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Dass er sich langsam dem Stadtkern von Trier näherte, merkte er daran, dass die Gassen weiter und die Häuser stattlicher wurden.

Hier und da bemerkte er schon reich verzierte Erker, mit Ziegeln bedeckt und zum Teil kunstvoll mit Wappen und schönen Heiligenfiguren bemalt. Die Hauptportale waren entweder ganz aus Eisen oder doch zumindest mit Eisen beschlagen sowie in allen möglichen Farben angestrichen.

Der Verkehr auf den Straßen nahm jetzt auch merklich zu. Fuhrwerke, Kutschen, Lastenträger, Reiter, Knechte mit Handkarren, Tagelöhner, Bettler, Mädge mit bastgeflochtenen Körben, gut gekleidete Frauen mit sauberen Hauben und Männer aller Schichten -sie alle strömten in Richtung Markt.

Jakob ließ sich vom Strom der Menschen mitziehen, vorbei an immer stattlicheren Patrizierhäusern. Und dann lag der Hauptmarkt, überragt vom Turm der Pfarrkirche und mit seinem siebenhundert Jahre alten Marktkreuz, vor ihm. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Buden und Verkaufsstände gesehen und so viele Menschen, die sich durch die Reihen drängten. Es kam ihm wie das Gewimmel in einem aufgeschreckten Ameisenhaufen vor. Dazu gesellten sich dann noch das Stimmengewirr und die Rufe der Marktschreier, die tausenderlei Waren anpriesen und sich gegenseitig zu übertönen versuchten.

Jakob hatte noch nie eine so große Stadt wie Trier betreten. Wipperfürth im Bergischen Land war ihm mit seinen mehreren hundert Einwohnern nach dem abgeschiedenen Leben auf Gut Schlehenbusch schon groß vorgekommen. Um richtige Städte hatte er eigentlich immer einen großen Bogen gemacht, weil ihm diese Welt fremd war und er nicht verstehen konnte, wie man freiwillig wie in engen Hühnerkäfigen leben konnte. Aber ein solcher Markt, das musste er eingestehen, besaß natürlich schon eine große Faszination und Anziehungskraft.

Was da nicht alles unter den graubraunen Segeltuchplanen der Stände zum Kauf feilgeboten wurde! Vielerlei Stoffe und Lederarbeiten, grobes Steingut und wundersam dünne Becher aus buntem Glas, Bänder in allen Farben und Hauben, feine Hüte und einfache Kappen, Stricke, Felle und Zaumzeug, Kessel, Pfannen und eiserne Dreibeine in allen Größen, Holzzuber und Messer, Scheren und Raspeln, Strohkörbe und Holzschuhe, Schmuckperlen und holzgeschnitzte Broschen - und noch so vieles mehr.

Dazu kamen die Verkäufsstände mit frischem Fisch, allerlei Backwerk wie Brezeln, Honigkuchen, Nusswerk und Blätterteig sowie Schmalzkringel und andere Köstlichkeiten aus kleinen Garküchen. Etwas weiter standen die Lattenkäfige der Bauern und Händler, die Hühner und Ziegen, Schafe und Schweine verkauften. Da grunzte und blökte und krähte und meckerte es wie in einem Chor, der sich weder auf eine Melodie noch auf eine Tonlage einigen konnte.

Dann gab es die Stände und Buden der Quacksalber, die allerlei Salben und Pflaster, Kräuter und Tinkturen verkauften. Da gab es Nelkenöl und den Sirup von Mohnsaft gegen Schmerzen und Schlaflosigkeit, Quirinusöl zur Behandlung von Pferdeleiden, Labkraut und Beinwell, das Allheilmittel Theriah und Latwerge, Rosmarinbalsam, Johanniskraut und gemahlenes Planetengestein, Simplicia und Com-posita, Lavendelöl, geriebene Knollen und getrocknete Gräser sowie weiße Hasenpfoten, die jedes Unheil abzuwenden halfen, und andere Wundermittel. Ein Bader, der Patienten auf einem hölzernen Lehnstuhl mit Blutegeln behandelte, heiße Schröpfköpfe auf die Haut setzte und sie zur Ader ließ sowie Urinbeschau betrieb, hatte ebenso gut zu tun wie der Zahnreißer ein paar Stände weiter. Das Gleiche galt für den Okulisten und Starstecher, der sich der Augenleiden der Menschen annahm. Es gab sogar einen Schreiber, der hinter seinem Schreibpult saß, Briefe vorlas und aufsetzte sowie andere Schreiben wie Pacht- und Kaufverträge verfasste.

Wohin Jakob bei seinem gemächlichen Rundgang auch schaute, sein Blick traf immer wieder auf etwas Neues, was sein Interesse weckte. Was war das bloß für ein buntes Treiben! Das Gedränge, Gelärme und Gefeilsche an den Ständen ließ sich ja kaum ertragen.

Als er auf die andere Seite des Marktes geriet, sah er das herrschaftliche Rathaus mit seinen Laubengängen. In dem Gebäude waren nicht nur die Brotlaube und eine Markthalle für die normalen Markttage während der Woche untergebracht, sondern das Rathaus beherbergte auch die Salzkammer und den Kornspeicher.

Und dann bemerkte er den Pranger nahe der Kirche und die beiden Frauen, die dort mit Kopf und Armen in den Stock eingeschlossen waren. Er ging zögernd näher und blieb dann stehen. Man hatte ihnen das Diebeszeichen, in der Form eines Galgens, auf die Stirn gebrannt. Um ihren Hals hing ein Schild, das ihr Verbrechen verkündete. Und für die, die des Lesens nicht kundig waren, mussten sie einen leeren Mehlsack in der Hand halten.

Jakob entnahm dem Spott der vorbeikommenden Bürger, die die beiden fürs Leben gebrandmarkten Frauen bespuckten sowie mit Kot und Dreck bewarfen, dass man die beiden Diebinnen am nächsten Tag mit Ruten aus der Stadt peitschen würde. Sollten sie sich danach noch einmal in Trier blicken lassen, drohte ihnen die Verstümmelung - oder gar der Galgen, wenn sie zudem erneut bei einer Diebestat ertappt wurden.

Der erbarmungswürdige Anblick der beiden Frauen erinnerte Jakob an die Folterkammer und er hatte Mitleid mit ihnen. Aber er konnte ihnen nicht helfen und deshalb wandte er sich schnell ab, um nicht länger Zeuge dieses bösartigen, entwürdigenden Schauspiels zu werden, das sich um den Pranger herum abspielte.

Ihn zogen nun die bunten Wagen der Vaganten, Landfahrer, Komödianten und Schausteller an, die sich nach einer langen Winterpause hier eingefunden und auf dem nahen Kirchplatz ausgebreitet hatten, um die Trierer Bürger auf mehreren kleinen Bühnen und in grellbunt bemalten Zelten mit ihren Kunststücken und Spaßen zu unterhalten.

Jakob war noch nie so vielem fahrenden Volk auf einmal begegnet. Da gab es Bärenführer und Gaukler, Tänzer und Seilartisten, Schattenspieler und Zwerge auf Stelzenbeinen, Trommelschläger und Trompeter, ein Zelt, in dem gar scheußliche Monster zu besichtigen waren, und ein anderes mit einem wundersamen Flohzirkus, den Kettensprenger und den Schwertschlucker, den Messerwerfer und den Feuerfresser sowie den Mann, der über glühende Kohlen ging und sich auf ein Bett aus scharfen Dornen legte. Wie gern hätte er so manches Zelt betreten, um sich all diese aufregenden Darbietungen anzusehen. Aber er hatte nicht einmal einen einzigen Pfennig in der Tasche.

Er kam jedoch in den Genuss der unterhaltsamen Vorstellung einer kleinen Gruppe von Artisten und Schauspielern, die über kein eigenes Zelt verfügte und ihre Künste daher unter freiem Himmel auf einer primitiven Bretterbühne darbot, um hinterher mit dem Hut sammeln zu gehen.

Jakob stellte sich an die Seite der Bühne, neben einen der bemalten Kastenwagen, und bewunderte die artistischen Kunststücke der Männer und Frauen, die mit einem Salto vorwärts und rückwärts durch Feuerreifen sprangen, mit Fackeln jonglierten und mit verbundenen Augen über das Seil balancierten, das sie zwischen zwei Wagen rechts und links von der Bühne gespannt hatten.

Ihm fiel dabei ein Mädchen auf, das in einem Kostüm aus goldgelben Pumphosen, veilchenblauer Schärpe und einem engen, mohnroten Mieder steckte und herrlich schwarzes, blau schimmerndes Haar besaß. Das Mädchen hatte ein liebreizendes Gesicht und eine anmutige Figur und sie bewegte sich bei den Saltos durch die Feuerreifen ebenso behände wie furchtlos. Bei all den anderen atemberaubenden Kunststücken zeigte sie jedoch deutliche Anzeichen von Unsicherheit. Zweimal sah es so aus, als würde sie im nächsten Moment vom Seil stürzen, und sie rettete sich nur dadurch, indem sie sich von der Augenbinde befreite, was Angehörige ihrer Truppe zu einem ärgerlichen Zischen veranlasste. Und beim gefährlichen Jonglieren mit den Pechfackeln unterlief ihr ein Missgeschick, das beinahe zu einem Brand geführt hätte.