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»Ist Euch jemand auf den Fersen? Oder ist Euch vielleicht der Leibhaftige begegnet?«, fragte Henrik Wassmo mit unbeweglicher Miene und auf die ihm eigene trockene Art, die nicht verriet, ob seine Frage ernst gemeint oder nur Spott war.

»Nein, ich habe heute nur einen besonders schlechten Tag«, stieß Jakob verdrossen hervor.

»Der nächste Tag ist immer noch schlechter.«

»Danke für Eure trostvollen Worte! Das macht mir das Herz wirklich ungemein leichter!«, grollte Jakob und sagte dann mit einem Blick auf das Stück Holz, an dem der Schwede herumschnitzte: »Ich sehe, Ihr habt Euch von den Brüdern eine sinnvolle Arbeit zuteilen lassen.«

»Es ist weit besser müßig zu sein als nichts zu tun!«, lautete Henrik Wassmos schlagfertige Antwort und dabei verzog er in seinem pockennarbigen Gesicht nicht einen einzigen Muskel. »Des Menschen Leben ist wie Gras, wie eine Blume blüht er auf. Und kommt ein Wind, wo bleibt die Rose, und weiß noch einer, dass sie war?«

»Ihr scheint ja auf alles eine Antwort zu haben, Schwede«, sagte Jakob und wusste nicht recht, ob er verärgert oder belustigt sein sollte. »Dann könnt Ihr vielleicht auch das Rätsel lösen, wieso gestern kurz nach Mitternacht ein Reiter mit einem zweiten Pferd die Abtei verlassen hat - mitten im Sturm!«

Henrik Wassmo stutzte. Er ließ Messer und Holz sinken, während sein Kopf ruckartig zu Jakob herumfuhr. »Was sagt Ihr da? Ein Reiter mit zwei Pferden hat Himmerod noch bei Nacht verlassen? Seid Ihr Euch dessen sicher?«

»Ja, kurz nachdem die Glocke zur Matutin gerufen hat!«, versicherte Jakob. »Ich habe es von meiner Zelle aus deutlich gesehen!«

Henrik Wassmo blickte einen Augenblick stumm über den Hof. Dann steckte er das Messer weg, ließ das flache Holzstück in einer Brusttasche verschwinden und wandte sich zum Gehen.

»He, was hat das zu bedeuten?«, rief Jakob ihm ärgerlich nach. »Wollt Ihr mir keine Antwort geben?«

»Hat einer nicht mehr Gottesfurcht im Herzen, gewinnt das Böse leicht sein Ohr!«, lautete die geheimnisvolle Antwort des Schweden. Dann stiefelte er hastigen Schrittes in Richtung Konventsgebäude davon.

Mit grimmiger Miene sah Jakob ihm nach. Bruder Tarzisius und der Mönch mit der Augenklappe waren nicht die Einzigen, die ein merkwürdiges Betragen an den Tag legten! Irgendetwas Rätselhaftes ging in diesem Kloster vor und es hatte mit dem sterbenden, ehemaligen Abt zu tun, den er nach Himmerod gebracht hatte, darauf wollte er schwören. Aber niemand dachte daran, ihn auch nur vage in das Geheimnis einzuweihen, und das nährte seinen tiefen Groll.

Wenige Minuten später sah Jakob den Subprior über den Hof eilen. Bruder Tarzisius hielt direkt auf die Stallungen zu. Nach der heftigen Auseinandersetzung in der Zelle erschien es ihm ratsamer dem Subprior eine Weile aus dem Weg zu gehen.

Doch Bruder Tarzisius wechselte sofort seine Richtung, als Jakob sich von den Stallungen entfernte. Er winkte ihm zu und rief mit dampfendem Atem: »Wartet!... Jakob Tillmann, wartet!. Ich habe mit Euch zu sprechen!«

Jakob zögerte, ob er der Aufforderung Folge leisten sollte, und blieb dann mit finsterer Miene und zusammengepressten Lippen stehen. Er war nicht schlecht überrascht, als Bruder Tarzisius auf den letzten Schritten die Arme ausbreitete, als wollte er ihn gleich in brüderlicher Umarmung an seine Brust drücken, und ihm mit einem entschuldigenden Lächeln gegenübertrat.

»Könnt Ihr mir noch einmal verzeihen, junger Freund?«, waren seine ersten Worte. »Ich würde es Euch nicht verdenken, wenn Ihr es nicht könntet. Wer vermag schon das Gebot unseres Herrn, nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal und mehr zu vergeben, stets zu befolgen? Ich gestehe, Euch großes Unrecht angetan zu haben, und ich erbitte Eure großmütige Vergebung.«

Jakob war sprachlos vor Verblüffung.

Bruder Tarzisius schüttelte mit betrübter Miene den Kopf und hob die Hände in einer Geste der Ratlosigkeit, während er fortfuhr: »Mir ist selbst schleierhaft, was vorhin bloß in mich gefahren ist Euch derartig zuzusetzen und Vorhaltungen zu machen, die jeglicher Grundlage entbehren. Ich habe wohl die Nerven verloren und es tut mir aufrichtig Leid.«

Jakobs Gesicht entspannte sich. Die Entschuldigung des Subpriors ging ihm hinunter wie Öl, war Balsam für seine Seele. Er bewahrte sich jedoch eine gute Portion gesundes Misstrauen. »So«, sagte er deshalb nur und wartete ab.

Bruder Tarzisius seufzte und machte ein zerknirschtes Gesicht. »Meine ehrwürdigen Mitbrüder haben mir, obwohl dessen gar nicht würdig, zu viel Verantwortung anvertraut. Die vielen Aufgaben und Sorgen, die mich beschäftigen, haben es wohl mit sich gebracht, dass ich Euch vorhin so schändlichst ungerecht behandelt habe. Ich bitte Euch noch einmal um Eure Vergebung und verspreche Euch, dass ich meine Entgleisung wieder gutmachen werde.« Und dabei senkte er demütig den Kopf.

Nun wurde Jakob die Angelegenheit unangenehm. Der Mönch hatte sich entschuldigt, aus welchem Antrieb auch immer, und damit musste es gut sein. Diese Büßerhaltung, die der Subprior jetzt einnahm, war ihm peinlich und ging ihm gegen den Strich. Auch regte sich Argwohn in ihm, ob dieses Benehmen wohl überhaupt aufrichtig war.

»Ich bin kein nachtragender Mensch. Es soll also vergessen sein«, sagte Jakob und fühlte sich dabei ganz unwohl in seiner Haut. Manchmal war es doch entschieden einfacher, seinen Groll gegen einen Menschen weiter zu hegen und zu pflegen, als eine Entschuldigung anzunehmen und ihm zu verzeihen. »Aber wenn Ihr wirklich etwas gutmachen wollt, dann könnt Ihr Euch darum kümmern, dass mir die Belohnung ausgezahlt wird, die Bruder Anselm mir versprochen hat.«

Der Subprior nickte eifrig. »Ihr könnt versichert sein, dass ich mich Eurer berechtigten Forderungen annehmen und bei der nächsten Gelegenheit mit unserem hochwürdigen Abt darüber reden werde, möglicherweise schon gleich nach der Kapitellesung.«

»Das wäre mir sehr lieb.«

»Und wenn Ihr mir etwas Zeit einräumt, dann werde ich mich darum bemühen, dass trotz unserer angespannten wirtschaftlichen Lage genug für Euch herausspringt, um ein gutes Zugtier für Euren Karren zu erstehen und für den Rest des Winters versorgt zu sein«, versprach Bruder Tarzisius. »Nun, wie klingt das, Jakob Tillmann?«

Das war Musik in Jakobs Ohren und er konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. »Das klingt sehr gut, Bruder Tarzisius.«

»Aber ich muss Euch um einen Gefallen bitten.«

Jakob runzelte die Stirn. »Jetzt kommt der Haken, ja?«, fragte er mit neu erwachtem Misstrauen.

»Nein, kein Haken. Es ist bloß ein Gefallen, um den ich Euch bitten möchte. Natürlich ist es Euch ganz unbenommen ihn unserer Gemeinschaft zu verwehren. Es wird Eurer verdienten Entlohnung auch nicht zum Nachteil gereichen, Ihr habt mein Wort drauf.«

»So, und was ist das für ein Gefallen?«

»Ihr seid doch Fuhrmann und versteht Euch darauf, ein Gespann zu lenken, nicht wahr?«

Jakob nickte, obwohl er alles andere als ein Fuhrmann war, wie er bei seiner Ankunft in Himmerod behauptet hatte. Aber auf Schlehenbusch hatte er gelernt mit Pferden umzugehen und eine Kutsche zu lenken. »Sicher, obwohl es immer auf das Gespann ankommt«, schränkte er vorsichtshalber ein.

»Nun, unsere Pferde sind weder von hitzigem Temperament noch von störrischer Natur. Ihr werdet keine Schwierigkeiten haben sie unter Kontrolle zu halten, wenn Ihr mir den Gefallen tut mit Bruder Liffard zu einem unserer Wirtschaftshöfe hinauszufahren.«

»Und wozu ist die Fahrt nötig?«

»Drei Tonnen Mastfutter und ein Fass Wein werden dringend auf dem Schwickerather Hof erwartet, der bei Steinborn, einige Meilen nordwestlich von hier und hinter dem Kammerforst, liegt. Wenn Ihr Euch ein wenig sputet, werdet Ihr weit vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Und selbstverständlich werdet Ihr eine handfeste Brotzeit mit auf den Weg bekommen!«