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Die Perücke mit dem langen, zotteligen, grauen Pferdehaar presste sich eng an seinen Kopf, aber es ließ sich aushalten.

Marga klatschte begeistert in die Hände. »Ausgezeichnet! Du kriegst gleich noch Rosas alte Haube, dann verschwindet der Haaransatz unter dem breiten Saum. Jetzt müssen wir bloß noch dein junges Gesicht richtig schminken - und man wird dich für ein altes Bettelweib halten!«

Jakob seufzte nur, denn seine Skepsis war noch längst nicht ausgeräumt. Wie wollte sie es schaffen, dass er, ein junger Mann, wie ein altes Weib aussah?

Marga forderte ihn auf sich im gedämpften Licht eines Fensters auf die Koje zu setzen, klappte ein Seitenbrett hoch und holte aus einem der oberen Staukästen eine ganze Reihe von Tiegeln und Dosen, die mit Schminke, Asche, Holzkohle und Farbpulvern gefüllt war.

Sie tunkte ihre Fingerspitzen in eine der Dosen. »Halte jetzt still!«, forderte sie ihn auf und begann die graubraune Schminke auf seinem Gesicht aufzutragen.

Ihr Gesicht war seinem jetzt ganz nahe und er sah ihr in die blauen Augen, während er ihre Fingerkuppen spürte, die mit sanftem Druck über seine Haut glitten. Es fühlte sich fast so an, als würde sie ihn streicheln. Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn, eine Mischung aus Verlegenheit, Zuneigung und Wohlbehagen.

Sein Blick begegnete ihrem Blick. Ihre Hand unterbrach ihre kreisförmigen Bewegungen und verharrte auf seiner linken Wange. Sie sahen einander einen kurzen Augenblick an. Dann senkte sie ihren Blick und sagte: »Es ist besser, du schließt deine Augen. Ich muss auch da Schminke auftragen.«

»Ich gebe mich ganz in deine Hände«, sagte er und schloss folgsam die Augen.

Sie lachte leise. »Ja, was bleibt dir auch anderes übrig, nicht wahr?«

Marga arbeitete eine ganze Weile an seinem Gesicht. Er hörte das Klappern der Dosen und Tiegel - und spürte immer wieder ihre Finger auf seiner Haut. Es war ein schönes Gefühl und es gab lange Momente, da vergaß er völlig, warum er mit geschlossenen Augen in diesem Zigeunerwagen saß.

»Das muss genügen«, sagte sie schließlich und brach damit das Schweigen der letzten Minuten. »Jetzt zeig mir deine Zähne. Nur nicht so zaghaft. Du musst sie schon richtig blecken, wenn ich dir schwarzfaule Stummel und ein paar Lücken im Gebiss schminken soll.«

Jakob zeigte ihr die Zähne.

»So, fertig ist das alte Weib!«, rief Marga wenig später. »Du kannst die Augen wieder aufmachen und dich im Spiegel begutachten.«

Jakob starrte wortlos in den Spiegel, den Marga ihm nun hinhielt. Das Gesicht, das ihm da unter einer schmutzigen Haube mit breitem Saum und zwischen strähnigem, grauem Haar entgegenblickte, war ihm fremd - erschreckend fremd!

»Na, was ist?«

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist nicht zu glauben!«, stieß er verblüfft hervor. »Wenn ich nicht wüsste, dass ich es bin, der da in den Spiegel blickt. also, dann würde ich es jetzt mit der Angst zu tun bekommen. Ich sehe tatsächlich wie ein altes Weib aus! Du bist wirklich eine Künstlerin, weißt du das?«

Marga lächelte geschmeichelt. »Das hat mir Rosa beigebracht. Und jetzt sollten wir uns beeilen aus dem Wagen zu kommen.«

Sie warf ihm Holzpantinen zu, stopfte seine Sachen in einen alten Weidenkorb und gab ihm noch ein schwarzes Schultertuch, das er sich über den Kopf legte.

»Bist du bereit?«, fragte sie dann, die Hand auf dem Riegel.

Jakob nickte beklommen.

Marga öffnete die Tür. Dann fiel ihr noch etwas ein. Sie drückte ihm einen knorrigen Stock in die Hand. »Der hat Rosa gehört. Und jetzt lass uns gehen.«

»Du willst mitkommen?«, fragte Jakob verwundert und mit leiser Stimme.

»Eine alte Frau, die sich auf einen Stock und auf ihre Enkelin stützen muss, ist viel unverdächtiger als ein altes Weib, das seltsamerweise aber so flott auf den Beinen ist wie ein junger Mann«, antwortete sie. »Und ich gehe jede Wette ein, dass du zwischendurch immer wieder mal vergisst, dass du dich wie eine alte, gebrechliche Frau benehmen musst, falls ich dich allein ziehen lasse.«

Er grinste schief. »Ja, vermutlich.«

»Du weist mir leise den Weg. Und denk immer daran, dass du ein altes Weib darstellst. Also krümm deinen Rücken und mach kleine, schlurfende Schritte. Und nun komm!«

Jakob hakte sich mit dem rechten Arm bei ihr ein und ließ sich von ihr die Treppe hinaufführen. Mit der anderen Hand stützte er sich auf den Stock, während er mit gesenktem Kopf nach rechts und links spähte.

Die ersten Amtsleute begegneten ihnen, als sie außen um den Marktplatz herumgingen. Jakob hatte Herzrasen und er fühlte sich tatsächlich zittrig wie ein altes Weib, als die Männer auf sie zukamen. Doch sie beachteten die beiden gar nicht und gingen vorbei, ohne ihnen auch nur einen zweiten Blick zu schenken.

»Es wirkt tatsächlich!«, murmelte Jakob.

»Natürlich, Rosa!. Meine Heilkräuter wirken Wunder, so als hätte man Jahrzehnte übersprungen. Und hab keine Sorge, ich habe dich fest im Griff!«, antwortete Marga belustigt.

Als sie die Straße hinter dem Markt hinuntergingen, stießen sie hinter einer scharfen Biegung plötzlich auf eine Sperre. Und bei den Posten, die dort aufgestellt waren, stand auch Laurentis Coppeldiek.

»Der kleine Mann mit den buschigen Augenbrauen, er kennt mich!«, stieß Jakob mit aufflammender Panik hervor. »Er gehört zu den Männern des Domherrn, der mich auf die Folter bringen will!«

»Ganz ruhig, Muttchen«, sagte Marga beruhigend. »Wir haben es nicht mehr weit. Bis zum Bader sind es bloß noch zwei Straßen. Er soll ein wahres Wundermittel gegen Schwindsucht haben. Nur Mut, Muttchen.« Sie sprach laut genug, so dass Laurentis Coppeldiek und die Männer, die bei ihm standen, sie gut hören konnten.

»Hast du Schwindsucht gesagt?«, rief einer der Posten ihr zu.

»Ach, das ist noch gar nicht sicher. Muttchen Rosa hat es wohl mit.«, begann Marga hastig, erhielt aber keine Gelegenheit ihren Satz zu beenden.

»Geh uns mit dem alten Weib bloß aus dem Weg!«, herrschte der Sekretär des Domherrn sie an. »Kommt uns bloß nicht zu nahe! Wer weiß, was ihr für Krankheiten einschleppt. Pack wie euch sollte man erst gar nicht in die Stadt lassen. Los, hinüber auf die andere Straßenseite mit euch!. Lasst sie durch!«

Marga zog Jakob auf die andere Straßenseite hinüber, wo nun einer der Kettenwärter die quer gespannte Eisenkette aushakte und schnell mehrere Schritte zurücktrat und ihnen den Rücken zuwandte, um nicht einmal mit ihrem Atem in Berührung zu kommen.

»Danke«, raunte Jakob, als sie die Sperre passiert hatten und rasch in die nächste Seitengasse einbogen. »Das hast du ganz ausgezeichnet gemacht. Du hast wirklich das Zeug zur Schauspielerin.«

»Das war kinderleicht. Ich brauchte mich doch bloß an das zu erinnern, was Rosa und mir die letzten Monate tausendmal widerfahren ist«, sagte Marga mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. »Niemand wollte mehr in ihrer Nähe sein und ihren Wagen betreten, als sie anfing Blut zu spucken. Deshalb hatte ich den Wagen nach ihrem Tod auch ganz für mich. Aber Demeter will ihn morgen, wenn wir Trier verlassen haben, draußen vor der Stadt mit Schwefel ausräuchern. Und dann bin ich mein eigenes kleines Reich los.«

»Ist Demeter der Mann, der dich auf der Bühne geohrfeigt hat?«, fragte Jakob.

»Ja, er ist das Oberhaupt der Sippe.«

»Und er ist auch dein Vater?« Jakob wagte nur zu sprechen, wenn niemand vor oder hinter ihnen war, der sie hätte hören können.

Sie schüttelte den Kopf. »Meine Eltern sind schon tot. Sie sind vor anderthalb Jahren bei einem Fährunglück im eisigen Rhein ertrunken.«

»Das tut mir Leid«, sagte Jakob. »Ich habe auch keine Eltern mehr. Meine Mutter ist aber schon vor zehn Jahren umgekommen. in einem Feuer. Meinen Vater habe ich nie kennen gelernt.« Er zögerte kurz und vertraute ihr dann ein weiteres persönliches Geheimnis an. »Er soll ein fescher Landsknecht aus dem Bayerischen gewesen sein, der nach dem Ende des Krieges auf dem Weg zurück in seine Heimat war, als er durch unser Dorf kam. Meine Mutter hat mit ihm angebändelt und fest darauf vertraut, dass er sie heiraten und mitnehmen würde. Doch er hat sich eines Tages bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht - und so bin ich denn als Bastard zur Welt gekommen. Wie mir meine Mutter erzählt hat, sollen die anderen Frauen im Dorf erst voller Neid und dann voll hämischer Schadenfreude gewesen sein.«