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Aber ebenso die Aussicht auf ein langsames, qualvolles Ende in der Folterkammer! Jakob lief so schnell, wie er wohl noch nie in seinem Leben gelaufen war, nicht mal in der Nacht seiner Flucht aus Himmerod. Er rannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Und wahrlich - was konnte teuflischer sein als die Behandlung, die der Domherr ihm zugedacht hatte?

Jakob versuchte seine Verfolger abzuhängen. Er rannte durch Gassen, die so schmal waren, dass zwei Personen nicht nebeneinander gehen konnten, kletterte über Mauern und nahm jede Gelegenheit wahr die Richtung zu ändern. Dabei geriet er dem Hauptmarkt und dem Kirchplatz, wo die Vaganten und Schausteller sich ausgebreitet hatten, immer näher. Auf einmal sah er vor sich die Zelte und die bunten Kastenwagen. Er lief darauf zu. Seitenstiche quälten ihn. Er benötigte dringend eine Atempause!

Kaum hatte er den ersten Wohnwagen zwischen sich und seine Verfolger gebracht, als er sich auch schon gegen eines der Räder lehnte und seinen schmerzenden Lungen einen Moment Atempause gönnte.

»Ist jemand hinter dir her?«

Jakob fuhr zusammen und richtete sich auf. Vor ihm stand das Mädchen Marga, jedoch nicht mehr in ihrem farbenroten Kostüm, sondern in einem einfachen, grauen Kattunkleid.

»Ja, und sie sind mir dicht auf den Fersen«, keuchte er.

»Ich höre es«, sagte sie, streckte ihm ihre Hand hin und forderte ihn dann auf: »Komm, ich weiß, wo du dich verstecken kannst!«

Jakob zögerte nicht lange, sondern ergriff ihre Hand und folgte Marga, die nun mit ihm zwischen den Wagen entlanglief. Sie führte ihn zu einem Wohnwagen, der schon sehr mitgenommen aussah. Die bunte Farbe war verblichen, sodass die Regenbogen, Sterne und astrologischen Zeichen kaum noch als solche zu erkennen waren.

Marga nahm die drei Stufen der kleinen Treppe mit einem Satz, stieß die Tür auf, zog ihn ins Innere des Wagens und verriegelte die Tür von innen. Keine Sekunde zu früh. Denn von draußen kam im nächsten Moment die atemlose Stimme eines Mannes: »Ja, ich habe ihn zwischen den Wagen verschwinden sehen!. Er muss hier irgendwo stecken!. Ihr geht am besten außen herum!. Hans, du kommst mit mir!«

»Himmel, das war knapp!«, stieß Jakob hervor.

»Sie werden die Wagen durchsuchen!«

»Du hast Recht. Und was jetzt?«

»Komm mit nach hinten!«

Jakob hatte nicht einmal Zeit sich flüchtig umzusehen. Die Vorhänge vor den beiden kleinen Fenstern waren zugezogen, sodass nur wenig Tageslicht eindrang. Er nahm rechts und links je eine Sitzbank wahr, die wohl auch als Schlafstelle dienten, und darüber eine Reihe von Staukästen. Von der Decke und an Wandhaken hingen allerlei Kostüme und Gerätschaften.

Marga kniete sich am Ende des Wohnwagens auf den Boden, schob einen kleinen Haufen Tücher und Kleider zur Seite und klappte eine Luke auf, die im Bretterboden eingelassen war. »Komm, hilf mir!«

Unter der Luke befand sich ein Hohlraum, der mit bauchigen, großen Korbflaschen gefüllt war. Sie hoben vier von ihnen heraus. Ein Geruch, der ihn an Branntwein erinnerte, drang Jakob dabei in die Nase.

»Das muss reichen! Nichts wie rein mit dir!«, drängte sie. »Sie können jeden Augenblick an die Tür klopfen. Und Zigeuner wie uns fasst man nicht gerade mit Samthandschuhen an, schon gar nicht, wenn man uns mal wieder im Verdacht hat irgendetwas Schändliches begangen zu haben. Also bete, dass wir Glück haben und ich als Schauspielerin besser bin denn als Jongleurin mit Fackeln!«

Jakob nickte und kroch hastig zwischen die Korbflaschen in den engen Hohlraum. Er musste sich reichlich verrenken, um dort Platz zu finden. Doch es ging und die Angst war eine große Helferin. Marga schloss die Luke und er hörte, wie sie einige der Korbflaschen, die sie aus dem verborgenen Stauraum geholt hatten, oben auf die Bretter stellte.

»Rühr dich bloß nicht da unten, wenn du uns nicht beide ins Verderben bringen willst!«, rief sie ihm zu.

»Ich werde so still und reglos sein wie ein toter Fisch!«, versprach er.

Gekrümmt lag er zwischen den Korbflaschen und wagte kaum zu atmen. Sein Herz hämmerte wie verrückt, während er auf die Geräusche lauschte, die von oben kamen und von draußen. Die erregten Stimmen ließen keinen Zweifel, dass seine Verfolger in den Wagen nach ihm suchten - und rasch näher kamen.

Dann hämmerte eine Männerfaust auch schon gegen die Tür und rüttelte am Schloss. »Aufmachen, verdammte Vaganten! Macht auf oder es bekommt Euch schlecht!. Wir suchen einen entflohenen Verbrecher!«

»Einen Augenblick!«, antwortete Marga unwirsch. »Ich bin gerade dabei, mich umzuziehen!«

»Sofort, habe ich gesagt! Keine Ausflüchte, Weib! Oder wir schlagen die Tür ein!«

Jakob hörte, wie Marga den Riegel zurückschob. In Schweiß gebadet, lag er in seinem Versteck. Die Angst jeden Moment entdeckt und hervorgezerrt zu werden bewirkte in ihm ein starkes Übelkeitsgefühl.

»Was wollt Ihr von mir?«, fragte Marga halb ärgerlich, halb verstört. »Ich habe nichts verbrochen! Und es ist eine Schande, dass Ihr mir keine Zeit gegeben habt mich züchtig zu bedecken.«

Schadenfrohes Gelächter kam von der Tür.

»Schau dir doch mal dieses Liebchen an!«, spottete einer der Männer. »Ist das nicht ein einladender Anblick, Willem?«

»Kann man wohl sagen, knackig wie ein Floh, der einem das Fell juckt. Nur die stinkende Vagantendecke stört.«

Jakob glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Das Mädchen hatte sich vollkommen ausgezogen und stand nur mit einer Decke, mit der es seine Blößen wohl absichtlich kaum bedeckte, vor diesen lüsternen Männern?

»Ja, da kann einem richtig warm ums Herz werden - und anderswo auch. Na komm schon, lass die Decke fallen und zeig uns den Rest, Zigeunermädchen!«, forderte der Mann namens Hans sie auf. »Nur nicht so prüde. Es weiß doch jeder, dass ihr für alles zu haben seid und so etwas wie Scham und Anstand nicht kennt.«

»Sagt, was Ihr von mir wollt, und dann verschwindet besser, bevor Ihr es mit meinem Vater zu tun bekommt!«, warnte Marga sie erbost. »Er hat ein verdammt hitziges Gemüt und mehr als einmal zum Messer gegriffen, wenn mir jemand auch bloß einen anzüglichen Blick zugeworfen hat! Also sucht Euch aus, wonach Euch der Sinn steht!«

»Wenn ich dich so ansehe, fällt mir eine Menge ein, wonach mir der Sinn steht, Liebchen. Und ich bin sicher, dass wir uns über den Preis.«

»Lass den Quatsch, Hans!«, fiel nun der andere ungeduldig ein. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Oder willst du den Kerl entwischen lassen? Wenn wir uns die Belohnung von zehn Talern verdienen, können wir uns die besten der barmherzigen Schwestern im Dutzend leisten!«

»Zehn Taler Belohnung wofür?«, fragte Marga mit unverhohlenem Interesse. »Wovon redet Ihr?«

»Wir suchen einen jungen Burschen«, erklärte Hans barsch und gab eine kurze Beschreibung von Jakob. »Hast du den Kerl gesehen?«

»Eurer Beschreibung nach kann er kaum ein Zigeuner sein«, stellte Marga sich dumm.

»Nein, zu diesem von Gott verfluchten fahrenden Volk gehört er nicht!«, lautete die grobe Antwort.

Marga lachte grimmig auf. »Und dann sucht Ihr ihn hier? Mein Gott, wie wenig wisst Ihr doch über uns Zigeuner! Sehe ich vielleicht so aus, als würde ich einen jungen Mann, der gar nicht zu unserer Sippe gehört, hier im Wagen verstecken? Ich muss in mein neues Kostüm, und wenn Ihr mir nicht glaubt, seht Euch doch selbst im Wagen um. Aber wenn mein Vater kommt und mich so mit Euch entdeckt. also, das ist Eure Sache.«

»Das können wir uns sparen. Hier steckt er nicht, das sieht doch ein Blinder«, sagte einer der Männer. »Los, zum nächsten Wagen. Vielleicht ist er ja auch schon drüben auf dem Markt untergetaucht!«