»So, es tut Euch Leid! Und Ihr konntet es hier oben nicht länger ertragen! Na, vielleicht habt Ihr mehr Gefallen daran, diesen Dachboden wieder gegen die Folterkammer einzutauschen!«, hielt der Mönch ihm sarkastisch vor. »Gilt Euch mein Wort so wenig, dass Ihr Euch über meine Anweisungen so leicht hinwegsetzen könnt?«
Schuldbewusst und mit gesenktem Kopf stand Jakob vor ihm. Er hatte diese Ermahnungen und Vorhaltungen verdient und es gab wirklich keine Entschuldigung für sein Verhalten.
»Henrik, sagt ihm, wie es im 32. Psalm heißt!«, forderte Bruder Basilius den Schweden auf.
»Ihr seid doch mehr als Ross und Muli, die man mit Zaum und Zügel zwingt«, zitierte Henrik umgehend. »Euch sollte doch mein Wort schon lenken.«
»Ja, das sollte es!«, bekräftigte Bruder Basilius. »Wisst Ihr denn nicht, was hier auf dem Spiel steht?«
Jakob nickte stumm.
Henrik kam ihm nun zu Hilfe. »Herr, lass deinen Zorn verrauchen«, bat er psalmierend um Nachsicht. »Lass dein Erbarmen über uns kommen. Wie schön und lieblich ist es, wenn Brüder in Eintracht beisammen.«
Bruder Basilius warf ihm einen missgestimmten Blick zu, seufzte dann aber und sagte versöhnlich: »Ich lese ihm nicht die Leviten, weil mir das Vergnügen bereitet, Henrik. Es geht mir vielmehr darum, ihm zu Bewusstsein zu bringen, was für uns alle auf dem Spiel steht. Wir befinden uns nun mal in der Höhle des Löwen! Wie leicht hätte er da einem von Mundts Männern oder gar dem Domherrn selbst in die Arme laufen können.«
Jakob räusperte sich. »Genau das ist mir auch passiert. Zwar nicht Mundt und auch nicht dem Domherrn, aber doch seinem Sekretär, diesem Laurentis Coppeldiek«, eröffnete er ihnen und seine Ohren brannten vor Scham.
Der Mönch machte ein bestürztes Gesicht, sank auf seine Kiste und schloss kurz die Augen. »Oh Gott, du bist der Quell des Erbarmens und der Güte, wir stehen als Sünder vor dir und unser Gewissen klagt uns an. Sieh auf unsere Not und lass uns Vergebung finden vor dir!«, stieß er inbrünstig hervor.
Auch Henrik zeigte sich betroffen. »Und sie tauschen den Purpur der Beschämung für ihren eigenen Übermut ein«, stellte er mit einem Blick auf Jakobs hochrotes Gesicht fest. »Muss erst ein Greis werden, wer mit Einsicht gesegnet?«
Jakob zerrte Tuch, Haube und Perücke vom Kopf und setzte sich mit hängenden Schultern zu Bruder Basilius. »Ich weiß, dass ich mich verantwortungslos und wie ein Tölpel benommen habe. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Aber es ist nun mal geschehen«, sagte er beschämt.
Bruder Basilius atmete tief durch und legte ihm dann seine Hand auf den Arm. »Gut, reden wir nicht mehr darüber. Erzählt nun, was geschehen ist!«
Jakob berichtete ihnen in knappen, nüchternen Worten von seinem Streifzug durch die Stadt. Er schilderte, wie Laurentis Coppeldiek ihn erkannte und wie ihn das Zigeunermädchen Marga versteckt und durch ihre geniale Schminkkunst und die Verkleidung vor seinen Verfolgern gerettet hatte.
»Dem Himmel sei Dank für dieses Mädchen!«, rief Bruder Basilius, noch im Nachhinein erschrocken, wie nahe Jakob wieder der Ergreifung und damit der Folterkammer gewesen war.
»Aber sie hat Euch bis vor das Haus geführt, nicht wahr?«, vergewisserte sich Henrik mit besorgter Miene.
»Ja, aber ich vertraue ihr. Marga wird niemandem ein Wort von mir erzählen!«, beteuerte Jakob. »Sie wird dieses Geheimnis schon aus eigenem Interesse für sich behalten.«
Der Schwede warf Bruder Basilius einen sorgenvollen Blick zu, worauf dieser mit düsterer Miene zu Jakob sagte: »Ich zweifle nicht an Euren Worten. Aber kann sie dieses Geheimnis auch auf der Folter für sich bewahren?«
Jakob erschrak. »Auf der Folter? Aber wieso? Es weiß doch niemand, dass sie mich versteckt und mir zur Flucht verholfen hat! Und wenn jemand von ihren Leuten sie nach der alten Frau fragen sollte, dann wird ihr bestimmt eine harmlose und unverfängliche Erklärung einfallen.« Eine andere Möglichkeit wollte er nicht einmal vage in Erwägung ziehen.
»Hoffen wir, dass es so sein wird, Jakob«, sagte der Mönch.
»Die Zeit ist reif, die Stunde da«, meinte Henrik nun.
Bruder Basilius nickte. »Auch wenn dieses Zigeunermädchen unbehelligt bleibt, was Gott geben möge, sind wir unter diesem Dach nicht länger sicher. Wir müssen dieses Versteck umgehend räumen.«
»Aber warum denn?«, wollte Jakob wissen.
»Ihre Zunge steht Schlangenzungen nicht nach, ihr Gift nicht dem schillernder Ottern«, warf Henrik unheilvoll ein.
Bruder Basilius nickte ihm beipflichtend zu. »Und Domherr von Drolshagen ist in dieser Stadt mächtig genug, um sein Gift gleich kübelweise ausgießen zu können! Denn da er nun weiß, dass wir uns nicht irgendwo im Hunsrück herumtreiben, sondern uns in den Mauern von Trier versteckt haben, wird er ohne Frage eine groß angelegte Suche in Gang setzen, bei der Schenken und Gasthäuser natürlich ganz oben auf der Liste stehen werden!«
Daran hatte Jakob nicht gedacht. Ihm wurde ganz mulmig zu Mute. »Und was machen wir jetzt?«
Bruder Basilius sprang auf. »Wir packen unsere Sachen und begeben uns unverzüglich in die Werkstatt des Küfers Albrecht Hasenkötter!«, teilte er ihm mit. »Dem Himmel sei Dank, dass er schon mit den Vorbereitungen fertig ist. Wir werden nicht bis morgen warten, sondern es heute schon wagen aus der Stadt zu kommen.«
Henrik nickte. »Dann müssen wir zum Goldschmied. Vor allem aber müssen wir Fritz Däublin Bescheid geben.«
»Richtig, Däublin! Hoffentlich ist er nicht unterwegs. Übernehmt Ihr das, Henrik! Er soll so schnell wie möglich kommen. Und dann sucht den Goldschmied auf - und nehmt, was Ihr kriegen könnt«, trug Bruder Basilius ihm auf, während er seine wenigen Habseligkeiten in einen Beutel stopfte und sich dann wieder den dreckigen Kopfverband anlegte, der seine Augenklappe verbergen sollte. »Ich bringe indessen unsere vorwitzige alte Frau schon mal zu Hasenkötter hinüber.« Und zu Jakob, der mit blassem Gesicht dastand, sagte er, als wollte er ihm Mut machen: »Ein Segen, dass diese Marga Euch so täuschend hergerichtet hat. Davon werden wir beide profitieren. Ein Segen auch, dass die Werkstatt des Küfers nur ein paar Straßen von hier entfernt liegt.«
Der Schwede hatte augenblicklich den Dachboden verlassen. Wenige Minuten später hasteten auch Jakob und der Mönch die Außentreppe hinunter. Auf der ersten Etage, wo sich die Privaträume von Conradt Stroedecker und seiner Familie befanden, rief Bruder Basilius gedämpft nach dem Gastwirt. Die beiden Männer wechselten hastig ein paar Worte, dann umarmten sie sich kurz und der Mönch segnete ihn, bevor er zu Jakob zurückkehrte, mit ihm die letzten Treppenstufen hinuntereilte und ihn dann durch das Tor auf die Straße führte.
Jakob stützte sich auf seinen Stock und ging wieder in gekrümmter Haltung und kurzen, schlurfenden Schrittes durch die Gassen. »Ihr wollt doch wohl nicht versuchen uns in einer Tonne oder so aus der Stadt zu schmuggeln?« raunte er. »Die Torwachen werden bestimmt den Befehl haben kein Fuhrwerk und keine Kutsche ohne gründliche Durchsuchung passieren zu lassen. Und natürlich werden sie auch in jede große Kiste oder Tonne schauen und sich vergewissern, dass sich niemand darin versteckt hat! Jeder wird sich die ausgesetzte Belohnung von zehn Talern verdienen wollen!«
»Es wird sicherlich nicht einfach sein die Wachen zu übertölpeln«, räumte Bruder Basilius leise ein. »Aber mit Gottes Hilfe wird es uns schon gelingen. So, hier links. Da drüben ist die Werkstatt, gleich hinter der halb eingestürzten Mauer!«
Bruder Basilius führte ihn durch ein offen stehendes Tor in einen geräumigen Hinterhof, der zu einem gut Teil mit Fässern und Tonnen in den unterschiedlichsten Größen und Holzstärken voll gestellt war. Die Mauern der Werkstatt, die sich hinter einem Fachwerkhaus anschloss, bestand aus grob behauenen Steinquadern. Aus Holz gearbeitet waren allein die beiden Flügel des hohen Brettertores, das bis auf einen mannsbreiten Spalt geschlossen stand. Jakob hörte dumpfes, rhythmisches Hämmern und bemerkte den roten Schein starker Glut, als sie auf den Eingang der Küferwerkstatt zugingen. Der Mönch stieß eines der Flügeltore etwas weiter auf und schob Jakob vor sich her.