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»Alles zu seiner Zeit. Werdet erst einmal gesund.«

»Ihr weicht mir wieder aus!«, protestierte Jakob, obwohl er viel zu müde für eine weitere Unterhaltung war, und streckte sich unter den warmen Decken aus.

»Wie scharfsinnig von Euch. Aber wenn ich Euch ausweiche, so werde ich dafür auch meine guten Gründe haben, was Euch genügen muss«, beschied ihn der Mönch. »Und nun schlaft. Je eher Ihr gesund werdet, desto eher werdet Ihr auch erfahren, welches Geheimnis der Domherr so verzweifelt zu lösen sucht.« Und damit löschte er das Licht.

Zwanzigstes Kapitel

»Ich fühle mich wieder so frisch und munter wie ein Fisch im Wasser!«, beteuerte Jakob vier Tage später, als Henrik und der Mönch am Morgen ihre schäbige Bettlerkleidung anlegten, um aus dem Haus zu gehen. »Warum kann ich denn nicht mit Euch kommen, Bruder Basilius?«

»Weil Ihr hier viel besser aufgehoben seid und es sinnvoller ist, wenn Ihr Eure Kräfte schont«, antwortete der Mönch und wickelte sich schmutzige Stoffstreifen solcherart um den Kopf, dass seine verräterische Augenklappe unter dem vorgetäuschten Verband verschwand. Dann schmierte er sich etwas Dreck, dem er Ruß beigemischt hatte, ins Gesicht, sodass auch seine lange Narbe auf der rechten Wange nicht mehr zu sehen war.

»Das ist keine redliche Antwort!«, beschwerte sich Jakob.

»Nun denn: Vernunft, ihr Könige, Vernunft, ihr Herren, gewarnt vom Herrn!«, riet Henrik ihm, während auch er sein zerschlissenes Bettlergewand umwarf.

Doch Jakob beharrte ärgerlich: »Mir geht es längst wieder gut. Und ich bin es leid meine Tage auf diesem Dachboden mit untätigem Warten und Herumsitzen zu verbringen! Also, warum kann ich Euch nicht begleiten? Und warum haltet Ihr Eure Pläne, wie wir aus Trier herauskommen wollen, vor mir geheim?«

»Weil es zu Eurem Schutz ist - das eine wie das andere. Und dabei wollen wir es auch bewenden lassen«, sagte Bruder Basilius in einem Ton, der jede Widerrede zwecklos machte. »Habt noch ein, zwei Tage Geduld. Ihr werdet noch früh genug beweisen können, wie gut bei Kräften Ihr wieder seid. Und nun lasst uns gehen, Henrik. Wir müssen heute nicht nur zu Däublin und Hasenkötter, sondern auch prüfen, wie aufmerksam die Torwachen ihren Dienst versehen.« Und zu Jakob gewandt sagte er: »Es wird wohl etwas dauern, bis wir wieder zurück sind.«

Jakob machte eine grimmige Miene.

»Ich eile wie die Morgenröte.« Henrik griff zu seinen selbst gefertigten Krücken, warf Jakob einen aufmunternden Blick zu und verschwand durch die Luke.

»Ihr seid mir schöne Freunde!«, rief Jakob ihnen nach, erhielt aber keine Antwort. Er hörte nur, wie sie die steile Bohlenstiege hinunterstiegen.

Wütend trat er nach einem Strohsack. Es wurmte ihn, dass er auf dem staubigen Dachboden des Gasthauses Stunde um Stunde, Tag für Tag herumsitzen musste, während Bruder Basilius und der Schwede sich immer wieder mal für einige Zeit in der Stadt herumtrieben. Er fühlte sich längst kräftig genug, um das Haus zu verlassen, und hätte sie gut begleiten können. Zumal die Vorboten des Frühlings die harte Tyrannei des Winters offenbar gebrochen hatten. Seit Tagen herrschte einladend sonniges Wetter im Moseltal. Und er

- er saß auf dem Dachboden fest, umgeben von Spinnweben, Staub und muffigen Strohsäcken!

Voller Ärger und Unruhe, ging Jakob zwischen den schweren Stützbalken auf und ab. Er saß hier oben nicht nur fest wie in einem Kerker, sondern er wusste auch nicht, was Bruder Basilius mit Henrik Wassmo ausheckte und was es mit diesen Männern Däublin und Hasenkötter auf sich haben mochte. Er hatte diese beiden Namen schon mehrfach aufgeschnappt, aber nie eine Erklärung erhalten, wenn er nachgefragt hatte. Dass Bruder Basilius ihn nicht aus Misstrauen, sondern aus übergroßer Vorsicht im Dunkeln ließ, war nur ein schwacher Trost und änderte nichts daran, dass er nicht in die Pläne eingeweiht war. Nun, damit hätte er sich ja noch abfinden können, wenn es ihm wenigstens gestattet gewesen wäre ab und zu mal den Dachboden zu verlassen. Er war es nicht gewohnt so lange eingeschlossen zu sein und nicht ins Freie zu kommen.

Wieso eigentlich gestattet! Wer sagte denn, dass er jemanden um Erlaubnis fragen musste? Gewiss, er hatte Bruder Basilius und dem Schweden eine Menge zu verdanken und das würde er ihnen auch niemals vergessen. Aber er hatte sich ja nichts vorzuwerfen, war er doch völlig ohne eigenes Verschulden in diese mysteriöse Geschichte verstrickt worden. Und Bruder Basilius hatte offenbar ein ganz eigenes, persönliches Interesse daran, warum er sein Leben für ihn riskiert hatte. Denn auch er wollte unbedingt wissen, wo sich Bruder Anselm in den letzten Monaten seines Lebens aufgehalten hatte. Außerdem folgerte aus der Tatsache, dass sie ihm das Leben gerettet hatten, ja wohl noch längst nicht, dass sie nun so etwas wie seine Vormunde geworden waren und er nicht mehr tun und lassen konnte, was er für richtig hielt. Er war ein freier Mann und konnte tun und lassen, was ihm beliebte!

»Und genau das werde ich heute tun!«, sagte Jakob laut und entschlossen. »Ich werde mich mal ein bisschen in dieser Stadt umsehen!«

Mit einem vergnügten Pfeifen auf den Lippen warf er sich den alten Umhang um und stülpte sich den filzenen und reichlich großen Topfhut über. Bruder Basilius hatte die Sachen für ihn besorgt. Dann schmierte auch er sich ein wenig von dem mit Ruß vermischten Dreck ins Gesicht und kletterte über die Stiege in das Obergeschoss hinunter, wo sich die Schlafkammern der Stroedeckers befanden. Niemand hielt sich hier oben auf. Wenig später befand er sich auf der hölzernen Außentreppe, die hinunter in den Hof führte. Er schlüpfte durch das Tor, lief die schmale Gasse hoch und spähte um die Ecke. Er wollte nicht gerade Bruder Basilius, dem Schweden oder dem Gastwirt in die Arme laufen. Mit hastigen Schritten und gesenktem Kopf wandte er sich nach rechts und ließ die Schenke Zum Roten Ochsen rasch hinter sich.

Sowie er sich außer Sicht des Gasthauses befand, verlangsamte er seinen Schritt und schob sich die Mütze aus der Stirn. Wie herrlich es war, die Sonne auf dem Gesicht zu spüren, auch wenn ihre Kraft noch schwach war. Kein Zweifel, der Frühling war nicht mehr weit. Bald würden Busch und Baum und Wiesen frisches Grün zeigen und die ersten Knospen würden sich zu Blüten entfalten.

Aber auch dann, wenn das Land in voller Blüte stand, würde ein Hauch von Frühlingsduft in diesen Teil der Stadt dringen. Jakob stellte nämlich fest, dass ihr Versteck nicht gerade in einem der besseren Viertel der Stadt lag. Denn schon ein halbes Dutzend verwinkelter Gassen weiter drang ihm der penetrante Gestank aus den Werkstätten der Gerber und Färber in die Nase, der sogar den starken Geruch der gewöhnlichen Fäkaliengruben in den Hinterhöfen mit Leichtigkeit überstieg. In den schmalen Abflussgräben, die zwischen den Häusern gezogen waren, schwamm eine ekelhafte, rotgelbe Brühe, die ihn sofort an den Kanal erinnerte. Er hielt sich die Nase zu und machte, dass er aus diesem Viertel kam.

Als er kurz darauf in eine breite Gasse einbog, hätte ihn beinahe der Inhalt eines vollen Nachttopfes getroffen. Eine Magd beugte sich nämlich gerade im Obergeschoss des Eckhauses aus dem Fenster und rief gleichgültig eine Warnung, während sie den Nachttopf auch schon auskippte.

Geistesgegenwärtig und mit einem Fluch auf den Lippen sprang Jakob in eine Toreinfahrt und wandte den Kopf ab, während Urin und Kot sich auf die Straße ergossen. Fäkalien und anderer Abfall fanden sich auch an vielen Stellen auf den Gassen und Schweine liefen frei herum und wühlten in dem Dreck. Jakob fand diese Sitte der Stadtbewohner, allen Unrat einfach aus dem Fenster und auf die Straße zu kippen, ziemlich ekelhaft und er verstand nicht, wie man so leben konnte. Da lobte er sich doch den Misthaufen, der sich auf dem Land vor jedem Bauernhaus fand. Häufte sich dort doch wenigstens alles schön an einer Stelle auf, während man in den Straßen der Städte nie wusste, wohin man trat - und welch ekelhafte Überraschung einen von oben im nächsten Moment wohl treffen mochte!