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»Was erwartet Ihr denn, wenn man zu Gott betet, aber nie eine Antwort bekommt!«, hielt Jakob dagegen, der Gott eine Menge vorzuwerfen hatte.

Der Mönch lächelte. »Gottes Schweigen ist nicht gleichbedeutend mit Verstummen oder Weghören, Jakob. Wie auch der Gegensatz zur Sünde nicht die Tugend ist, sondern die Gnade«, erwiderte er. »Zum Glauben gehört eben immer auch das Ringen mit Gott, dem unfassbaren, scheinbar stummen, schattenhaften Gott. Und man muss akzeptieren, dass es für Gott keine angemessenen Worte und schon gar keine umfassende Erklärung gibt. Auch die Worte und Abhandlungen der größten Philosophen, der Mystiker, ja sogar der heiligsten Kirchenväter, sie alle sind im Grunde nichts anderes als ein hilfloses Gestammel im Angesicht des Unfassbaren. Denn wäre Gott für uns Menschen erklärbar und zu fassen, wäre er nicht Gott, sondern bestenfalls ein billiger Götze.«

»Ich weiß nicht«, murmelte Jakob. »Wie kann ich an etwas glauben, was ich nicht beweisen und nicht fassen kann? Und wie kann man dafür sein Leben hingeben und ins Kloster gehen?«

»Existiert die Liebe?«, fragte Bruder Basilius zurück.

Jakob zögerte kurz. »Natürlich!«

»Gut. Dann sagt mir doch mal, wie Ihr Liebe beweisen und fassen wollt?«, hielt der Mönch ihm vor. »Zwei Menschen, die sich lieben, wissen um ihre Liebe, sind erfüllt davon und vertrauen auf ihre Kraft, opfern sogar ihr Leben aus Liebe, ohne sie jedoch mit Händen greifen und beweisen zu können. Das ist, was Nikolaus von Cues, ein großer Denker und Mystiker des 15. Jahrhunderts, in Hinsicht auf den Glauben als Wissendes Nichtwissen bezeichnet oder wie es im 1. Hebräerbrief geschrieben steht: >Der Glaube ist das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, die Gewissheit dessen, was man nicht sieht.< Denn manche Dinge in unserem Leben braucht man eben nicht erst zu beweisen, um zu wissen, dass sie existieren!«

»Gut, das mag mit der Liebe ja eine Ausnahme sein«, räumte Jakob widerstrebend ein.

»Warum, Jakob? Gott ist die Liebe! Warum beginnt und endet für so viele Menschen die Wirklichkeit der Welt nur mit dem, was ihre Augen sehen und ihre Hände greifen können? Der wahre Durst des Herzens, der von Geburt an in uns angelegt ist, gibt sich nicht mit diesen Brosamen, dieser begrenzten, armseligen Welt zufrieden.«

»Aber wenn diese. Sehnsucht nach Gott und dem Gebet angeblich in jedem von uns schon angelegt ist, wieso fällt es dann so schwer zu glauben?«, wollte Jakob wissen und kämpfte gegen die Schläfrigkeit an, die ihn schon wieder überfiel.

»Weil uns tausend andere Dinge wichtiger sind. Und da Gott uns mit einem freien Willen gesegnet hat, haben wir auch die Freiheit uns nur um das zu kümmern, was wir im Augenblick für wichtig und erstrebenswert halten. Darüber verkümmert unsere Beziehung zu Gott. Es ist wie mit einem fruchtbaren Acker, der dazu geschaffen ist, reiche Ernte zu tragen. Doch wenn er brachliegt, dann bringt er bald bloß noch Disteln und Dornen hervor. Und nach einiger Zeit ist er verwildert und kaum noch zugänglich, so dass niemand mehr weiß, dass unter diesem Dickicht aus Unkraut und Dornen fruchtbarer Boden liegt, der darauf wartet, bestellt zu werden.«

Jakob verzog das Gesicht. »Mit den Disteln hat es Bruder Anselm auch gehabt.«, murmelte er. »Nein, es waren Distelfinken, von denen er gesprochen hat.«

»Was habt Ihr gesagt?«

Jakob machte eine müde Handbewegung. »Es tut mir Leid, mir fallen wieder die Augen zu, Bruder Basilius. Aber sagt, wo steckt Euer treuer Begleiter, der Schwede?«

Der Mönch seufzte. »Ich fürchte, er schäkert wieder mit Magdalena, der hübschen Tochter des Gastwirts, herum. Und wisst Ihr, wie er ihr geschmeichelt hat? Er hat sie mit den Worten >Weib, dein Leib gleicht einer vollen Rebe, wie des Ölbaums frische Zweige! Ihr seid rank und schön wie Tempelsäulen< begrüßt. Ich wünschte, er würde nicht auch bei solchen Gelegenheiten aus den Psalmen zitieren.«

Jakob lachte. »Das sieht ihm ähnlich! Wie seid Ihr überhaupt dazu gekommen, einen fremdländischen Mann wie ihn zum Begleiter zu haben?«

»Das erzähle ich Euch später. Denn das ist eine dieser langen Geschichten, für die Ihr im Augenblick zu müde seid. Schlaft nur, die Ruhe wird Euch gut tun. Wenn Ihr das nächste Mal aufwacht, werdet Ihr eine kräftige Suppe zu Euch nehmen, damit Ihr schnell wieder zu Kräften kommt.«

»Wie lange können wir hier überhaupt bleiben?«, wollte Jakob wissen. Die Angst kehrte wieder zurück und zeigte sich unverhohlen in seinen Augen. Nie würde er die Folterkammer im Turm des Greven vergessen und was Gotschalk Pleisgen ihm für Qualen ausgemalt hatte. Er wusste, dass sie noch weit davon entfernt waren, wirklich in Sicherheit zu sein. »Und was geschieht, wenn ich wieder auf den Beinen bin? Wohin geht es dann? Werden der Domherr und Mundt nicht bald auf den Gedanken kommen, wir könnten uns in Trier versteckt haben, und hier mit der Suche beginnen? Dann sind wir in den Mauern der Stadt nicht weniger gefangen als in einem Kerker!«

»Keine Sorge, wir sind nicht untätig gewesen. Wenn der Augenblick gekommen ist Trier zu verlassen, wird uns das unbemerkt gelingen. Aber noch besteht kein Grund zur Besorgnis, Jakob. Wie ich erfahren habe, sucht man uns noch im Hunsrück, wo man uns angeblich zu Pferd gesehen hat, in wildem Galopp auf der Landstraße nach Wahlenau«, beruhigte ihn der Mönch mit einem feinen Schmunzeln. »Und jetzt schlaft.«

»Und Ihr?«

Bruder Basilius lächelte. »Die Hören rufen den Ordensmann auch außerhalb der Klostermauern zum Gottesdienst. Wir haben die dritte Stunde nach Sonnenaufgang und damit ist es an der Zeit, die Terz zu beten.«

Jakob erwiderte das Lächeln und schloss die Augen. Er lauschte noch für einen Moment auf die Stimme des Mönches, dann glitt er, von dessen Worten sanft getragen, in einen tiefen Schlaf.

Neunzehntes Kapitel

Jakob saß aufrecht auf seinem Krankenlager, mit dem Rücken gegen ein Fass gelehnt, und löffelte mit großem Genuss Rübensuppe aus einem tiefen Holzteller. Er hatte den ganzen Tag geschlafen und war erst bei Einbruch der Dunkelheit wieder aufgewacht - mit einem knurrenden Magen. Bis auf den kläglichen Lichtkreis um die Laterne, die neben ihm auf einem Schemel stand, hatten die tiefen Schatten der Nacht den staubigen Dachboden längst wieder zurückerobert. Auch wenn es im Moseltal um einiges wärmer war als in der bergigen Eifel und seit Tagen schon sonniges Tauwetter herrschte, war es nach Sonnenuntergang doch immer noch kalt genug, dass sein eigener Atem so dampfte wie die heiße Suppe in seinem Schoß.

»Das ist die beste Suppe, die ich je gegessen habe«, lobte er und griff zum Brot, um die Schüssel damit auszuwischen. Er fühlte sich immer noch sehr zittrig und gerade kräftig genug, um sich allein in der Ecke auf den Aborteimer zu begeben. Doch seit dem Morgen litt er nicht mehr unter heftigen Schweißausbrüchen. Das Fieber war wundersamerweise rapide gesunken.

»Euer Appetit ist ein gutes Zeichen. Ihr habt bewiesen, dass Ihr von zäher Natur seid. Deshalb werdet Ihr auch bestimmt schnell wieder zu Kräften kommen«, sagte Bruder Basilius, der wie Henrik Wassmo auf einer Kiste im Lichtkreis der Lampe saß, mit einem zufriedenen Lächeln.

Jakob grinste. »Unkraut wie ich ist eben unverwüstlich!«, prahlte er. »Dagegen ist sogar ein feiner Herr wie Drolshagen machtlos!«

Henrik Wassmo schaute kurz von seiner Schnitzarbeit auf, die unter seinen geschickten Händen inzwischen die groben Umrisse einer Madonna mit dem Jesuskind angenommen hatte. »Zum Teufel die Stolzen? Nein, Herr, zu dir und erschrecke sie heilsam!«, sagte er scheinbar beiläufig. »Und wenn einer sich selbst bewundert, kannst du dein Gift gegen ihn ruhig sparen.«