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»Natürlich zu der einzig wahren Lehre, zur einzigen Wahrheit, so wie es doch immer verkündet wurde!«, stichelte Jakob. »Denn ist Luther für Rom nicht ein Ketzer gewesen? Und sind wegen dieses Konfessionenstreites nicht schon unzählige Kriege geführt worden?«

»Leider ja. Aber Luther ist in meinen Augen kein Ketzer gewesen, Jakob, sondern ein wahrhaft großer Mann, ein genialer Denker, wenn auch ein Grobian und oft polemisch, der nie die Kirchenspaltung gewollt hat. Luther war Augustinermönch und wollte die Erneuerung der Kirche. Unglücklicherweise war die Zeit für die längst überfälligen Reformen noch nicht reif, besser gesagt: Die verantwortlichen Männer in unserer Kirche waren es nicht. Hätten wir das Konzil von Trient, das zu einer Erneuerung der Kirche geführt und der Korruption des Klerus den Kampf angesagt hat, schon zu seiner Zeit abgehalten, wäre es wohl nie zu dieser unseligen Spaltung der Christenheit gekommen. Und es war nicht Luther, der diese unselige Kirchenspaltung zu verantworten hat. Erst mit der Exkommunizie-rung ist aus dem streitbaren Reformator der Gründer der protestantischen Kirche geworden - wider Willen, muss man sagen, wenn man diesem Mann und der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte.«

»Aber einer muss doch Recht haben!«

»Warum muss immer einer über den anderen triumphieren? Hat der Regenbogen nicht auch viele wunderschöne Farben? Und wer kann schon sagen, dass die Rose schöner ist als die Lilie oder die Blüte einer Weißdornhecke? Gottes Schöpfung ist vom ersten Tag an auf wunderbare Vielfalt angelegt, Jakob. Und Weisheit ist das Ende der Schwarzweißmalerei.«

»Das ist mir zu allgemein, Bruder Basilius. Entweder ist Luther mit seinen Anhängern im Recht gewesen - oder Rom!«

»Kein Mensch befindet sich im Besitz der allein selig machenden Wahrheit - und schon gar keine Institution«, erwiderte Bruder Basilius. »Ob Kardinal oder Gelehrter, die Wahrheit liegt jenseits unserer menschlichen Grenzen. >Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott<, so steht es im 1. Korinther und an vielen anderen Stellen in der Heiligen Schrift. >Er fängt die Weisen in ihrer eigenen List< und >Der Herr kennt die Gedanken der Weisen; er weiß, sie sind nichtig<. Daran sollten wir uns stets erinnern, wenn wir uns um Erkenntnis bemühen! Nur Fanatiker nehmen für sich in Anspruch die Antwort auf alle Fragen zu kennen.«

»Was meint Ihr mit Fanatiker?«

»Fanatisch sein heißt die Wahrheit nicht suchen zu wollen, sondern sich in unbedenklicher Überheblichkeit schon im Voraus für den Besitzer der Wahrheit zu halten. Doch es darf nie um richtig oder falsch gehen, sondern nur um ein gemeinsames Bemühen der Wahrheit näher zu kommen. Und niemals darf Gewalt ein Mittel zum Zweck sein! Jesus hat sich nie mit Gewalt verbunden, er hat nie dem Schwert das Wort geredet und er hat auch niemals Zweifler und Ungläubige zur Umkehr gezwungen. Er hat sehr wohl versucht ihre Ohren und Augen zu öffnen und ihre Herzen zu erreichen, aber Gewalt hat er abgelehnt und verabscheut, ja verflucht. Lieber hat er sich den Folterknechten seiner Feinde ausgeliefert als für seine erlösende Heilsbotschaft auch nur einen Tropfen Blut eines anderen Menschen zu vergießen.«

»Stellt Ihr damit nicht Euren eigenen Glauben in Frage und all die Dogmen und Vorschriften der heiligen römischkatholischen Kirche?«, hielt Jakob ihm vor und genoss es sichtlich ihn in die Ecke zu drängen. »Ihr redet nämlich wie ein Ketzer, Bruder Basilius! Lasst das bloß nicht dem Domherrn zu Ohren kommen, sonst landet Ihr noch auf dem Scheiterhaufen.«

»Ein guter Hirte schert seine Schafe, aber er zieht ihnen nicht das Fell ab. Und die eigenen Meinungen dürfen nie Gräben reißen, sondern müssen Brücken bauen, insbesondere wenn man sich zum Christentum bekennt«, antwortete der Mönch. »Und was die heilige Mutter Kirche und ihre Diener bis hoch zum Papst betrifft. nun, so fehlt vielen die demütige Einsicht, dass das Bewusstsein des eigenen Irrtums das Fundament der geistigen Freiheit ist. Aber was wollt Ihr anderes erwarten? Sind wir vielleicht ohne Sünde und Fehler? Auch ein noch so hohes Kirchenamt befreit einen Menschen nicht von seinen Fehlern, es macht ihn leider viel eher überheblich und selbstgerecht als demütig und großherzig. Die Apostel und ihre Mitarbeiter sind nicht Herren der Gemeinde, sondern ihre Diener. Und je höher das Amt, desto größer sind die Pflichten zum Dienst und zur Treue gegenüber dem Evangelium - und nicht die Privilegien!«

»Das ist aber nicht die Wirklichkeit! Männer wie der Subprior Tarzisius in Himmerod und der Domherr von Drolshagen - das ist die Wirklichkeit!«

»Leider habt Ihr Recht«, gab Bruder Basilius unumwunden zu.

»Und obwohl dem so ist, glaubt Ihr dieser Kirche noch immer und habt ihr Gehorsam geschworen?«, wunderte sich Jakob. »So, wie Ihr redet, müsstet Ihr doch längst ein erklärter Feind dieser Kirche sein!«

Bruder Basilius nickte. »Die Versuchung, sich über andere zu erheben und Macht auszuüben liegt, uns Menschen im Blute, uns allen. Deshalb müssen wir Barmherzigkeit mit der Armutsgestalt der Kirche haben und auch Demut, spiegelt sie doch mit all ihren Mängeln und Auswüchsen unsere eigene Unvollkommenheit wider.«

»Damit kann man natürlich alles entschuldigen!«

»Nein, ganz und gar nicht. Denn das bedeutet nämlich nicht, dass wir alles wortlos hinnehmen und über Missstände hinwegsehen müssen. Im Gegenteil, wir müssen beharrlich unseren Teil dazu beitragen, dass wir das, woran wir glauben, in unserem Leben verwirklichen und es auch in der Kirche wieder finden - und das ist Jesu Christi Botschaft von der Nächstenliebe, die auch die Feinde mit einschließt, von der Erlösung unserer Sünden und von der Auferstehung der Toten.«

»Aber dann kann man doch nicht mehr zu allem, was die Kirche vorschreibt, Ja und Amen sagen! Wo bleibt da der Gehorsam, den Ihr geschworen habt?«

»Ja, da beginnt die Gewissensnot und die Mühsal, die keinem erspart bleibt«, räumte Bruder Basilius ein. »Ich kenne darauf nur eine Antwort und die lautet: Gehorche nie einem Befehl, der sich nicht mit deinem Gewissen verträgt!«

»Auch dann nicht, wenn er direkt vom Papst kommt?«

»Ja«, sagte der Mönch ohne jedes Zögern. »So schweres mir auch fallen würde, ihm meinen Gehorsam zu verweigern.«

Jakob zog die Brauen hoch. »Oh, damit könnt Ihr Euch in Teufels Küche bringen! Denn wenn das keine Ketzerei ist, weiß ich nicht, was sonst!«

»Es ist keine Ketzerei«, erwiderte Bruder Basilius gelassen. »Lest in den Evangelien nach. Wie oft widersetzte sich Jesus dem Tempel? War er deshalb ungehorsam - oder stand nicht vielmehr der Tempel außerhalb des Lichtes der göttlichen Wahrheit?«

Jakob machte ein nachdenkliches Gesicht und gähnte dann herzhaft. Der Rum machte ihn wieder ganz schläfrig. »Keine Ahnung, darüber habe ich nie nachgedacht. Aber vielleicht sollte ich es mal tun. Denn so, wie Ihr die Dinge seht, bekommt vieles ein neues Gesicht.«

»Da habt Ihr einiges, worüber Ihr nachdenken könnt«, sagte der Mönch und nahm ihm den Becher ab. »Aber jetzt schlaft erst einmal.«

»Und wann erzählt Ihr mir endlich, was es mit Bruder Anselm auf sich hat und was der Domherr unter der Folter aus mir herausholen wollte?«