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»Barbar?« protestierte ich. »Ich bin zwar in Mailand geboren, aber meine Familie stammt aus dem Aostatal ...«

»Unsinn«, erwiderten sie, »den Piemontesen erkennt man sofort an seinem Skeptizismus.«

»Ich bin Skeptiker.«

»Nein. Sie sind bloß ungläubig, das ist was anderes.«

Ich wusste, warum Diotallevi dem Computer misstraute. Er hatte gehört, man könne damit die Ordnung der Buchstaben so verändern, dass ein Text sein eigenes Gegenteil erzeuge und dunkle Seherworte verheiße. Belbo versuchte es ihm zu erklären. »Es sind Permutationsspiele«, sagte er. »Nennt ihr das nicht Temurah? Tut das nicht der fromme Rabbi, um zu den Pforten des Glanzes aufzusteigen?«

»Mein lieber Freund«, erwiderte Diotallevi, »du wirst nie etwas begreifen. Es stimmt, die Torah, ich meine die sichtbare, ist nur eine der möglichen Permutationen der Buchstaben jener unsichtbaren ewigen Torah, die Gott ersann und Adam übergab. Und durch Permutationen der Lettern des Buches könnte man im Lauf der Jahrhunderte schließlich zur originalen Torah gelangen. Aber was zählt, ist nicht das Ergebnis. Es ist der Prozess, die Treue, mit der du die Mühle des Gebets und der Schrift in alle Ewigkeit drehst, um die Wahrheit Stück für Stück zu entdecken. Wenn dir diese Maschine die Wahrheit sofort sagen würde, würdest du sie nicht erkennen, denn dein Herz wäre nicht durch langes Suchen und Fragen gereinigt worden. Und außerdem bitte, in einem Büro! Das Heilige Buch muss gemurmelt werden, in einer kleinen und engen Kate im Ghetto, wo du Tag für Tag lernst, dich zu beugen und die Arme dicht am Leib zu bewegen, und zwischen der Hand, die das Buch hält, und der Hand, die im Buche blättert, darf so gut wie kein Raum sein, und wenn du dir die Finger benetzest, musst du sie senkrecht an die Lippen führen, als ob du Matze zerteiltest, sorgfältig darauf achtend, dass kein Krümel verloren geht. Das Wort muss langsam, ganz langsam gegessen werden, du kannst es nur auflösen und wieder zusammensetzen, wenn du es dir auf der Zunge zergehen lässt, und gib acht, dass du nichts davon auf den Kaftan sabberst, denn wenn nur ein einziges Wörtchen verloren geht, dann zerreißt der Faden, der dich mit den höheren Sefiroth verbindet. Dieser Übung hat Abraham Abulafia sein Leben geweiht, während euer heiliger Thomas sich abmühte, Gott auf seinen fünf Wegen zu finden. Abulafias Chochmath ha-Zeruf war gleichzeitig Wissenschaft von der Kombination der Lettern und Wissenschaft von der Herzensreinigung. Mystische Logik, die Welt der Buchstaben und ihres Strudelns in ewigen Permutationen ist die Welt der Glückseligkeit, die Wissenschaft der Kombination ist eine Musik des Denkens, aber gib acht, dass du dich langsam bewegst, und vorsichtig, denn deine Maschine könnte dich statt in Ekstase leicht in Delirium versetzen. Viele der Schüler Abulafias wussten nicht haltzumachen vor dieser schmalen Grenze, die das Betrachten der Namen Gottes von der magischen Praxis trennt, vom Manipulieren der Namen, um sich daraus einen Talisman zu machen, ein Instrument zur Herrschaft über die Natur. Und sie wussten nicht, so wie du es nicht weißt — und wie es deine Maschine nicht weiß —, dass jeder Buchstabe mit einem Glied des Körpers verbunden ist, und wenn du einen Konsonanten umstellst, ohne seine Macht zu kennen, könnte eines deiner Glieder leicht seine Position verändern, oder seine Natur, und du fändest dich bestialisch verstümmelt, außen fürs Leben und innen für die Ewigkeit.«

»Hör zu«, hatte Belbo daraufhin zu Diotallevi gesagt, »du bringst mich nicht davon ab, im Gegenteil. Jetzt habe ich also mir zu Diensten, so wie deine Freunde den Golem hatten — meinen persönlichen Abulafia. Ich werde ihn Abulafia nennen, Abu für die Freunde. Und mein Abulafia wird vorsichtiger und respektvoller sein als deiner. Bescheidener. Ist das Problem nicht, alle Kombinationen des Namens Gottes zu finden? Gut, schau mal in dieses Handbuch, hier hab ich ein kleines Programm in Basic zur Permutation aller Sequenzen von vier Buchstaben. Sieht ganz so aus, als wär's extra für IHVH gemacht. Hier, soll ich's mal laufen lassen?« Er zeigte ihm das Programm, das für Diotallevi nun wirklich kabbalistisch aussehen musste:

10 REM ANAGRAMME

20 INPUT L$(1),L$(2),L$(3),L$(4)

3 0 PRINT 40 FOR I1=1 TO 4

50 FOR I2=1 TO 4

60 IF I2=I1 THEN 130

70 FOR I3=1 TO 4

80 IF I3=I1 THEN 120

90 IF I3=I2 THEN 120

100 LET I4=I0(I1+I2+I3)

110 LPRINT L$(I1);L$(I2);L$(I3);L$(I4)

120 NEXT I3

130 NEXT I2

140 NEXT I1

150

END

»Probier's mal, schreib I, H, V, H, wenn er das Input verlangt, und lass das Programm laufen. Vielleicht wirst du enttäuscht sein: die möglichen Permutationen sind bloß vierundzwanzig.«

»Heilige Seraphim! Und was machst du mit vierundzwanzig Namen Gottes? Glaubst du, unsere Weisen hätten das nicht schon längst ausgerechnet? Lies doch mal das Sefer Jezirah, Abschnitt sechzehn im vierten Kapitel. Und sie hatten keine Computer. ›Zwei Steine erbauen zwei Häuser. Drei Steine erbauen sechs Häuser. Vier Steine erbauen vierundzwanzig Häuser. Fünf Steine erbauen einhundertzwanzig Häuser. Sechs Steine erbauen siebenhundertzwanzig Häuser. Sieben Steine erbauen fünftausendundvierzig Häuser. Von hier an geh und denke an das, was der Mund nicht sagen und das Ohr nicht hören kann.‹ Weißt du, wie man das heute nennt? Faktorenrechnung. Und weißt du, warum dir die Tradition rät, hier lieber haltzumachen? Weil, wenn der Name Gottes acht Buchstaben hätte, die Zahl der Permutationen vierzigtausend wäre, und bei zehn wären's drei Millionen sechshunderttausend, und die Permutationen deines armseligen Namens wären fast vierzig Millionen, und sei froh, dass du nicht auch noch eine middle initial hast wie die Amerikaner, sonst kämst du auf mehr als vierhundert Millionen. Und wenn die Lettern von Gottes Namen siebenundzwanzig wären — denn das hebräische Alphabet hat zwar keine Vokale, aber zweiundzwanzig Laute plus fünf Varianten —, dann wäre die Anzahl seiner möglichen Namen eine neunundzwanzigstellige Zahl. Aber du müsstest auch die Wiederholungen mitrechnen, denn man kann nicht ausschließen, dass der Name Gottes siebenundzwanzigmal hintereinander das Aleph ist, und dann würde die Faktorenrechnung nicht mehr genügen, du müsstest siebenundzwanzig hoch siebenundzwanzig rechnen — und dann kämst du, glaub ich, auf vierhundertvierundvierzig Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Möglichkeiten oder noch mehr, jedenfalls auf eine Zahl mit neununddreißig Stellen.«

»Du mogelst, um mich zu beeindrucken. Auch ich habe dein Sefer Jezirah gelesen. Die elementaren Lettern sind zweiundzwanzig, und mit ihnen, nur mit ihnen, formte Gott alles Geschaffene.«

»Das sind doch Sophistereien, wenn du in diese Größenordnungen vordringst, kommst du, auch wenn du statt siebenundzwanzig hoch siebenundzwanzig bloß zweiundzwanzig hoch zweiundzwanzig rechnest, dann kommst du trotzdem auf etwas wie dreihundertvierzig Milliarden Milliarden Milliarden. Wo ist da der Unterschied für dein Menschenmaß? Weißt du, dass, wenn du's auszählen müsstest, eins zwei drei und so weiter, eine Zahl pro Sekunde, dass du dann für eine Milliarde, ich sage bloß eine kleine Milliarde, fast zweiunddreißig Jahre brauchtest? Aber die Sache ist noch viel komplexer, als du meinst, und die Kabbala beschränkt sich nicht auf das Sefer Jezirah. Ich will dir sagen, warum eine gute Permutation der Torah alle siebenundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets benutzen muss. Es stimmt zwar, dass die fünf letzten, wenn sie bei einer Permutation ins Innere des Wortes fallen, sich in ihr normales Äquivalent verwandeln. Aber es ist nicht immer so. In Jesaja neun, zwei zum Beispiel ist das Wort LMRBH, Lema-rbah und das heißt, wie's der Zufall will, »multiplizieren« — mit dem Schluß-Mem in der Mitte geschrieben.«

»Und warum?«

»Weil jeder Buchstabe einer Zahl entspricht, und das normale Mem gilt vierzig, während das Schluss-Mem den Wert sechshundert hat. Hier geht es nicht um Temurah, die zu permutieren lehrt, sondern eher um Gematrie, die nach sublimen Affinitäten zwischen dem Wort und seinem Zahlenwert sucht. Mit dem Schluss-Mem hat das Wort LMRBH nicht den Wert 277, sondern 837 und ist daher gleichwertig mit ›ThThZL, Thath Zal‹, was heißt ›der, welcher reichlich schenkt‹. Woran du siehst, dass man alle siebenundzwanzig Buchstaben berücksichtigen muss, denn es geht nicht nur um den Klang, sondern auch um die Zahl. Und jetzt kommen wir auf meine Rechnung zurück: die Anzahl der Permutationen ist mehr als vierhundert Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden. Weißt du, wie lange du brauchtest, um sie alle durchzuprobieren, eine pro Sekunde, mal angenommen, du hättest eine Maschine, gewiss nicht deine erbärmliche kleine hier, die das könnte? Bei einer Kombination pro Sekunde brauchtest du sieben Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Minuten, das sind einhundertdreiundzwanzig Millionen Milliarden Milliarden Milliarden Stunden, also etwas mehr als fünf Millionen Milliarden Milliarden Milliarden Tage, also vierzehntausend Milliarden Milliarden Milliarden Jahre, gleich einhundertvierzig Milliarden Milliarden Milliarden Jahrhunderte oder vierzehn Milliarden Milliarden Milliarden Jahrtausende. Und wenn du einen Computer hättest, der eine Million Kombinationen pro Sekunde probieren könnte — ha, denk bloß mal, wie viel Zeit du damit gewinnen würdest: dein elektronischer Rechner wäre in vierzehntausend Milliarden Milliarden Jahrtausenden fertig! Aber in Wirklichkeit ist der wahre Name Gottes, der geheime, so lang wie die ganze Torah, und keine Maschine der Welt ist imstande, seine Permutationen je auszuschöpfen, denn die Torah ist schon an sich das Resultat einer Permutation mit Wiederholungen der siebenundzwanzig Buchstaben, und die Kunst der Temurah sagt dir nicht, dass du bloß die siebenundzwanzig Buchstaben des Alphabets permutieren musst, sondern sämtliche Zeichen der Torah, in der jedes Zeichen so viel gilt, als wär's ein selbstständiger Buchstabe, auch wenn es unzahlige Male auf anderen Seiten erscheint, mit anderen Worten: die beiden He im Namen JHWH gelten soviel wie zwei verschiedene Buchstaben. Und somit würden dir, wenn du die möglichen Permutationen aller Zeichen der ganzen Torah berechnen wolltest, alle Nullen der Welt nicht genügen. Probier's nur, probier's mit deinem kläglichen Buchhalterrechenmaschinchen. Die Große Maschine existiert, gewiss, aber sie ist nicht in deinem Silikontal produziert worden, sie ist die heilige Kabbala oder Tradition, und die Rabbiner tun seit Jahrhunderten, was keine Maschine je tun können wird und hoffentlich niemals tut. Denn selbst wenn die Kombinatorik ganz ausgeschöpft wäre, müsste das Ergebnis geheim bleiben, und in jedem Fall hätte das Universum dann seinen Zyklus beendet — und wir würden bewusstlos zerstrahlen im Glanze des großen Metatron.«