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»Der Schwede schlägt die höchsten Wellen!«, rief Jakob, als Henrik zu seiner Luftöffnung kroch und dabei das Wasser ordentlich hin und her schwappen ließ. Er musste aufpassen, dass er Luft bekam, ohne dabei Wasser in den Mund zu bekommen.

»Genieße, solange du noch darfst, solange dein Kahn noch schwimmt auf heiterer Flut«, antwortete Henrik sarkastisch und nahm seinen Platz ein.

Fritz Däublins Gesicht erschien in der Öffnung. »Noch etwas: Wenn wir zum Tor kommen, werde ich mit dem Stiel meiner Peitsche zweimal kurz gegen die Tonne schlagen. Dann wisst Ihr, dass es ernst wird. Und wenn dann einer von Euch sein Luftrohr ausblasen muss, dann soll er es so langsam wie möglich tun, damit das Wasser nicht als auffällige, achtstrahlige Fontäne aus den Dauben geschossen kommt, sondern unbemerkt aus den Öffnungen sickert!«, ermahnte er sie. »Wenn wir das Stadttor passiert haben, klopfe ich mit dem Peitschenstiel viermal gegen die Seitenwand.«

Bruder Basilius, Jakob und Henrik versicherten, dass sie verstanden hatten und alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um die Nerven zu bewahren. Nur so war zu vermeiden, dass diese Fahrt in der Jauchetonne für sie alle in der Folterkammer oder auf dem Richtplatz vor der Stadt endete.

»Gut, und wer seine Klammer noch nicht auf der Nase hat, sollte es jetzt tun!«, riet ihnen Fritz Däublin. »Denn nun ist es an der Zeit diese Tonne nicht nur von außen zu beschmutzen, sondern ihr auch im Innern den Anschein zu geben, als würde sie einzig den stinkenden Inhalt einiger Kloaken bergen.«

Henrik stöhnte gequält auf. »Verfehlung mehr als Haare auf dem Haupte und Mut so viel wie Wasser in der Wüste!«, spottete er bitter über sich. »Mein Helfer du, in tiefster Nacht mein Licht, mein Gott und Retter, säume nicht!«

Hastig setzte sich Jakob nun die Klammer auf die Nase, hockte sich unter sein Luftrohr und presste mit seinem Atem das noch saubere Wasser durch die acht feinen Löcher in der Daube über ihm. Dann ergoss sich auch schon der erste Schwall Abwasser in die Tonne. Jakob schloss die Augen, setzte sich auf seine Knie, wie Bruder Basilius ihm geraten hatte, und atmete so ruhig wie möglich.

Es dauerte nicht lange und die Tonne war bis oben hin voll. Einer der Männer schloss den Deckel, und das Wissen, dass nun nicht ein einziger Lichtschimmer mehr zu ihnen in den Kloakentank fiel, steigerte Jakobs Gefühl der Beklemmung. Er versuchte sich abzulenken, indem er auf die Geräusche lauschte, die stark gedämpft von draußen zu ihnen drangen. Er vermochte jedoch weder eine Stimme zu erkennen noch ein Wort zu verstehen.

Ein Ruck ging durch das Fuhrwerk und Jakob folgerte, dass Fritz Däublin sein Pferd wieder eingespannt hatte.

Jetzt musste es jeden Moment losgehen! Er spreizte seine Beine etwas, um mehr Halt zu gewinnen, und tastete rechts und links nach den Wänden der Tonne.

Jakob hatte sich keinen Moment zu früh um festen Halt bemüht. Denn kaum hatte er sich zu beiden Seiten abgestützt, als sich das Fuhrwerk auch schon in Bewegung setzte und über die Schwelle der Küferwerkstatt rumpelte. Eine unsichtbare Kraft wollte ihn dabei nach hinten drücken. Wäre er unvorbereitet gewesen, hätte er vermutlich das Gleichgewicht verloren - und das Luftrohr aus dem Mund.

Den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund angestrengt um das Atemrohr gepresst, so kniete Jakob vor Bruder Basilius und versuchte nicht daran zu denken, was geschehen würde, wenn sein Holzrohr brach oder wenn er sich vor Angst verschluckte. Währenddessen rollte das schwer beladene Fuhrwerk des Kloakenreinigers langsam durch die Gassen von Trier. Bis zur Porta Nigra, dem Nordtor, würden es nicht mehr als zehn, zwölf Minuten sein, wie Fritz Däublin ihnen beim Auffüllen der Tonne versichert hatte, und von dort bis zum ersten Halt hinter der Richtstätte, wo der Kloakenreiniger in einen Graben genug Wasser ablassen wollte, damit sie bei offener Luke und ohne ihre Holzrohre atmen konnten, waren es noch einmal fünf bis acht Minuten.

Aber schon nach kurzer Zeit spürte Jakob, dass sein verkrampfter Körper gegen die unnatürliche Haltung mit Schmerzen antwortete. Sein Nacken protestierte mit scharfen Stichen, seine Wangenmuskeln begannen zu schmerzen und seine Knie taten weh. Aber was konnte er schon dagegen tun? Es gab keine andere Haltung, die er hätte einnehmen können. Und er konnte auch schlecht den Deckel aufstoßen, um für einen Augenblick aufzutauchen und tief nach Luft zu schnappen.

Ignoriere die Schmerzen, Jakob, redete er sich zu. Du kannst sie aushalten und sie bringen dich nicht um - im Gegensatz zu Mundt und Drolshagen! Ignoriere alles! Ruhig atmen und bloß nicht die Nerven verlieren. Die paar Minuten hältst du durch. Es können doch bloß noch sechs, sieben Minuten sein. Lächerlich! Vergiss nicht, dass es um dein Leben geht. Du willst doch wohl nicht in die Folterkammer zurück, oder? Also reiß dich gefälligst zusammen, Bursche!

Für eine Weile gelang es ihm das gefährliche Gemisch aus Angst und Schmerzen, das in ihm brodelte, unter Kontrolle zu halten. Doch nach einigen Minuten wurde ihm jeder Atemzug zur Qual. Sein Herz begann immer schneller zu schlagen und seine Lungen schienen plötzlich nicht mehr genug Luft zu bekommen. Er atmete hastiger und verzweifelter.

Wo bleibt das Tor?, schrie es in ihm und er bewegte seinen Körper in wachsender Panik hin und her. Wo bleibt das verfluchte Tor! Ich halte es nicht mehr länger aus! Ich muss hier raus oder ich ersticke!

Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Bruder Basilius schien zu ahnen, was in ihm vor sich ging und wie gefährlich nahe er daran war, die Nerven zu verlieren. Mit kräftigem Druck presste er ihn hinunter, sodass Jakob wieder auf seinen Knien zu sitzen kam. Dann griff er nach seiner rechten Hand und schob seine Finger zwischen seine, sodass ihre Hände ineinander gefaltet lagen. Und so hielt er ihn fest.

Der stumme Beistand verfehlte nicht seine Wirkung. Jakob bekam die panikartige Aufwallung immerhin einigermaßen in den Griff. Zwar ließ sie ihn nicht ganz los, aber er schaffte es, sie mit äußerster Willensanstrengung unter Kontrolle zu halten.

Plötzlich kamen von vorn zwei dumpfe Stöße. Sie hatten das Stadttor erreicht! Jetzt würde es sich entscheiden, ob die Wachen auf die Täuschung hereinfielen.

Jakob hielt den Atem an.

Das Fuhrwerk schaukelte! Jemand kletterte an der Seite hoch! Unwillkürlich riss Jakob die Augen auf. Er sah, wie der Deckel geöffnet wurde und Licht zu ihnen durch die trübe Brühe drang. Etwas Schmales, Langes stach durch die Jauche und bohrte sich direkt vor seinen Knien in den Boden.

Eine der Wachen hatte eine Lanze in den Tank gerammt, wohl um zu sehen, ob die Tonne einen doppelten Boden hatte. Und die Spitze hatte ihn nur um weniges verfehlt!

Er starrte nach oben und sah, wie die Lanze wieder verschwand. Im hellen Kreis der Öffnung schwamm etwas Unförmiges. Doch bevor er feststellen konnte, was es war, knallte der Deckel wieder zu. Er hörte Stimmen, ohne jedoch verstehen zu können, was sie sagten. Und dann ruckte das Fuhrwerk wieder an.

Bruder Basilius drückte seine Hand und schüttelte sie, und Jakob beantwortete die Geste des stummen Jubels mit einem gleichsam kräftigen Händedruck. Sie hatten die Wachen passiert und rollten durch das Stadttor in die Freiheit!

Augenblicke später gab Fritz Däublin mit dem Peitschenstiel das verabredete Zeichen, dass die Mauern von Trier hinter ihnen lagen. Ihre Flucht war gelungen!

Vierundzwanzigstes Kapitel

Trotz des glücklichen Gefühls entkommen zu sein spürte Jakob immer noch entsetzliche Beklemmung und Atemnot. Es dauerte fast unerträglich lange, bis sie endlich den Graben hinter der Richtstätte erreicht hatten. Hier standen der Galgen und das große Rad, auf das diejenigen Unglücklichen mit ausgestreckten Armen und Beinen gespannt wurden, über die das Gericht den grausamen Tod durch Rädern ausgesprochen hatte. Denn Rädern bedeutete, dass man ihnen, gefesselt auf das Rad, mit der Axt die Gliedmaßen abhackte -und dass nach der Vollstreckung die Leichenteile den Krähen und anderem Getier zum Fraß überlassen blieben.