Ein stämmiger, muskulöser Mann, der über der nackten Brust nur eine kurze, ärmellose Jacke aus Schaffell trug, stand über ein halb fertiges Fass gebeugt, das Gesicht von Hitze und Feuerschein gerötet. Die Dauben waren am oberen Ende schon mit Holzringen zusammengefügt. Unten dagegen klafften sie noch weit auseinander und standen gespreizt auf dem festgestampften Lehmboden, sodass man zwischen ihren breiten Spalten gut die rot leuchtende, aufgetürmte Glut sehen konnte, die der Fassbinder für seine Arbeit brauchte. Albrecht Hasenkötter schwang einen klobigen, kurzstieli-gen Holzhammer mit breiten Flächen und schlug auf einen schmalen, länglichen Holzkeil ein, der auf dem oberen Holzring auflag und den er mit jedem Schlag ein wenig tiefer und damit fester um die Dauben drückte.
Überrascht blickte er nun von seiner Arbeit auf, wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und sagte verwundert: »Ihr seid ja schon wieder zurück, Pater! Gehört diese alte Frau auch zu Euch?« Abwehrend hob er die Hände, den würfelähnlichen Hammer in der einen und den Führungskeil in der anderen. »Eine vierte Person, die zudem auch noch so alt und gebrechlich ist, kann ich unmöglich.«
»Spart Euch Euren Atem, mein lieber Hasenkötter«, fiel Bruder Basilius ihm ins Wort, während er Jakob bedeutete die Perücke samt Haube und Schultertuch vom Kopf zu ziehen. »Die Frau ist ein Mann, wie Ihr seht, und er ist auch nicht alt und gebrechlich, sondern jung - und manchmal leider auch dementsprechend gedankenlos. Dieser jugendlichen Gedankenlosigkeit verdanken wir es denn auch, dass wir schon heute aus der Stadt müssen.«
»Mit dieser trefflichen Verkleidung seid Ihr auf meine Hilfe doch gar nicht angewiesen«, sagte Albrecht Hasenkötter zu Jakob. »Damit passiert Ihr alle Kontrollen und Torwächter!«
»Nicht, wenn man ihn anspricht und er den Mund aufmachen muss«, entgegnete Bruder Basilius. »Außerdem haben wir bis vor wenigen Minuten noch nichts von jener Person geahnt, die eine solch täuschende Schminkkunst beherrscht. Aber auch die beste Schminke wird nicht über mein fehlendes linkes Auge hinwegtäuschen können. Nein, es bleibt bei unserem ursprünglichen Plan.«
Albrecht Hasenkötter nickte. »Man merkt, dass Ihr ein Mann des Geistes seid und nichts unbedacht lasst, Pater. Nun, in Eurer Situation tut Ihr auch gut daran, kein unnötiges Risiko einzugehen. Und was meinen Part bei Eurem Plan betrifft, so kann es von mir aus jederzeit losgehen.«
»Darf ich jetzt erfahren, um was für einen Plan es sich handelt?«, fragte Jakob.
Bruder Basilius nickte. »Wie würde Henrik jetzt sagen? >Die Zeit ist reif, die Stunde da!<« Und zum Küfer gewandt sagte er: »Zeigt Ihm Euer meisterliches Werk!«
»Mit Vergnügen!« Albrecht Hasenkötter legte Hammer und Führungskeil aus der Hand, holte eine Laterne und führte Jakob dann in die hinterste, dunkle Ecke der Werkstatt.
Jakob runzelte die Brauen, als er nun im Licht der Laterne das gut vier Schritt lange und brusthohe Fass erblickte. »Darin sollen wir uns verstecken?«, fragte er besorgt.
Bruder Basilius, der ihnen gefolgt war, nickte. »Darin werden wir, mit ein bisschen Glück und Gottes Segen, unbemerkt aus der Stadt kommen.«
»Unmöglich!«, widersprach Jakob heftig. »Das Fass mag groß genug sein, um uns drei aufzunehmen, aber so eine große Tonne wird an jedem Tor Misstrauen erwecken und zu einer Durchsuchung führen. Und dann genügt schon ein einziger Blick ins Innere, um uns ans Messer zu liefern!«
Albrecht Hasenkötter und der Mönch tauschten einen vergnügten Blick und der Küfer sagte: »Nicht, wenn Hannes Däublin, einer unserer stadtbekannten Goldgräber, diese Tonne auf seinem Fuhrwerk hat.«
»Goldgräber?«, fragte Jakob irritiert. »Meint Ihr damit einen Kloakenreiniger?«
Albrecht Hasenkötter nickte schmunzelnd. »Ja, so werden bei uns die Leute genannt, die Kloaken und Abortgruben ausheben und die Jauche aus der Stadt bringen.«
»Aber dass diese Tonne ganz neu und nicht mit Kloakenjauche gefüllt ist, sieht doch ein Blinder!«, wandte Jakob ein.
»Keine Sorge, die Tonne wird bis oben hin gefüllt sein und schon aus guter Entfernung keinen Zweifel daran lassen, was sie in ihrem Bauch hat!«, versicherte Bruder Basilius. »Sollen die Wachen nur den Deckel öffnen und einen Blick hineinwerfen, wenn sie Lust danach verspüren.«
»Ja, aber. wenn das Fass gefüllt ist, wo und wie sollen wir uns dann darin verstecken, ohne in der Jauche zu ersaufen?«, wandte Jakob verständnislos ein. »Gibt es vielleicht einen zweiten Boden oder andere Hohlräume?«
Der Küfer schüttelte den Kopf. »Nein, dazu fehlte die Zeit.
Kommt, ich zeige Euch etwas!« Er beugte sich vor, hob dabei die Laterne an und deutete auf eine Stelle nahe des äußersten Holzringes. »Seht Ihr diese winzigen Löcher in der Mitte der Daube?«
»Nein, ich kann nichts entdecken.«
»Ich sagte ja, Euch ist ein meisterliches Werk gelungen!«, bemerkte Bruder Basilius hinter ihnen.
»Schaut genauer hin, Jakob! Genau hier vor meiner Fingerspitze!«, forderte der Fassbinder ihn auf und legte nun seinen Finger auf die Daube.
»Mein Gott, ja, jetzt sehe ich die Löcher!« Sie waren kaum größer als Nadelstiche und lagen auf einer kleinen Fläche von der Größe einer Pfennigmünze so nahe am Holzring, dass sie nur zu bemerken waren, wenn man genau wußte, wonach man zu suchen hatte.
»Es sind genau acht an der Zahl. Zu wenige, um aufzufallen, aber genug, um ausreichend Luft zu bekommen. Auf der anderen Seite der Tonne befinden sich zwei weitere durchlöcherte Stellen.«
Jakob runzelte verwirrt die Stirn. »Gut, es sind Luftlöcher. Aber wie sollen wir denn da durchatmen, wenn die Tonne mit Jauche gefüllt ist? Dann müssen wir uns ja den Kopf verrenken und den Mund ständig auf diese kleine Stelle gepresst halten!«, wandte er ein.
»Das hier wird es Euch ein wenig leichter machen«, antwortete Albrecht Hasenkötter, griff neben sich und reichte ihm im nächsten Moment einen Holzstab, der daumendick war und die Länge eines Unterarms besaß. Er war hohl und verfügte an einem Ende über ein Gewinde. »Dies hier schraubt Ihr von innen in Euer Atemloch. Ich kann zwar nicht garantieren, dass Ihr dabei keinen steifen Nacken bekommt, dafür aber ist sicher, dass Ihr genug Luft bekommt, sofern Ihr Euer Luftrohr schön im Mund behaltet.«
Verblüfft blickte Jakob auf das Holzrohr. Dann grinste er. »Keine schlechte Idee!«, sagte er beeindruckt und mit neuer Zuversicht. »So kann es wirklich gelingen!«
»Und ob es gelingen wird!«, bekräftigte Bruder Basilius. »Andernfalls.« Er beließ es dabei. Was sie erwartete, wenn bei der Sache irgendetwas schiefging, war ihnen allen nur zu gut bewusst.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Wenig später rumpelte ein schmutziges Fuhrwerk in den Hof des Fassbinders. Der durchdringende Geruch, der von dem Gefährt und dem halben Dutzend kleiner Tonnen ausging, die auf der offenen Ladefläche festgezurrt waren, sprach eine beredte Sprache: Fritz Däublin, der »Goldgräber«, war mit seinem Gespann eingetroffen!
Der Kloakenreiniger, der mit den Schindern und Gassenkehrern und den Totengräbern und Knochensammlern in jeder Stadt zu den anstößigen Außenseitern gehörte, deren Dienste man zwar dringend benötigte, deren Nähe man aber möglichst mied, war ein sehniger, älterer Mann mit einer Hasenscharte und lichtem Haar. Er machte nicht viel Worte. Man merkte ihm sofort an, dass er es gewohnt war sofort zur Sache zu kommen und ohne große Umschweife mit der Arbeit zu beginnen.
»Wie ich gehört habe, soll es heute noch losgehen, Pater?«, vergewisserte er sich.