»Ganz wie Ihr meint, Pleisgen. Aber damit wir uns nicht missverstehen: Nun, da ich das Amt des Scharfrichters von Trier innehabe.« Mundt brach mitten im Satz ab, denn in diesem Augenblick tauchte der Domherr im Rundbogen der Tür auf, begleitet von seinem Sekretär Laurentis Coppeldiek, der unter dem Arm ein Reiseschreibpult trug. Dessen bleiches Gesicht zeigte wie immer eine höchst kummervolle Miene und sein starrer Blick, den er eisern auf den Boden gerichtet hielt, als wollte er jeden Augenkontakt mit den grauenvollen Gerätschaften in diesem Gewölbe vermeiden, verriet, dass eine Folterkammer nicht der Ort war, an dem er sich gern aufhielt.
»Das wurde aber auch allerhöchste Zeit, Mundt!«, rief Domherr von Drolshagen, während er mit wehendem Pelzumhang die sechs breiten Steinstufen in die Folterkammer hinuntereilte. »Ihr habt reichlich lange gebraucht, um dieses rheinischen Fuhrmanns habhaft zu werden. Fast zwei Wochen!«
»Wir hätten ihn in einem Tag gestellt, wenn es nicht so viel geschneit hätte. Angesichts der extrem schlechten Wetterlage haben meine Männer zweifellos ausgezeichnete Arbeit geleistet«, erwiderte der Henker. »Jemandem bei ständigem Schneegestöber auf der Fährte zu bleiben ist nur mit der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen vergleichbar.«
»Sei’s drum«, sagte der Domherr mit einer großzügigen Handbewegung. »Wir haben den Begleiter von Bruder Anselm endlich hier im Turm und allein das zählt!«
Domherr Melchior von Drolshagen schritt zu Jakob hinüber und musterte ihn kritisch, wie ein Pferdehändler ein zum Verkauf stehendes Tier abschätzte. »Er sieht übel aus, nur noch Haut und Knochen!«, stellte er fest. »Pleisgen, Ihr werdet Eure ganze Kunst aufbringen müssen, damit uns dieser Bursche nicht schon unter der leichten Tortur dahinsiecht!«
»Seid unbesorgt, Hochwürden, ich verstehe mein Handwerk«, versicherte der Folterknecht mit einer Mischung aus Beflissenheit und Stolz. »Ich verspreche Euch, dass er mir auch unter der verschärften Folter nicht wegstirbt, falls Ihr diese für nötig erachten solltet.«
Der Domherr nickte. »Gut, aber vielleicht ist er ja klug genug sich diese zu ersparen, indem er redet«, sagte er und forderte den Folterknecht auf Jakob vom Knebel zu befreien.
Keine Sekunde zu spät. Jakob war so übel geworden, dass er sich erbrechen musste, kaum dass Gotschalk Pleisgen den Knebel aufgeknotet hatte. Er spuckte bittere Galle, keuchte und krümmte sich am eisendorngespickten Gestell, so weit es die Fesseln zuließen.
Während der Folterknecht einige Spritzer auf seine Hose und Stiefel abbekam, sprang der Domherr noch rechtzeitig genug zur Seite. »Mir scheint, schon der Gedanke an die Tortur lässt Euren Magen revoltieren. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen, Jakob Tillmann. Ihr müsst wissen, dass ich nur äußerst ungern zum Mittel der peinlichen Befragung greife. Eine Tortur ist eine unangenehme Sache, zumal mein Gewissen es mir gebietet während der Dauer der Folter, auch der verschärften, zugegen zu sein, so lange sie sich auch hinziehen mag.«
Jakob würgte und spuckte, während ihm der beißende Angstschweiß über das Gesicht rann und ihm die Tränen in die Augen trieb.
»Es mag manchen Inquisitoren, die dieses aufopferungsvolle Geschäft zum Schutze der heiligen Kirche und zum Ruhme Gottes zu ihrer Aufgabe gemacht haben, ein großer Trost sein, dass die Qualen, die ihre Delinquenten hier auf Erden unter der Folter erleiden, diesen helfen die jenseitigen Torturen im Fegefeuer abzukürzen«, fuhr der Domherr ungerührt und offenbar mit festem Glauben an die Richtigkeit seines Handelns fort. »Ich dagegen tue mich schwer mich damit zu trösten und ich leide mit jedem, den ich der Folter unterziehen muss, glaubt mir. Doch wenn es sein muss, dann weiche ich nicht vor der Pflicht, sondern stelle mich der Aufgabe, die mir der Allmächtige zugewiesen hat, mit ganzer Kraft und Verantwortung.«
Am liebsten hätte Jakob ihn angespuckt.
Mit fast väterlicher Stimme forderte der Domherr ihn nun auf: »Also seid vernünftig und sagt, was Ihr von Bruder Anselm über seine Tätigkeit und seine Aufenthaltsorte in den letzten Monaten erfahren habt, Jakob Tillmann! Dann werde ich auf die Tortur verzichten und dafür sorgen, dass Ihr nur aus der Stadt gepeitscht werdet, was angesichts der Umstände, die Ihr mir und der erzbischöflichen Kurie schon gemacht habt, eine geradezu milde Strafe ist. Und Ihr könnt versichert sein, dass ich zu meinem Wort stehe.« Er räusperte sich, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und nickte ihm mit einem aufmunternden Lächeln zu: »Nun denn, gebt meinem Schreiber zu Protokoll, was ich von Euch wissen will und Ihr mir bisher verschwiegen habt.«
»Ich. ich habe Euch nichts verschwiegen, hochwürdiger Domherr!«, stieß Jakob verzweifelt hervor. »Ich weiß nichts von den Dingen, die Ihr zu erfahren wünscht!«
»Stellt mich nicht auf die Probe!«, warnte ihn der Domherr und seine Miene verfinsterte sich.
»Es ist die Wahrheit!«, beteuerte Jakob verzweifelt. »Bruder Anselm hat mir nichts von alldem erzählt. Nicht ein Wort!. Ich schwöre es bei allem, was mir und Euch heilig ist!. Ich flehe Euch an, Ihr müsst mir glauben!«
Der Domherr schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ich hätte Euch für klüger gehalten, Jakob Tillmann. Dass Ihr Euch bei der Befragung in der Abtei verstockt gezeigt habt, dafür hatte ich ja noch Verständnis. Doch dass Ihr auch hier starrköpfig darauf beharrt, nichts zu wissen, ist Dummheit und maßlose Überschätzung dessen, was Ihr an Schmerz zu ertragen vermögt. Aber nun gut, wenn Ihr mich herausfordern wollt, sollt Ihr Euren Willen bekommen.«
»Ich will Euch nicht herausfordern!«, schrie Jakob. »Mein Gott, ich weiß nichts!. So glaubt mir doch!. Ich weiß nichts!. Das schwöre ich bei den vier Evangelien und der Heiligen Jungfrau Maria!. Selbst wenn Ihr mich zu Tode foltert, ich werde Euch bis zum Ende nichts sagen, weil ich nichts weiß!« Seine Stimme überschlug sich und war ein hysterisches Kreischen.
Der Domherr gab einen schweren Stoßseufzer von sich. »Das wird sich ja zeigen«, sagte er und wandte sich dem Folterknecht zu. »Pleisgen.«
In diesem Moment erschien ein schlaksiger Halbwüchsiger in der Livree eines erzbischöflichen Dieners in der Tür der Folterkammer. »Hochwürdiger Domherr von Drolshagen?«
Der erzbischöfliche Berater wandte sich verwundert um. »Ja, was gibt es?«, fragte er gereizt.
Der Junge, der sich als Bote ausgab, teilte ihm unterwürfig mit, dass Seine Eminenz, der Erzbischof, ihn, den hochwürdigen Domherrn, umgehend zu sehen wünsche. »Es sei sehr dringend, da es ihm nicht gut gehe und er nicht ohne Beichte und ohne die rechten Sterbesakramente seinem Herrgott gegenübertreten wolle. Er habe auch schon nach seinem Leibarzt geschickt«, schloss der Junge seine hastig vorgetragene Botschaft.
Der Domherr furchte die Stirn. »Sterbesakramente? Ach was, es wird wohl wieder die Galle sein, die ihm bitterlich zu schaffen macht und ihn mit trüben Gedanken an sein baldiges Lebensende beschwert! Ein guter Aderlass dürfte wohl wieder für die richtige Mischung seiner Körpersäfte sorgen und ihn auf weniger morbide Gedanken bringen«, brummte er unwillig. Dann nickte er knapp. »Aber gut, er ist der Erzbischof und ich bin sein untertänigster Diener. Sag ihm also, ich bin auf dem Weg!«
Der Junge verbeugte sich demütig und eilte davon.
Der Domherr gab seinem Sekretär mit einer knappen, herrischen Handbewegung zu verstehen, dass er Tintenfass, Federn, Kratzmesserchen, Streusand und Papier wieder in sein Reisepult verstauen und dieses zuklappen konnte. Und zu Mundt sagte er: »Es wird gewiss etwas dauern, bis ich zurück bin. Am besten gönnt Ihr Euch jetzt schon ein deftiges Abendbrot, damit wir später keine weitere Zeit verlieren. Es könnte heute sehr spät werden.«
Mundt nickte und folgte dem Domherrn zur Tür. »Soll mir recht sein.«
»Ich ziehe es vor bei nüchternem Magen meine Arbeit zu machen«, sagte Gotschalk Pleisgen, als wollte er sich vom Henker absetzen und sich ins rechte Licht rücken.