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Zudem seid Ihr in Eurem Zustand überhaupt nicht in der Lage eine strapaziöse Flucht auch nur einen Tag zu überstehen.«

Das Gestrüpp wich vor ihnen zurück und gab den Blick auf eine kleine Waldlichtung frei, auf der ein klobiges Fuhrwerk mit einem bunt gescheckten Wallach im Geschirr stand. Auf der Ladefläche lagen einige stark gekrümmte Äste von Oberarmdicke. Neben dem Fuhrwerk türmte sich ein gut hüfthoher Berg Fallholz und Reisig auf.

Henrik Wassmo warf die Felle, die er bis jetzt über der Schulter getragen hatte, auf den Kutschbock. »Macht, dass Ihr unter die Äste kommt!«, drängte er. »Wenn wir nicht rechtzeitig am Stadttor sind, kommen wir heute nicht mehr in die Stadt. Und dann steht uns eine schlimme Nacht bevor!«

Jakob kroch mit Bruder Basilius unter die gebogenen Äste, die sie vor der Last des Fallholzes und des Reisigs schützen sollten, mit denen Henrik sie bedecken würde. Doch vorher zogen sie sich dunkelbraune, schmutzige Pferdedecken über den Kopf.

»Wo werden wir uns in Trier verstecken?«, fragte Jakob, während der Schwede einen Arm voll Reisig nach dem anderen über sie warf.

»Im Gasthaus Zum Roten Ochsen von Conradt Stroedecker und seiner Frau Anna, besser gesagt auf dem Dachboden ihres Hauses«, antwortete der Mönch.

»Woher kennt Ihr bloß all die Leute, die Euch und einem Fremden wie mir helfen, wo doch ein so mächtiger Mann wie der Domherr hinter uns her ist?«, wunderte sich Jakob.

Bruder Basilius lachte leise auf. »Niemand wird als Ordensbruder geboren, mein Freund. Auch ich bin nicht mit Kutte und Kreuz auf der Brust zur Welt gekommen. Männer wie ich, die erst jenseits der Mitte ihres Lebens ihre Gelübde ablegen und zu Priestern geweiht werden, nennt man Spätberufene. Das heißt unter anderem, dass diese Ordensleute schon ein halbes Leben hinter sich haben, das sich außerhalb von Klostermauern abgespielt und nicht unbedingt im Zeichen des Kreuzes und der Demut gestanden hat!«

Nun war Jakobs Neugier erst richtig geweckt. »Was seid Ihr vorher gewesen, bevor Ihr ins Kloster gegangen seid? Und wieso habt Ihr von dem geheimen Schacht unter der Eisernen Jungfrau gewusst?«

»Ah, das ist eine lange und leider auch unrühmliche Geschichte«, wich der Mönch aus. »Und für lange Geschichten ist später wohl noch Zeit genug.«

»Erzählt mir wenigstens, wieso Ihr ausgerechnet dann in Trier gewesen seid, als Mundt mich gestellt und auf den Turm gebracht hatte!«

»Nichts einfacher als das: Ich wurde unbemerkt Zeuge, wie in der Nacht Eurer Flucht aus Himmerod Domherr von Drolshagen dem Henker Mundt auftrug ein Dutzend Männer zu dingen, mit ihnen unverzüglich die Verfolgung aufzunehmen und Euch unbedingt lebend nach Trier auf den Turm zu bringen, um Euch ungestört und ohne Zeitdruck verhören zu können. Da erschien es mir ratsamer, in Trier Euer Eintreffen abzuwarten und die Zeit bis dahin zu nutzen, als mit Henrik die Verfolgung der Verfolger aufzunehmen.«

»Ihr gabt mir also keine Chance ihnen zu entkommen«, folgerte Jakob.

»Nein, die gab ich Euch in der Tat nicht.«

»Warum habt Ihr Euch überhaupt die Mühe gemacht und Euch selbst größter Gefahren ausgesetzt, um mich aus der Folterkammer zu befreien? Und warum habt Ihr in der Kapelle, als Ihr den toten Novizen untersucht habt, zu dem Schweden gesagt, Ihr müsstet mich >um jeden Preis verschwinden lassen<? Was steckt hinter alldem, Bruder Basilius? Und was hätte mir Bruder Anselm so Wichtiges anvertrauen können, dass der Domherr sogar zu morden bereit ist, um es in Erfahrung zu bringen?«

»Auch das ist eine überaus lange Geschichte, die eines geeigneteren Zeitpunktes bedarf, um Euch erzählt zu werden. Außerdem ist es nicht ratsam Euch jetzt schon Dinge anzuvertrauen, die erst zu einer späteren Zeit ungestraft ausgesprochen werden können«, antwortete Bruder Basilius reichlich rätselhaft. »Es bringt nichts, Euch mit Wissen zu beschweren, das Euch nur gefährlich werden könnte.«

Jakob ahnte jedoch, was der Mönch damit sagen wollte. »Ihr habt Angst, wir könnten gefasst werden - und dann würde ich unter der Folter sagen, was Ihr mir anvertraut habt. Das ist es, was Ihr fürchtet, nicht wahr?«

Bruder Basilius schwieg kurz. »Ja«, gab er dann ehrlich zu. »Noch ist die Gefahr zu groß.«

»Aber Ihr haltet damit ein Wissen zurück, das mich davor bewahren würde, so grausam gefoltert zu werden!«, begehrte Jakob auf. »Ihr wollt mich lieber den Folterknechten übereignen als mir zu verraten, was mich retten könnte! Versteht Ihr das unter christlicher Nächstenliebe?«

»Es würde Euch nicht retten, Jakob«, antwortete Bruder Basilius ruhig. »Und es würde Euch auch nicht vor der Folter bewahren, weil es nicht reicht, um alle Fragen des Domherrn auch nur annähernd zu beantworten. Im Gegenteil, man würde Euch noch mehr quälen, um auch noch den entscheidenden Rest aus Euch herauszuholen. Weil man aus Eurem plötzlich zugegebenen Halbwissen nämlich den falschen Rückschluss ziehen würde, Ihr hättet von Anfang an alles gewusst und den Domherrn bewusst getäuscht.«

Jakob schwieg.

Der Schwede hatte indessen das mit Schnee vermischte Kleinholz über ihr Versteck geschichtet.

Endlich setzte sich das Fuhrwerk in Bewegung. Henrik Wassmo ließ die Peitsche knallen und trieb den Wallach zur Eile an. Diesmal hatte er keine Psalmverse auf den Lippen, sondern eine reichhaltige Mischung aus derben Flüchen und Anfeuerungsrufen, wie Fuhr-knechte sie gebrauchten. Man merkte, dass er gewiss nicht zum ersten Mal auf dem Kutschbock saß und die Peitsche schwang.

Das heftige Gerüttel ließ den Schmerz in Jakobs Arm und Schulter anschwellen, als das Fuhrwerk aus dem Wald und dann über die Landstraße zurück nach Trier rumpelte. Krampfhaft hielt er einen der dicken Äste umklammert und biss die Zähne zusammen, um das Aufschreien zu unterdrücken, das ihm in die Kehle stieg. Jeder Gedanke an ein Gespräch mit dem Mönch hatte ihn verlassen. Der feurige Schmerz füllte sein ganzes Denken und Fühlen aus.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen.

Reiter im Galopp jagten an ihnen vorbei. Und als der trommelnde Hufschlag verklungen war, rief Henrik Wassmo gedämpft: »Das waren Mundt und seine Männer!«

»Dem Himmel sei Dank!«, stieß Bruder Basilius hervor.

Jakob war übel vor Schmerzen. Er hörte nur wie aus weiter Ferne, dass das Fuhrwerk über eine Brücke ratterte und dass der Schwede etwas von »Stadttor« sagte. Er vernahm eine grobe, unfreundliche Männerstimme, die dem Schweden im Befehlston Fragen stellte, doch der Inhalt dieses kurzen Wortwechsels drang nicht in sein Bewusstsein. Dann ruckte das Fuhrwerk wieder an und der veränderte Klang der Räder und der Hufe verriet, dass sie sich auf einer Straße mit Kopfsteinpflaster befanden.

»Wir sind durch!«, flüsterte der Mönch ihm zu, als spürte er, wie sehr Jakob mit den Schmerzen kämpfte. »Gleich sind wir im Hof vom Roten Ochsen! Und dann kann ich mich Eurer Verwundung annehmen.«

Wenig später blieb das Fuhrwerk endlich stehen. Ein Tor knarrte. Der Wagen setzte sich sofort wieder in Bewegung, um gleich darauf erneut zum Stillstand zu kommen. Ein Balken fiel laut in seine Halterung. Sie waren im Hinterhof des Gasthauses angekommen.

Jakob schloss die Augen. Wie gut es tat, einfach nur ruhig liegen zu können. Und wenn ihn die Schmerzen auch nicht verließen, so waren sie doch in dieser ruhigen Lage auszuhalten. Zudem half der Gedanke daran, was ihn in der Folterkammer erwartet hätte, das feurige Pochen und Ziehen zu ertragen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Henrik Wassmo das Holz abgeladen hatte und sie unter den dicken, krummen Stämmen hervorkriechen konnten.

»Beeilt Euch, dass Ihr auf den Dachboden kommt!«, flüsterte eine kleine, rundliche Gestalt mit einem Glatzkopf, die im Dämmerlicht des Abends bei der Hintertür stand und bei der es sich um den Gastwirt Conradt Stroedecker handelte. Aus dem Schankraum drangen fröhliche Stimmen und Gelächter. »Ich passe auf, damit Euch keiner zufällig in die Quere kommt!«