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»Du rufst, aber im Wind verweht dein Wort«, sagte der Schwede spöttisch.

Rutger Mundt fixierte ihn scharf. »Wollt Ihr Euch über mich lustig machen, Spitzbart?«, zischte er und trat ganz nahe an den Schweden heran.

Dieser rührte sich weder von der Stelle, noch verzog er auch nur einen Muskel im Gesicht. »Dein Wort ist noch so jung in mir. Tu meine Augen auf, dass sie das Licht deiner Wunder fassen. Und in meine Seele senke Sehnsucht nur deinen Willen zu erfüllen«, deklamierte er, den Kopf leicht zur Seite geneigt und den Blick gen Himmel gerichtet, als lauschte er verzückt seinen eigenen Worten nach.

Jakob wäre beinahe in schallendes Gelächter ausgebrochen, als er den Schweden aus dem Psalter rezitieren hörte und dabei den ungläubigen Gesichtsausdruck des Kutschers sah.

»Ich warne Euch!«, zischte Rutger Mundt und Jakob nahm nun einen fauligen Geruch wahr, der dem Mund des groben Kerls entströmte. »Geht an die Arbeit und ich will Eure Unverschämtheit vergessen!«

Der Schwede zeigte sich nicht im mindesten beeindruckt. »Ich habe weise Räte: deine Worte«, antwortete er ruhig. »Ich aber preise den gerechten Gott und nur Gerechte feiern mit das ew’ge Fest vor seinem Angesicht.«

Jakob bemerkte plötzlich, dass der Kutscher unter seinen Umhang griff. Im selben Moment legte aber auch der Schwede seine Hand scheinbar zufällig auf den Griff seines Dolches. »Nur zu, leg aus, was du geboten, mich dürstet nach dem Kelch der Weisung!« Ein drohender Unterton lag in seiner trügerisch sanften Stimme.

Der Kutscher zögerte.

Die Anspannung zwischen den beiden Männern war fast mit Händen zu greifen. Jeden Augenblick konnten Messerklingen aufblitzen und Blut fließen.

»Der gute Mann spricht in Psalmen«, platzte es da aus Jakob heraus, als müsste er den Schweden vor dem Zorn dieses Fremden beschützen. »Er kann nicht anders! Das ist so seine Art. Ihr könnt hier jeden Klosterbruder danach fragen!«

»Gesegnet ist das wenige des Gerechten, verflucht des Bösen Überfluss«, sagte der Schwede mit einem kurzen Seitenblick zu Jakob. »Wie Mond erlischt in Wolken, so gehn die Bösen unter.«

Jakob sah, wie der Kutscher die Lippen zu einem dünnen, harten Strich zusammenpresste, und hielt den Atem an. Noch immer lag Gewalt in der Luft.

»Mundt, was geht da vor? Wie lange wollt Ihr mich noch warten lassen? Ihr sollt nicht herumstehen und mit den Leuten schwatzen!«, rief Melchior von Drolshagen voller Ungeduld. »Habt Ihr vielleicht vergessen, wofür ich Euch bezahle?«

Fast im selben Augenblick ging die Tür auf und Bruder Tarzisius eilte, die Kutte geschürzt wie ein Weib die Röcke, die Stufen des Portals hinunter. Er konnte gar nicht schnell genug zum Domherrn Melchior kommen, um ihn willkommen zu heißen und lautstark zu verkünden, wie überrascht der Konvent über seinen unerwarteten Besuch sei, aber auch wie geehrt den erzbischöflichen Berater in Himmerod zu Gast zu haben. Und als Melchior von Drolshagen ihn ungnädig darauf hinwies, dass er nicht gedenke das Leder seiner Stiefel zu ruinieren oder sich gar nasse Füße zu holen, da rief der Subprior eilfertig Liffard und zwei andere Konversen zu sich und wies sie an, die Arbeit zu tun, für die der Kutscher Jakob und den Schweden im Auge gehabt hatte.

Damit war der kritische Moment überwunden.

»Ihr habt Glück gehabt, Spitzbart! Aber wagt es nicht noch einmal mir und meinem Herrn so dreist die Stirn zu bieten!«, fauchte Rutger Mundt den Schweden an. »Das nächste Mal kommt Ihr nicht so billig davon!«

»Dein Wort gehe in mir auf wie ein Batzen Hefe in einer warmen Stube!«, erwiderte der Schwede sarkastisch.

Rutger Mundt starrte ihn an wie ein Henkersknecht, der Maß für das Richtschwert nimmt. Unter seinem rechten Auge zuckte nervös ein Muskel. Dann wandte er sich abrupt ab und kehrte zur Kutsche zurück.

Im nächsten Moment stand Bruder Basilius in ihrer Mitte, die Kapuze weit in die Stirn gezogen, sodass von seinem Gesicht kaum etwas zu erkennen war. »Habt Ihr Euch mit ihm angelegt, Henrik?«, fragte er leise.

Der Schwede zuckte die Achsel, nahm die Hand vom Dolch und schlug sich die rechte Seite seines Umhangs über die linke Schulter. »Jeder erhält die Antwort, die er verdient.«

»Ihr hättet ihn nicht herausfordern dürfen! Das war äußerst unklug von Euch!«, tadelte Bruder Basilius ihn ungehalten.

»Nicht ich habe ihn herausgefordert, sondern er mich. Lautre Wahrheit ist’s, was ich beteure!«

»Ich kenne Euch, Henrik. Und nur zu gut! Euer Stolz steht Eurer Starrköpfigkeit in nichts nach!«, grollte der Mönch. »Jedenfalls war das unserer Sache gewiss nicht dienlich. Denn wer immer dieser Mann dort sein mag, er ist von Beruf so wenig Kutscher, wie Ihr ein Posamentenmacher seid!«

Der Schwede gab sich zerknirscht. »Sieh an mein Leid, mein Reuen, vergiss darüber meine Schuld«, zitierte er wieder aus den Psalmen.

Der Mönch machte eine grimmige Miene. »Euer Eigensinn ist manchmal schwerer zu ertragen als die Gefahren der Pilgerschaft!«, schimpfte er.

»Herr, lass deinen Zorn verrauchen, straf mich nicht mit deinem Grimm.«

Bruder Basilius gab es auf. »Ihr seid unverbesserlich, Henrik Wassmo! Manchmal glaube ich, der Herr hat mich mit Euch mehr gestraft als gesegnet. Ich hätte Euch schon Vorjahren zurück übers Meer schicken sollen!«, brummte er und sagte brüsk zu Jakob: »Und wenn Ihr auch nur so viel Hirn habt, wie in eine Haselnuss passt, dann bringt Ihr mehr Meilen zwischen Euch und diese Leute.«, er deutete zur Kutsche hinüber, »als Ihr zählen könnt!« Damit stiefelte er mit gesenktem Kopf davon.

Der Schwede sah ihm nach und Jakob meinte auf dem pockennarbigen Gesicht den Hauch eines belustigten Lächelns erkennen zu können, als dieser sagte: »Er gleicht einem Baum am Bach, der immer voll Saft und in Laub. Ein Vagabund im Heiligen Geist!«

»Wie kommt es, dass Ihr, ein Schwede, Begleiter eines Mönches seid?«, wagte Jakob nun zu fragen. »Ist das nicht höchst ungewöhnlich? Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört.«

»Auch was nie geschieht, geschieht einmal zum ersten Mal«, antwortete der Schwede.

»Aber damit habt Ihr meine Frage noch nicht beantwortet. Oder wollt Ihr nicht verraten, was Euch mit dem einäugigen Mönch verbindet?«, stichelte Jakob.

»Ich wollte nichts wissen von göttlichen Zeichen, auf fremden Gefilden, in Pharaos Land«, deklamierte Wassmo, seine Antwort wieder einmal in ein Rätsel aus Psalmen kleidend. »Paladine und Herren in Eisen, Gottes Glorie und Ruhm im Munde, das doppelschneidige Schwert in den Händen - so streuten wir das Saatkorn des Leids. Blut floss wie Regenwasser durch die Gosse und keiner mochte Totengräber sein.« Er machte eine kurze, gedankenschwere Pause. »Er aber kam, entriss mich dem Rachen des Löwen und mein Herz hielt an ihm fest.« Und bevor Jakob ihm noch mit weiteren Fragen zusetzen konnte, ging er davon und folgte den Spuren, die Bruder Basilius im frischen Schnee hinterlassen hatte.

»Der eine so kauzig und rätselhaft wie der andere«, murmelte Jakob vor sich hin und nahm sich vor später ausführlicher über die verschlüsselte Antwort des Schweden nachzusinnen, wenn er mehr Ruhe dazu hatte. Jetzt wurde seine Aufmerksamkeit von dem Geschehen bei der erzbischöflichen Kutsche in Anspruch genommen.

Die drei Konversen schleppten Bretter herbei und legten sie in den Schnee, immer drei nebeneinander. Der Domherr und Prälat im edlen Pelzmantel machte jeweils zwei, drei behände Schritte, um dann mit sichtlicher Ungeduld wieder stehen zu bleiben und zu warten, bis eine neue Lage Bretter vor ihm in den Schnee fiel.

Noch ein dritter Mann, klein und schmächtig von Statur und mit dem besorgten Blick des geborenen Pessimisten, war mit der Kutsche nach Himmerod gekommen.

»Laurentis Coppeldiek, mein Sekretär!« Mit einer beiläufigen Geste stellte der Domherr dem Subprior seinen blassgesichtigen Begleiter vor, der respektvoll zwei Schritte Abstand hielt, mit der einen Hand eine bauchige Tasche aus Gobelinstofftrug und sich mit der anderen ständig den Schnee aus seinem lichten Haar strich. Dabei irrten seine kummervollen Augen ruhelos hin und her, als fürchtete er einen Hinterhalt oder sonst ein drohendes Unheil.