Выбрать главу

Ein Dialog schreckte mich auf, ein sachliches und teilnahmsloses Gespräch zwischen einem Jüngling mit Brille und einem Mädchen, das leider keine trug.

»Das Foucaultsche Pendel«, sagte er. »Erstes Experiment im Labor 1851, dann im Observatoire und dann unter der Kuppel des Pantheon, mit einem siebenundsechzig Meter langen Faden und einer Kugel von achtundzwanzig Kilo. Schließlich 1855 hier aufgebaut, etwas kleiner, und seitdem hängt es nun da aus dem Loch auf halber Höhe des Kreuzgewölbes.«

»Und was macht es da? Pendelt bloß so?«

»Es demonstriert die Rotation der Erde. Weil der Aufhängepunkt, der bleibt stehen ...«

»Und wieso bleibt er stehen?«

»Weil ein Punkt, wie soll ich sagen ... in seinem Mittelpunkt ..., also Pass auf, jeder Punkt, der genau in der Mitte der Punkte ist, die du siehst, ich meine, diesen zentralen Punkt — den geometrischen Punkt —, den kannst du nicht sehen, er hat keine Dimensionen, und was keine Dimensionen hat, kann weder rechtsrum noch linksrum gehen, weder rauf noch runter. Deswegen rotiert er nicht. Verstehst du? Wenn der Punkt keine Dimensionen hat kann er sich auch nicht um sich selbst drehen. Er hat nicht mal ein Selbst ...«

»Auch nicht, wenn die Erde sich dreht?«

»Die Erde dreht sich, aber der Punkt dreht sich nicht. Ob's dir passt oder nicht, so ist das nun mal. Okay?«

»Seine Sache.«

Erbärmlich. Da hatte sie nun über sich den einzigen festen Punkt im Kosmos, den einzigen rettenden Anker in der Verdammnis des panta rhei, und meinte, es wäre Seine Sache, nicht ihre! Tatsächlich ging das Pärchen gleich darauf weiter — er belehrt von einem Schulwissen, das ihm die Fähigkeit zum Staunen vernebelt hatte, sie träge, unerreichbar für den Schauder des Unendlichen, beide unberührt von der Schreckenserfahrung dieser ihrer Begegnung der ersten und letzten — mit dem Einen, dem En-Sof, dem Unsagbaren.

Wie war es möglich, nicht auf die Knie zu fallen vor dem Altar der Gewissheit?

Ich schaute ehrfürchtig und beklommen. In diesem Moment war ich überzeugt, dass Jacopo Belbo recht gehabt hatte. Als er mir von dem Pendel erzählte, hatte ich seine Erregung einer ästhetischen Schwärmerei zugeschrieben, jenem Krebsgeschwür, das langsam, unförmig, in seiner Seele Gestalt anzunehmen begann, indem es Schritt für Schritt, ohne dass er es merkte, sein Spiel in Realität verwandelte. Doch wenn er mit dem Pendel recht gehabt hatte, dann war ja vielleicht auch alles andere wahr, der Große Plan, das Universale Komplott, und es war richtig gewesen, dass ich hergekommen war, am Abend vor der Sommersonnwende. Jacopo Belbo war nicht verrückt, er hatte einfach beim Spielen, durch das Spiel, die Wahrheit entdeckt.

Und die Erfahrung des Numinosen hält man nicht lange aus, ohne den Verstand zu verlieren.

Ich versuchte den Blick vom Pendel zu lösen, indem ich der Kurve folgte, die von den Kapitellen der im Halbkreis angeordneten Säulen längs der Gewölberippen zum Schluss- stein verlief, womit sie das Wunder des Spitzbogens wiederholte, der sich auf einer Abwesenheit errichtet, höchste statische Hypokrisie, und der die Säulen glauben macht, sie stemmten die Rippen nach oben, und diese, vom Schlussstein zurückgewiesen, sie drückten die Säulen fest auf den Boden, während doch das Gewölbe in Wahrheit ein Alles und Nichts ist, Wirkung und Ursache gleichzeitig. Doch bald wurde mir bewusst, dass eine Vernachlässigung des Pendels, das vom Gewölbe hing, um stattdessen das Gewölbe zu bewundern, so viel war wie ein Verzicht auf den Trunk aus der Quelle, um sich stattdessen am Bach zu berauschen.

Das Chorgewölbe von Saint-Martin-des-Champs existierte nur, weil dort kraft des Gesetzes das Pendel existieren konnte, und dieses existierte nur, weil jenes existierte. Niemand entflieht dem Unendlichen, sagte ich mir, während ich zu einem anderen Unendlichen floh, niemand entgeht der Offenbarung des Identischen, wenn er sich einbildet, dem Differenten begegnen zu können.

Ohne den Blick vom Schlussstein des Gewölbes lösen zu können, trat ich langsam zurück, Schritt für Schritt — denn als ich vorhin hereingekommen war, hatte ich mir den Weg gut eingeprägt, und die großen Schildkröten aus Metall, die da rechts und links an mir vorbeizogen, waren imposant genug, um aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu werden. Ich ging rückwärts durch das Langschiff der Kirche zum Eingang, und erneut hingen über mir jene drohenden prähistorischen Vögel aus rissiger Leinwand und rostigen Drähten, jene bösartigen Libellen, die ein verborgener Wille dort von der Decke hatte herabhängen lassen. Sie kamen mir vor wie Metaphern der Weisheit, viel bedeutungsvoller und anspielungsreicher, als der didaktische Vorwand sie gemeint zu haben vorgeben mochte. Flug von Insekten und Reptilien der Jurazeit, Allegorie der langen Wanderungen, die das Pendel am Boden resümierte, Archonten, perverse Emanationen — jawohl, das waren sie, die da über mir hingen mit ihren langen Archaeopteryx-Schnäbeln, die Flugzeuge von Breguet, Bleriot, Esnault und der Helikopter von Dufaux.

So betritt man tatsächlich das Conservatoire des Arts et Metiers in Paris, nachdem man einen barocken Hof durchquert hat und in die alte Abteikirche tritt, die in den späteren Gebäudekomplex eingebaut ist, wie sie einst in das ursprüngliche Priorat eingebaut war. Man tritt ein und ist geblendet von dieser Verschwörung, die das höhere Universum der himmlischen Wölbungen mit der chthonischen Welt der Mineralölfresser verbindet.

Unten reihen sich alte Automobile, Zweiräder und Dampfwagen, oben hängen die Flugzeuge der Pioniere, manche Objekte sind noch intakt, wenn auch verschlissen und zernagt von der Zeit, und alle gemeinsam erscheinen im teils natürlichen, teils elektrischen Zwielicht wie überzogen mit einer Patina, mit dem Lack alter Geigen; manche sind nur noch Skelette, Chassisgerippe, wirre Gestänge und Hebelwerke, die unsägliche Torturen androhen, schon siehst du dich angekettet an jene Streckbetten, wo sich etwas bewegen und sich dir ins Fleisch bohren könnte, bis du gestehst.

Und hinter dieser Reihe von einst mobilen, nun immobilen Objekten mit verrosteter Seele, reinen Zeichen eines technologischen Stolzes, der sie hier den staunenden Blicken der Besucher ausgestellt haben wollte, öffnet sich, links bewacht von einer Freiheitsstatue, dem verkleinerten Modell derjenigen, die Bartholdi für eine andere Welt entworfen hatte, und rechts von einer Statue Pascals, der Chor mit dem schwingenden Pendel, umringt vom Albtraum eines kranken Entomologen — Scheren, Kiefer, Fühler, Wurmglieder, Flügel, Krallen, ein Friedhof von mechanischen Kadavern, die sich alle gleichzeitig wieder in Gang setzen könnten — Elektromagnete, Einphasen-Transformatoren, Turbinen, Gruppen von Umsetzern, Dampfmaschinen, Dynamos —, und ganz hinten, hinter dem Pendel, im Chorumgang, assyrische, chaldäische und karthagische Götterbilder, große Baale mit einst brennenden Bäuchen, Eiserne Jungfrauen mit bloßgelegten, nägelstarrenden Herzen, die einst Flugzeugmotoren waren — eine unsägliche Korona von Götzen, die da anbetend vor dem Pendel liegen, als wären die Kinder der Aufklärung und des Rationalismus dazu verdammt, für ewig das Ursymbol der Tradition und der Weisheit zu hüten.

Und die gelangweilten Touristen, die ihre neun Francs an der Kasse bezahlen und sonntags gratis hereindürfen, können sie ernsthaft glauben, dass alte Herren aus dem neunzehnten Jahrhundert, Herren mit nikotingelben Bärten, fettigen und zerknautschten Kragen, schwarzen Schleifenkrawatten, schnupftabakstinkenden Gehröcken, die Finger braun von Säuren, die Hirne versauert von akademischen Neidereien, Gespenster zum Lachen, die sich gegenseitig eher Maitre nannten — dass solche Herrschaften diese Objekte hier ausgestellt hätten, hier unter diesen Gewölben, bloß um sie brav vorzuzeigen, um ihre bürgerlichen und radikalen Geldgeber zu befriedigen, um die großen und segensreichen Errungenschaften des Fortschritts zu preisen? Nein, nein, Saint-Martin-des-Champs war konzipiert worden, zuerst als Priorat und dann als Revolutionsmuseum, um die geheimsten Weisheiten zu versammeln, und diese Flugzeuge, diese automobilen Vehikel, diese elektromagnetischen Drahtgerippe waren hier, um einen Dialog zu führen, dessen Formel mir noch entging.