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Bruder Isenbard machte eine bedrückte Miene. »Bona culina, bona disciplina - Eine gute Küche bringt gute Disziplin! Dies ist stets der Leitspruch unseres hochwürdigen Abtes gewesen. Aber Himmerod hat schlechte Zeiten hinter sich. Die Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges sind nicht spurlos an uns vorbeigegangen. Ach, wie oft sind plündernde Soldatenhorden über unsere Abtei hergefallen!«, klagte er, um mit Bitterkeit fortzufahren. »Nicht allein die protestantischen Heere haben sich den Grundsatz der schwedischen Herrscher zu Eigen gemacht, demnach fremde Heere sich ihren Sold und ihre Verpflegung nach wallensteinschem Muster in Deutschland selbst einzutreiben hätten. Auch die Armeen der katholischen Liga sind so verfahren und haben das eigene Land bis zum letzten ausgepresst.« Er machte eine Pause und fragte dann: »Habt Ihr schon mal von dem >Kometen mit dem langen Schweif< gehört?«

Jakob schüttelte den Kopf.

»Er erschien vor Ausbruch des Krieges, an einem Novembertag im Jahre des Herrn 1618, und verbreitete am Himmel ein gespenstisches Rotlicht. Genau dreißig Tage und Nächte konnte man ihn sehen und jedermann, der Augen im Kopf hatte und derlei Zeichen zu deuten vermochte, wusste, dass dieser Komet düstere Ereignisse verhieß«, berichtete Bruder Isenbard mit leiser, gedankenschwerer Stimme. »Viele Eltern versprachen in jener Zeit einen ihrer Söhne einem Bettelorden, um drohendes Unheil abzuhalten. Auch meine Eltern legten den heiligen Schwur ab, dass mein Leben einem gottgefälligen Dasein im Kloster gewidmet sein sollte. Und so kam ich schon mit zwölf Jahren nach Himmerod. Nicht, dass ich es bereut hätte von meinen Eltern zu diesem Leben vorbestimmt worden zu sein. Aber das schreckliche Unheil, das dann über das Land gekommen ist, haben diese vielen heiligen Gelübde nicht aufhalten können.«

»Für jeden Tag dieser Kometenerscheinung mit seinem roten Licht ist also ein blutrünstiges Kriegsjahr gekommen«, stellte Jakob fest.

Bruder Isenbard nickte. »Auch Himmerod hat in dieser grausamen Zeit schwer zu leiden gehabt. Immer wieder wurden wir geplündert, mit drückenden Abgaben belegt und mussten Zwangseinquartierungen hinnehmen. Wie oft fielen lothringische Truppen über uns her, aber auch Truppen unserer eigenen Liga! Allein 1650 wurden wir dreimal hintereinander geplündert. Wir litten derart unter Hunger, dass wir bei den Bauern, die sich in den Wäldern versteckt hatten, betteln mussten. Unser Abt musste sogar zehn Mönche in andere Klöster schicken, weil einfach nicht genügend zu essen für alle da war. Ein Jahr später suchte uns der Herzog von Lothringen, trotz des Westfälischen Friedens vom Oktober 1648, wieder heim und ließ weder einen Tropfen Wein noch eine einzige Brotkrume zurück. Auch alle Kleider und aller Hausrat gingen wieder einmal verloren. Wir Mönche versteckten uns zwei Tage und zwei Nächte auf dem Speicher der Abtei und über dem Kirchengewölbe, während die Soldaten in unserem Kloster wie die Vandalen wüteten. Oh, es war eine entsetzliche Zeit, die mich heute noch erschauern lässt, wenn ich daran denke, welches Elend dieser Krieg über das Land gebracht hat.«

Jakob schwieg. Er hatte seine eigenen Erinnerungen, die um einiges schlimmer waren als ein vor Hunger knurrender Magen und die Angst diesen blindwütigen, blutdürstigen Landsknechten in die Quere zu kommen und kurzerhand abgestochen zu werden. Es waren Erinnerungen, über die er nicht sprechen wollte, sondern die er tief in seinem Innern vergraben hatte, wo sie hoffentlich zu seinen Lebzeiten so wenig auferstehen würden wie die Toten in ihren Gräbern.

Eine zweite, große Kiepe mit Feuerholz stand draußen vor der Tür zum Küchengewölbe und Jakob nahm Bruder Isenbard die Arbeit ab sie die Treppe hinunterzutragen. Gemeinsam schichteten sie das Holz auf, während der Mönch ihm bereitwillig erklärte, welche Räume welchem Zweck dienten, wann die Mahlzeiten in Verbindung mit der Tischlesung im Refektorium eingenommen wurden und dass man im Parlatorium, in das sich gerade die drei Stiftsherren begeben hatten, nach Herzenslust reden konnte. Er erfuhr allerlei interessante Dinge von dem kleinen Ordensbruder, dem die grauen Haarbüschel aus Ohren und Nase wucherten.

Ihr munteres Gespräch fand ein jähes Ende, als ein breitschultriger Mönch mit einem Schädel so kantig wie ein Hauklotz erschien.

»Bruder Anton, unser Refektorearius, der Speisebruder!«, stieß Bruder Isenbard leise hervor und warnte ihn: »Macht besser, dass Ihr verschwindet. Bruder Anton neigt zu Unleidlichkeit und duldet keine Fremden in den Küchenräumen!«

Jakob machte, dass er dem Refektorearius, der ihm einen erbosten Blick zuwarf, so schnell wie möglich aus den Augen kam. Er huschte durch eine offen stehende Tür, die ihn in das Refektorium führte, einen lang gezogenen Speisesaal mit harten Holzbänken und -tischen längs der Wände sowie einer kleinen Kanzel, die in eine Nische eingefügt war und von der aus einer der Mönche während der schweigend eingenommenen Mahlzeiten aus der Ordensregel des heiligen Benedikt sowie aus Bibel und Heiligengeschichte vorlas. Die hohen Wände gingen in ein fast rundes Deckengewölbe über. An der Stirnwand des Saals waren drei schmale, aber hohe Bogenfenster eingelassen, durch die nun helles Morgenlicht flutete und den blank polierten Quadersteinen des Fußbodens einen blau schimmernden Glanz entlockte. Ebenfalls an der Stirnwand hing ein schlichtes, mehr als mannshohes Kreuz mit dem Korpus des Gekreuzigten. Es schien nicht an der Wand zu hängen, sondern in diesem Strom aus Sonnenlicht zu schweben.

Jakob bekreuzigte sich hastig und verließ das Refektorium durch eine Tür gegenüber der Wand mit den Fenstern und dem Kreuz. Zu seinem Erstaunen fand er sich im Kreuzgang wieder. Er wandte sich nach rechts, wo er einen Durchgang und dahinter eine breite Treppe erblickte, die hoch ins Obergeschoss führte.

Schon wollte er die Treppe hinaufeilen, als er eine sonore Stimme vernahm, die aus dem Raum zu seiner Linken kam. Das muss das Parlatorium sein, von dem Bruder Isenbard gesprochen hat!, fiel es Jakob ein. Der Raum, in dem sich die drei Stiftsherren aufhielten.

Die schwere Kassettentür zum Parlatorium stand eine gute Hand breit offen und Jakob konnte der Versuchung nicht widerstehen näher zu treten und zu lauschen, was diese vornehmen Kirchenmänner zu bereden hatten.

». sollten die Zeit nutzen, wenn wir schon nicht Weiterreisen können«, sagte die dunkle, volle Bassstimme.

»Rufinus hat Recht«, stimmte ihm eine heiser klingende Stimme zu. »Es kann nicht schaden unsere Argumentation für den Disput noch einmal auf Schwachstellen zu überprüfen.«

»Und ich sage Euch, mein verehrter Mattheiß, es gibt keine«, meldete sich der dritte Stiftsherr zu Wort. »Wer wollte es wagen daran zu zweifeln, dass Maria Gottes Sohn acht Tage vor den Kaien-den des April, also am 25. März, empfangen hat - am selben Tag, an dem unser Herr auch am Kreuz für uns gestorben ist. Hat doch schon unser Kirchenvater, der heilige Augustinus, in seinem gelehrten Traktat über die Dreifaltigkeit, diesen Tag der Heilsgeschichte bestätigt!«

»In der Tat, Dederich!«, pflichtete ihm Stiftsherr Rufinus bei. »Jeweils acht Tage vor den Kaienden des April schuf Gott die Welt, hauchte er Adam Seele ein, wurde Abel von seinem Bruder Kain erschlagen, wurde die Welt von der Sintflut vernichtet, war Abraham zur Opferung seines Sohnes Isaak bereit, kam König Pharao von Ägypten mit seinem Heer im Roten Meer um, wurde Maria vom Erzengel Gabriel die Gnadenbotschaft Gottes verkündet, starb Christus zur Erlösung der Welt am Kreuz - wie auch der Apostel Paulus an diesem Tag des Jahres aus dem Kerker befreit und Apostel Jakobus enthauptet wurde.«

»Vergesst nicht, dass Jerusalem sich an diesem Tag von den tyrannischen Fesseln des Titus und Vespasian befreite!«, warf Dederich ein.

»Die Heilstaten Gottes fanden zweifellos acht Tage vor den Kaienden des April statt!«, bestätigte Mattheiß. »Christus, unser Herr, wurde am Tag der Tagundnachtgleiche empfangen und geboren am Tag der Wintersonnenwende, wenn die Tage wieder zunehmen. Während Johannes der Täufer am Tag der Sommersonnenwende, wenn die Länge der Tage abnimmt, zur Welt kam. Dies entspricht ihrem göttlichen Auftrag. Denn sagte Johannes im Evangelium seines gleichnamigen Bruders in Christo im Kapitel 3, Vers 30 nicht selber: >Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden<?«