»Wisst Ihr, was das ist?«, fragte Bruder Basilius.
»Nein«, sagte Jakob und lehnte sich gegen die Wand.
»Das ist eine >Eiserne Jungfrau<, das Folter- und Mordinstrument für Angehörige des Adels und andere Verdächtige nobler Herkunft«, erklärte der Mönch, umfasste einen eisernen Bügel an der Seite -und klappte den Kasten auf.
Jakob stieß einen erstickten Schrei des Entsetzens aus. Der hohle Rumpf der lebensgroßen Figur war innen mit dolchähnlichen Eisenspitzen gespickt.
»Wenn man einen Delinquenten in diese Eiserne Jungfrau sperrt, dann spießen die messerlangen Eisendornen den Unglücklichen förmlich auf, bohren sich in Brust und Augen. Und diese schreckliche Todesart gilt noch als gnädig!«
Jakob schluckte. »Aber was. was hilft uns das?«
Bruder Basilius lachte grimmig auf. »Als man diesen Turm errichtete, hat man auch eine Methode ersonnen, um Leichen aus der Folterkammer bequem und unauffällig zu beseitigen«, sagte er, kniete sich hin und tastete hinter der Eisernen Jungfrau über den Boden. »Und deshalb. Ah, hier ist ja der Hebel!. Deshalb hat man gleich einen Schacht mit eingebaut!«
Erschrocken fuhr Jakob zurück, als sich direkt vor seinen Füßen mit einem dumpfen Laut plötzlich der Boden öffnete. Eine Platte unter der Eisernen Jungfrau klappte nach unten weg - und gab den Blick in einen tiefen Schacht frei. Und dieser Schacht war zu beiden Seiten mit scharfen Messern besetzt!
»Mein Gott!« Jakob erschauerte.
»Die menschliche Erfindungsgabe kennt wahrlich keine Grenzen, wenn es darum geht, anderen Gewalt anzutun. Sie beweist dann eine geradezu teuflische Raffinesse«, sagte Bruder Basilius angeekelt. »Dieser Schacht führt in einen Abwasserkanal, der tief unter uns liegt und vom Stadtbach gespeist wird. Um eine Leiche zu beseitigen, brauchen die Folterknechte hier oben nur den Hebel umzulegen. Dann rutscht sie durch die Falltür und wird von den Dolchen zerstückelt. Das Wasser des Kanals spült die unkenntlichen Leichenteile dann mit sich fort und schwemmt sie in die Mosel. Und wenn das bei Nacht geschieht, ist jede Entdeckung so gut wie ausgeschlossen.«
»Aber wie sollen wir auf diesem Weg flüchten?«, stieß Jakob hervor. »Wir haben nicht mal ein Seil. Und auch wenn wir eines hätten, würde es uns nichts nützen, weil zwischen den Dolchreihen einfach nicht genug Platz ist! Die Messer werden uns bei lebendigem Leib zerstückeln, wenn wir es wagen dort hinunterzusteigen!«
Bruder Basilius warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Keine Sorge, ich erwarte nicht, dass Ihr Euch in diesen messerstarrenden Rachen stürzt. Die Baumeister dieses Turms haben zu unserem Glück für den Fall vorgesorgt, dass jemand hinunterklettern muss, etwa um die Messer zum Schärfen auszuwechseln«, sagte er, während er sich über den offenen Boden der Eisernen Jungfrau beugte und in eine Öffnung griff. »Dafür gibt es hier nicht nur Trittstufen in der Wand und Eisenstangen zum Festhalten, sondern auch zwei Hebel, die dem blutigen Rachen der Eisernen Jungfrau vorübergehend die Zähne ziehen.«
Jakob hörte ein lautes, schnappendes Geräusch, auf das augenblicklich ein schreckliches, metallisches Klirren folgte, als eine der Messerreihen nach unten wegklappte und gegen die Steinwand des Schachtes schlug.
Bruder Basilius bemühte sich unter Einsatz all seiner Kräfte auch den zweiten Hebel umzulegen. Vergeblich.
»Er klemmt und rührt sich nicht von der Stelle!«, keuchte der Mönch und gab es schließlich auf. »Wir haben keine Zeit mehr. Es wird auch so gehen. Ihr müsst Euch nur ganz flach an die vordere Schachtwand pressen. Andernfalls werden Euch die Messer von der anderen Wandseite den Rücken aufschlitzen!« Er rutschte rückwärts über die Kante der Öffnung, tastete nach der Trittstufe und ließ sich langsam und eng an die Wand gepresst in den Schacht hinab.
Jakob wurde es ganz flau im Magen, als er sah, wie nahe die Messerspitzen dem Rücken des Mönches kamen. »Mein Gott, Ihr habt Nerven!«
Bruder Basilius schaute nur noch mit dem Kopfüber den Rand hinweg. »Habt Ihr vielleicht einen besseren Vorschlag? Also was ist, kommt Ihr nun oder wollt Ihr darauf warten, bis der Domherr uns auf die Schliche gekommen ist? Wenn er die Tür zur Folterkammer verbarrikadiert vorfindet, wird er sich zwei und zwei zusammenrechnen! Er weiß mit Sicherheit von der Existenz dieses Schachtes. Und er wird sich nicht damit aufhalten, zuerst die Tür einzurammen, was eine Menge Zeit kosten wird, sondern er wird den Henker und dessen Schergen auf der Stelle dorthin schicken, wo der Kanal in die Mosel mündet - und wo Henrik auf uns wartet. Und wenn sie schneller sind als wir, ist das unser aller Tod! Also nehmt Euch ein Herz und kommt! Wenn Ihr bleibt, ist Euer Schicksal besiegelt.«
»Oh Gott, stehe uns bei!«, stöhnte Jakob und ließ sich nun mit jagendem Herzen in den Schacht hinab.
»Es ist doch immer wieder seltsam, dass wir uns in der Not ganz schnell des Allmächtigen besinnen und ihn um Schutz bitten, während wir ihn in guten Zeiten mit Missachtung strafen.«
Seine Beine baumelten schon im Schacht, als Jakob plötzlich verharrte. Er lag mit dem Oberkörper auf dem Boden und presste nun Hände und Gesicht auf den kalten Stein. »Ich schaffe es nicht«, stöhnte er.
»Unsinn! Lasst Euer rechtes Bein noch ein Stück tiefer herab. Ich führe Euren Fuß in die erste Öffnung in der Wand!«, rief Bruder Basilius ihm zu. »Kommt, Ihr habt nichts zu verlieren, hört Ihr? Wir müssen es wagen!«
Jakob schluckte heftig, biss sich auf die Lippen und gab sich innerlich einen Ruck. Besser von den Messern im Schacht aufgespießt werden als unter der Folter zu sterben!
»Ja, so ist es gut. Ausgezeichnet!. Nun langsam tiefer und das linke Bein. Gut!. Jetzt wieder das rechte. Und nur die Ruhe bewahren, Jakob!. Gleich müsst Ihr oben die erste Haltestange fassen können. Ihr findet sie im oberen Drittel der Trittstufen, die in die Wand eingelassen sind!. Habt Ihr sie?«
»Ja!«
»Gebt gut Acht, dass Ihr nicht abrutscht. Die Wände sind feucht und die Kanten glatt!. Und den Körper immer an die Wand pressen!«
Jakob klammerte sich mit der linken Hand an die Eisenstange. Sein Herz raste und der Angstschweiß brach ihm wieder aus. Er wusste, dass er in seinem rechten Arm, den er nur mit Mühe und unter großen Schmerzen bewegen konnte, so gut wie keine Kraft mehr besaß. Deshalb musste er sich bei diesem gefährlichen Abstieg völlig seiner linken Hand anvertrauen.
Bruder Basilius leitete ihn umsichtig und mit beruhigenden Worten Stufe um Stufe tiefer. Die Einstiegsöffnung hoch über seinem Kopf schrumpfte zu einem immer kleiner werdenden, hellen Viereck zusammen, während ihn die Dunkelheit des Schachtes umfing. Und diese Dunkelheit war erfüllt von einem ekelhaften Gestank, der den vermoosten Wänden entströmte und vom Kanal aus der Tiefe aufstieg.
Würden sie es schaffen? Reichte die Zeit? Waren Mundt und seine Männer vielleicht schon auf dem Weg, um sie abzufangen? Wenn das der Fall war, durften sie ihn nicht lebend in ihre Hände bekommen. Bruder Basilius musste ihm dann den Dolch überlassen. Bis zum letzten Atemzug würde er sich zur Wehr setzen.
Jakob löste sich ein wenig von der stinkenden Wand, als sein Fuß nach der nächsten Trittöffnung suchte. Für diesen winzigen Moment der Nachlässigkeit wurde er sofort bestraft. Die Messerspitzen bohrten sich wie ein Nadelkissen durch seine Kleidung in den Rücken und rissen ihm die Haut auf, bevor er sich mit einem Aufschrei wieder an die Wand pressen konnte.
»Reißt Euch zusammen, Jakob!«, rief Bruder Basilius ihm zu. »Wir haben es gleich geschafft. Es dürften bloß noch zehn, fünfzehn Stufen sein, dann haben wir den Kanal erreicht! Haltet durch!«
»Wofür eigentlich?«, keuchte Jakob. Zitternd und mit brennendem Rücken hing er an der Wand. »Warum lasse ich mich nicht einfach fallen. Dann ist alles vorbei!«
»Wollt Ihr, dass der Domherr und der Henker Mundt triumphieren?«, rief der Mönch. »Und wenn Ihr Euch jetzt fallen lasst, werdet Ihr auch mich in die Messer stoßen. Mir allerdings scheint der rechte Zeitpunkt noch nicht gekommen zu sein, um meinen weißen Stein zu empfangen.«