»Vielleicht sehen wir uns später noch mal, Liebchen«, sagte der Begleiter spöttisch. »Ein paar Fettmännchen wärst du mir schon wert.«
Die Männer sprangen von der Treppe und liefen zum nächsten Wagen. Marga verriegelte schnell wieder die Tür. Dann schob sie die schweren Korbflaschen von der Luke. »Du kannst aus dem Loch kommen. Aber wenn du Anstand hast, hältst du deine Augen für einen Augenblick geschlossen!«
Jakob tat, wie ihm geheißen. Er hob die Luke an, richtete sich auf und trat vorsichtig aus dem Hohlraum - mit geschlossenen Augen. Dabei konnte er jedoch nicht verhindern, dass er sich dieses hübsche Mädchen in Gedanken genau in jenem Zustand vorstellte, in dem es von Gott geschaffen war. Er hörte das Rascheln von Stoff, als sie sich nun schnell wieder anzog.
»So, fertig. Du brauchst nicht länger den Blinden zu spielen«, sagte sie dann.
Jakob öffnete die Augen. Marga hatte ihm den Rücken zugekehrt und drehte sich nun zu ihm um. Mit einer verlegenen Geste und leicht geröteten Wangen strich sie über ihr Kattunkleid. »So etwas tue ich wirklich nicht alle Tage«, sagte sie, als müsste sie sich für eine schamlose Tat entschuldigen.
Jakob verzog das Gesicht. »Das hätte ich auch nie angenommen. Danke, dass du mich gerettet hast. Ich werde nie wieder gutmachen können, was du für mich getan und riskiert hast. Das war unglaublich mutig von dir, Marga.«
»Ach was«, sagte sie und winkte verlegen ab. »Mir ist eben auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen. Außerdem bin ich dir was schuldig gewesen, wo du doch auch mir geholfen hast! Was glaubst du, was ich erlebt hätte, wenn es zu einem richtigen Brand gekommen wäre. Demeter hätte mich mit dem Ledergurt grün und blau geprügelt. Aber lassen wir das. Wie heißt du überhaupt?«
»Jakob Tillmann. Und du heißt Marga, nicht wahr?«
Sie nickte. »Marga Bandi. Und du bist aus Trier?«
»Nein, ich komme aus dem Bergischen Land«, antwortete er und verriet ihr damit mehr über seine Herkunft, als er Bruder Basilius und dem Schweden anvertraut hatte.
»Hast du etwas Schlimmes verbrochen, dass man dich sucht und zehn Taler auf deinen Kopf ausgesetzt hat?«, fragte sie mehr neugierig als argwöhnisch.
»Das einzige Verbrechen, das ich begangen habe, ist, dass ich mich eines alten, sterbenskranken Mönches angenommen und ihn in ein Kloster gebracht habe, ohne zu ahnen, dass er in eine gefährliche Sache verstrickt war und dass ebenso einflussreiche wie skrupellose Kirchenmänner mich deshalb auf der Folter sehen wollen!«
»Man will dich foltern?«, stieß sie entsetzt hervor.
Jakob nickte. »Sie hatten mich schon in der Folterkammer und ich bin ihnen gerade noch im letzten Moment entkommen.«
»Aber wer will dich denn foltern? Und warum, wenn du doch gar nichts weißt, wie du sagst?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Und für lange Geschichten ist jetzt keine Zeit«, erkannte Marga.
»Genau«, sagte Jakob und sank auf eine Sitzbank. Er bereute nun bitter, dass er seinen Drang, einen Streifzug durch die Stadt zu machen, nicht beherrscht hatte. Wäre er oben auf dem Dachboden des Gasthauses geblieben, wäre er auch Laurentis Coppeldiek nicht in die Arme gelaufen. Der Sekretär hatte bestimmt schon den Domherrn und dieser alle Torwachen und Amtleute alarmiert. Bald würde eine systematische Suche nach ihm beginnen, die es ihm vielleicht sogar unmöglich machte unbemerkt das Versteck unter dem Dach vom Roten Ochsen zu erreichen, geschweige denn mit Bruder Basilius und Henrik Wassmo aus Trier zu entkommen! Hätte er doch bloß auf den Mönch gehört. Bruder Basilius hatte schon gewusst, warum er ihm jeden Ausgang verwehrt hatte. Und nun hatte er ihrer aller Leben in noch größere Gefahr gebracht, nur weil er unbedingt seinen eigenen Kopf hatte durchsetzen müssen! Nun erhielt er die Rechnung dafür.
»Hast du irgendwo hier in der Stadt einen Schlupfwinkel, wo du dich verstecken kannst und vor deinen Verfolgern sicher bist?«, wollte Marga wissen.
»Ja, schon. aber wie komme ich jetzt dahin? Das Versteck ist ein gutes Stück von hier entfernt, fast auf der anderen Seite der Stadt. Man wird überall die Augen nach mir aufhalten.«
»Mhm«, machte Marga und wickelte eine Strähne ihres schulterlangen, blau schimmernden Haares um ihren Zeigefinger, während sie nachdachte. »Bis zur Dunkelheit kannst du jedenfalls nicht warten. Dann fällst du garantiert den Kettenwärtern auf, die bei Einbruch der Nacht überall in der Stadt die Straßenketten schließen. Außerdem wird Demeter dir nicht erlauben dich so lange hier im Wagen versteckt zu halten. Es ist nämlich gut möglich, dass unsere Wagen noch einmal durchsucht werden. Uns fahrendem Volk traut man ja alles Schlechte zu.«
»Es war dumm von mir, dass ich mich auf die Straßen hinausgewagt habe!« Jakob machte sich bittere Selbstvorwürfe. »Ich hätte mich still verhalten und in Geduld üben sollen, wie man es mir geraten hatte!«
Marga sah ihn plötzlich mit gefurchter Stirn an. »Warte mal, da kommt mir eine Idee!«
»Weißt du einen Ausweg? Ist dir etwas eingefallen, wie ich meinen Hals noch einmal aus der Schlinge ziehen kann?«
»Wer immer nach dir sucht, wird nach einem jungen Mann in abgerissener Kleidung Ausschau halten, nicht wahr?«
Jakob nickte. »Ja, sicher.«
»Aber nicht nach einer alten Frau!« Sie lachte ihn an. »Und als alte Frau wirst du diesen Wagen verlassen!«
Jakob sah sie verständnislos an. »Als alte Frau? Und wie willst du dieses Kunststück fertig bringen? Erzähl mir bloß nicht, dass du dich auf Hexerei und schwarze Magie verstehst!«
Sie winkte lachend ab. »Ach was, das geht ohne Hexerei. Ich muss bei unseren Schwänken selbst oft eine alte Frau spielen, seit Demeters ältere Schwester tot ist. Du bist ziemlich dürr, Jakob Tillmann, und hast glücklicherweise keinen Bartwuchs. Mit den richtigen Kleidern, einer Perücke und ein bisschen Schminke wirst du dich selbst nicht wieder erkennen, das verspreche ich dir.«
»Gebe Gott, dass du nicht zu viel versprichst!«
»Lass uns an die Arbeit gehen! Ich wette, dass dir die Sachen von Rosa passen werden. Sie war am Schluss auch nur noch Haut und Knochen.«
»Wer ist Rosa?«
»Rosa ist nicht mehr, sie war einmal. Demeters ältere Schwester ist vor ein paar Wochen gestorben. Die Schwindsucht hat sie dahingerafft«, teilte Marga ihm mit, während sie aus einem Leinensack Frauenkleider herauszerrte und ihm zuwarf. »Probier die Sachen an!«
Jakob zögerte.
Marga warf ihm einen spöttischen Blick über die Schulter zu. »Was ist? Worauf wartest du? Oder genierst du dich vielleicht vor mir? Ich verspreche dir auch nicht hinzugucken!«
Er wurde puterrot im Gesicht. »Blödsinn!«, brummte er, wandte ihr dann aber doch den Rücken zu, während er sich hastig bis auf seine Leibwäsche auszog. Er fuhr in das schlichte Kleid aus dunkelbraunem Flachstuch und legte dann das graue Mieder an.
»Bist du so weit?«
»Ja.«
Marga lachte belustigt, als sie ihn in den Frauenkleidern sah. »Nicht schlecht für den Anfang. Das Kleid passt wie angegossen!«
»Von wegen! Es schlottert mir um die Beine!«
»Das soll es doch auch. Eine alte, dürre, zahnlose Frau kommt doch nicht herausgeputzt daher wie ein Mädchen, das zum Tanz geht.«
Jakob sah sie erschrocken an. »Was meinst du mit zahnlos? Ich bin heilfroh, dass ich noch alle Zähne habe!«
Marga grinste vergnügt. »Dazu kommen wir gleich. Aber keine Sorge, ich werde dir deine Zähne schon nicht ausschlagen.« Sie zupfte an seinem Mieder. »Das sitzt noch nicht richtig, aber mit ein paar Nadeln kriegen wir das schon hin. Hier, zieh noch die löchrigen Wollstrümpfe an. Deine alten Stiefel werden wir gegen einfache Holzpantinen austauschen. Und jetzt setz mal die Perücke auf! Sie ist aus bestem Pferdehaar gefertigt und so gut gefärbt, dass die Farbe nicht auswäscht, selbst wenn es noch so heftig vom Himmel gießt.«