich sehe uns Mittel und Wege finden, sogar die Lebensräume der Gravitationswesen zu besuchen…

Und ich sehe, daß wir eines Tages ein Schiff bauen werden, das uns zurück durch Bolder’s Ring bringt, dem Tor zum Universum der Menschheit. Wir werden zurückkehren und unseren Brüdern von unserem Schicksal berichten…« Dann war Hollerbachs Lebensenergie erschöpft; der ergraute Kopf war auf das schäbige Kissen gesunken, und die Augen hatten sich allmählich geschlossen.

Als es vorbei war, brachte Rees ihn zur Schleuse; Hollerbachs steife Finger hielten noch immer das Orbitalmodell umklammert. Still übergab er den Leichnam der würzigen Luft und sah ihn davontreiben, bis er vor dem Hintergrund der fallenden Sterne verschwunden war; dann erfüllte er Hollerbachs Wunsch und schleuderte das Orbitalmodell hinaus. Innerhalb weniger Sekunden war es verschwunden.

Er spürte einen warmen Körper an seiner Seite — Jaen stand schweigend neben ihm. Er nahm ihre Hand, drückte sie sanft, und seine Gedanken beschritten neue, unerforschte Pfade. Nun, da das Abenteuer vorüber war, konnten er und Jaen vielleicht an ein neues Leben denken, an ein eigenes Heim…

Jaen blieb die Luft weg. Sie zeigte nach oben. »Mein Gott… schau nur!«

Etwas stürzte vom Himmel. Es war ein kompaktes, blaßgrünes Rad aus Holz, wie ein Baum mit einer zwei Meter durchmessenden Krone. Wenige Meter vor Rees’ Gesicht kam es zum Stillstand und verhielt dort, wobei es schnell rotierend seine Position stabilisierte. Kurze, dicke Extremitäten schlängelten sich aus dem Baum, und irgend etwas, das wie Werkzeuge aus Holz und Eisen aussah, war an verschiedenen Stellen des Randes befestigt. Vergeblich hielt Rees nach den winzigen Piloten des Baumes Ausschau.