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»Ich weiß, was es heißt gebrandmarkt zu sein und nicht wirklich dazuzugehören«, sagte Marga bedrückt, während Jakob sie durch das Viertel der Gerber und Färber lenkte.

Ihnen kamen Handwerker entgegen und für eine Weile schwiegen sie, weil auf den Straßen in diesem Viertel ein reges Kommen und Gehen herrschte.

»Wer ist denn nun dieser Demeter?«, wollte er leise wissen, als er wieder eine Gelegenheit zum Sprechen fand.

»So etwas wie ein Onkel väterlicherseits, dem ich es nie recht machen kann, jedenfalls nicht bei unseren Vorstellungen«, antwortete Marga. »Und seit Rosa tot ist, hat er wohl zudem noch vergessen, dass wir blutsverwandt sind. Er stellt mir nämlich bei jeder Gelegenheit nach, sodass ich meine liebe Not habe ihn mir vom Hals zu halten. Mal versucht er es mit Zuckerbrot, mal mit der Peitsche.«

»Das darfst du dir nicht von ihm gefallen lassen!«, rief Jakob erbost. »Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich ihm das nächste Mal damit drohen, ihn irgendwann im Schlaf mit einem Rasiermesser zu überraschen - und das mit ihm zu tun, was aus einem feurigen Hengst einen zahmen Wallach macht!«

Marga lachte. »Keine schlechte Idee! Eine solche Drohung könnte bei ihm wirken. Auf jeden Fall ist es einen Versuch wert, Muttchen Rosa.«

Jakob blieb stehen. »Da drüben ist es«, sagte er und deutete zum Gasthaus hinüber, wo das Holzschild mit dem roten Ochsen vor dem Eingang hing. »Hier trennen sich unsere Wege. Danke für alles, Marga.«

Sie gab seinen Arm frei und reichte ihm den Weidenkorb mit seinen Sachen. »Ach was, das habe ich doch gern getan. Und es hat mir Spaß gemacht.«

»Ich werde versuchen dir die Kleider und die Perücke wiederzugeben. Ich kann jemanden von der Schenke mit den Sachen zu euch schicken.«

»Besser, du behältst sie und keiner erfährt, dass ich dir geholfen habe. Das ist sicherer so. Niemand wird Rosas alte Kleider vermissen.«

Er nickte und wusste nicht, was er sagen sollte. Jetzt bereute er, dass er nicht das Risiko eines längeren Rückweges eingegangen war. Dann hätte er noch mehr Zeit mit ihr verbringen können. Mit verlegenen Mienen standen sie sich gegenüber. Keiner von ihnen schien endgültig Abschied nehmen zu wollen.

»Wohin werdet ihr ziehen, wenn ihr Trier morgen verlasst?«, fragte Jakob schließlich.

»Wohl die Mosel flussabwärts und dann den Rhein entlang. Zu Ostern wollen wir in Köln sein, wenn dort die große Frühjahrsmesse stattfindet. Und du? Was wird aus dir?«

Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Ich habe Freunde, die mich aus der Stadt schmuggeln wollen. Aber wohin es dann gehen soll, haben sie mir noch nicht verraten.«

»Vielleicht verschlägt es dich zu Ostern ja auch nach Köln«, sagte sie hoffnungsvoll. »Wir werden dort bestimmt mehrere Wochen bleiben.«

»Ja, das würde mir gefallen«, sagte er und schluckte. »Ich meine dich wieder zu sehen, Marga.«

Sie errötete leicht und nickte. »Irgendwann und irgendwo laufen wir uns bestimmt wieder über den Weg. Dann aber unter günstigeren Vorzeichen, versprochen?«

»Versprochen«, sagte Jakob mit belegter Stimme und wünschte, er könnte mit ihr nach Köln ziehen. Wie kam es bloß, dass man das Gefühl hatte einen Menschen schon lange zu kennen, obwohl man von dessen Existenz noch vor einer Stunde nicht die geringste Ahnung gehabt hatte? Er nahm ihre Hand zum Abschied. Dann aber folgte er einem spontanen Impuls, beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Pass auf dich auf und Gottes Segen, Marga!«

»Dir auch, Jakob!«, flüsterte sie.

Jakob wandte sich schnell um, überquerte die Gasse und trat durch das schmale, offene Tor neben der Außentreppe. Er drehte sich noch einmal um, weil er ihr zuwinken wollte. Doch Marga stand nicht mehr an der Straßenecke. Sie war verschwunden. Und der Gedanke, dass er ihr vielleicht nie wieder begegnen würde, erfüllte ihn mit schmerzlichem Bedauern, ja mit großer Traurigkeit.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

In Gedanken noch ganz bei seiner Begegnung mit Marga, stieg Jakob die Treppe hoch. Ein vernehmliches Räuspern holte ihn in die Gegenwart zurück und ließ ihn aufblicken. Oben auf dem Treppenabsatz des zweiten Obergeschosses stand Henrik Wassmo und versperrte den Zugang zum Dachboden.

»Ich glaube, Ihr habt Euch in der Treppe geirrt!«, sprach der Schwede ihn an. »Hier oben habt Ihr sicherlich nichts verloren, gute Frau.«

Obwohl Jakob mit einer geharnischten Strafpredigt rechnete, konnte er sich eines Grinsens nicht erwehren. »Aber guter Mann, Ihr werdet einem alten Mütterchen wie mir doch nicht die Tür weisen«, antwortete er spöttisch und mit kieksender Kopfstimme. »Meine müden Knochen sehnen sich nach meinem herrlichen Strohlager da oben.« Er wies mit dem knorrigen Stock in Richtung Dachboden. ». und mein Geist dürstet nach einem erbaulichen Vers aus Eurem reichen Psalmenschatz.«

Henrik machte ein entgeistertes Gesicht. »Jakob?«, stieß er dann ungläubig hervor. »Bei Zions Zimbeln, Ihr seid es tatsächlich!«

»Die Luft von Trier scheint mir schlecht zu bekommen, sie lässt mich zu schnell altern, findet Ihr nicht auch?«, gab sich Jakob unbekümmert, während er zu ihm hochstieg.

»Bei der Knute der Gottlosen, wo seid Ihr bloß gewesen? Und wo habt Ihr diese unglaubliche Verkleidung her?«, wollte der Schwede wissen und packte ihn mit schmerzhaftem Griff an der Schulter.

»Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen. Aber ich habe es auf dem dunklen, muffigen Dachboden einfach nicht länger ausgehalten, Henrik«, sagte er entschuldigend, während sie ins Haus traten. Gleich links hinter der Tür führte die steile Stiege auf den Dachboden, dessen Bodenluke aufgeklappt stand. »Und diese tolle Verkleidung verdanke ich Marga.«

»Wer ist Marga?«, fragte der Schwede grimmig und gab ihm einen Schubs in Richtung Stiege.

»Ein Zigeunermädchen«, antwortete Jakob, um dann noch um einiges leiser hinzuzufügen: »Das genauso wenig tun und lassen kann, was es will, wie ich.«

Bruder Basilius saß im Licht der Dachluke auf einer Kiste und las in seinem Brevier. Auch er glaubte im ersten Moment eine alte Frau vor sich zu haben, als Jakob auf dem Dachboden auftauchte, und fragte Henrik verwundert, warum er diese Frau zu ihm führte. »Bringt sie Nachrichten von ihm? Weiß sie, wo er steckt?«

»Er ist es selbst, Bruder Basilius«, sagte Henrik, und als er sah, wie sich das verblüffte Gesicht des Mönches zu einem erbosten Ausdruck veränderte, rezitierte er begütigend: »Deine Ruhe hat er dir wiedergeschenkt; Seele, was hat er dir Gutes getan!«

Jakob hielt sich erst gar nicht mit umständlichen Entschuldigungen auf. Er wusste, dass er einen schwerwiegenden Fehler begangen und sie durch seinen eigenmächtigen Streifzug alle in noch größere Gefahr gebracht hatte. »Ich bitte um Absolution! Ich weiß, dass es nicht richtig war.«

»Nicht richtig?«, fiel ihm der Mönch grimmig ins Wort. »Habt Ihr überhaupt eine Vorstellung von den Sorgen, die wir uns die letzten Stunden gemacht haben?«

Jakob zeigte sich zerknirscht. »Es tut mir wirklich Leid, dass ich Euch Kummer bereitet habe, Bruder Basilius. Das wollte ich nicht. Aber ich habe es hier oben einfach nicht länger ertragen. Ich habe mich wie erdrückt gefühlt und musste an die frische Luft.«