Выбрать главу

Bruder Basilius gab einen schweren Stoßseufzer von sich. »Ach, darauf gibt es nicht eine einzige, alles erklärende Antwort. Auf Euer Warum kann ich nur sagen: Weil die Menschen immer noch mehr Aberglauben als wahren Glauben an Gott und die Botschaft des Evangeliums besitzen. Weil die Verunsicherung durch die Glaubensspaltung und die Furcht vor dem Jüngsten Gericht und der Hölle, mit der so viele Priester ihre Gemeinden in Angst und Schrecken versetzen, das Vertrauen auf den Himmel zerstören sowie Missgunst, Hass und der Bereitschaft zur Gewalt Vorschub leisten. Weil Hexenrichter, Folterknechte und Scharfrichter sich ihr grausames Handwerk gut bezahlen lassen. Weil Städte und Gemeinde das Vermögen verurteilter Hexen und Drudner konfiszieren und sich daran bereichern können. Weil eine anonyme Denunziation schon reicht, um jemanden zur Hexe zu stempeln und sie auf die Folter zu bringen, sodass man sich auf diese Weise bequem eines unliebsamen Nachbarn oder gar Gläubigers entledigen kann. Vor allem aber weil Menschen in Zeiten der Verelendung, wo Missernten, fürchterliche Seuchen, Naturkatastrophen und Kriege das Land heimsuchen, Sündenböcke brauchen und einen Weg suchen, um ihrer Ohnmacht bei all dem Leid und Unglück auf irgendeine Weise Luft zu machen - mögen sie nun Juden, Zigeuner, Protestanten oder Hexen heißen.«

»Das allein kann es nicht sein, denn harte Zeiten gab es doch auch in den Jahrhunderten davor!«

»Ihr habt recht, Jakob. Sicherlich kamen mehrere unselige Umstände zusammen. So, wie Kalisalpeter, zerstoßene Holzkohle und Schwefel getrennt harmlos sind und keinen Schaden anrichten, in richtiger Mischung aber zu Schießpulver werden, bei dem es nur eines Funkens bedarf, um es explodieren zu lassen. Ich fürchte, die päpstliche Bulle Summis desiderantes affectibus von 1484 hat in Zusammenhang mit dem grotesken, aber leider rasch weit verbreiteten Malleus Maleficarum eine solch mörderische Mischung ergeben und die blutige Lawine der Hexenjagden losgetreten. Diese sogenannte >Bibel der Hexenrichter< hat auf jeden Fall die Aufmerksamkeit von vielen Kirchenmännern und Ratsherren geweckt und diese haben sich dann von dem Hexenwahn der Verfasser anstecken lassen.«

»Von diesem Malleus Maleficarum habe ich schon mal gehört«, sagte Jakob zögernd und mit angestrengtem Gesicht.

»Man nennt dieses ebenso dicke wie wirre Werk auch den Hexenhammer, eine unsägliche Sammlung von angeblichen Beweisen über das Unwesen der Hexen und sich wissenschaftlich gebärdenden Anregungen, wie man Hexen und Druden und andere Satanshörige angeblich überführen kann. Zwei Inquisitoren aus dem Dominikanerorden haben ihn verfasst, Heinrich Kramer und Jakob Sprenger. Beide stießen bei ihrer Verfolgung von Hexen auf starken Widerstand von kirchlichen und weltlichen Behörden. Um diesen Widerstand zu brechen, erwirkten sie 1484 von Papst Innozenz VIII. die Bulle Summis desiderantes affectibus, die es ihnen erlaubte ihre Arbeit fortzusetzen. Diese Bulle und ein Anerkennungsschreiben der Kölner Universität nahmen sie als Vorwort in ihren Hexenhammer auf, den sie drei Jahre später in Druck legten, sodass es den Anschein hatte, als wäre ihr Hexenfieber von Rom gebilligt und auch von höchsten deutschen theologischen Gremien abgesegnet.« Er seufzte. »Worte haben schöpferische oder zerstörerische Kräfte, sie können Engel gebären - oder Dämonen. Der Hexenhammer gebar zweifellos ein Heer von Dämonen.«

Er machte eine kurze Pause und für einen Moment war nur das Knistern und Knacken der brennenden Äste und das leise Raspeln von Henriks Federmesser zu hören. Dann fuhr er fort: »Ihren Kritikern machten die beiden Autoren in ihrem umfangreichen Traktat kühn und schnell den Prozess, indem sie nämlich glattweg behaupteten, dass jeder, der die Existenz von Satansbräuten und Hexerei in Abrede stelle, ein Ketzer und vermutlich selbst Satan untertänig sei!«

»Das ist perfide!«, sagte Jakob voller Abscheu. »Genau wie diese Wasserprobe für Hexen! Wenn man sie gefesselt in einen Fluss wirft und sie dabei ertrinken, dann hat sie der Dämon verlassen, was aber nichts an ihrem Tod ändert. Wenn sie aber über Wasser bleiben, dann ist das angeblich ein deutliches Zeichen, dass sie Hexen sind -und dann kommen sie unter die Folter und danach auf den Scheiterhaufen. In jedem Fall ist ihnen der Tod gewiss! Das ist Irrsinn, verbrecherische Willkür!«

Henrik nickte und murmelte bitter: »Sie haben Lippen und sind stumm geboren, haben Augen und sehen kein Leid. Sie haben Hände und können nicht segnen.«

Bruder Basilius stimmte ihm zu. »Ein Irrsinn im blutigen Gewand der Gottesstreiter! Denn natürlich bringt die Folter nur Lügen und falsche Geständnisse hervor. Wer vermag schon Tage oder gar Wochen der verschärften Tortur zu überstehen, ohne schließlich alles zu gestehen, was die Inquisitoren hören wollen und was sie den Gefolterten schon mit ihren Fragen in den Mund legen? Selbstverständlich gestehen diese armen Geschöpfe jeden Unsinn, nur damit die Qualen endlich ein Ende haben! Nach dieser perversen Methode angeblicher Wahrheitsfindung würden auch so gut wie alle Inquisitoren, wenn man sie auf die Folter spannte, auf dem Scheiterhaufen landen - ja, auch alle Ordensleute, Bischöfe, Kardinäle und sogar der Papst!«

Jakob kämpfte mit seinen Erinnerungen und schluckte schwer. »Was ist mit diesem Friedrich Spee und Bruder Anselm? Wolltet Ihr mir nicht von ihnen erzählen?« Eine gewisse Ungeduld lag in seiner Stimme.

Henrik blickte auf und sein Blick war so spöttisch wie seine Wor-te: »Das Korn wächst nicht schneller, wenn man auf die Halme schießt!«

Bruder Basilius hob begütigend die Hand. »Ich verstehe Eure Ungeduld Jakob. Aber das eine gehört zum andern, wie der Tag zur Nacht und der Schmerz zur Freude.« Er stieß mit seinem Stock einen dicken Ast in die Mitte des Feuers, dessen Flammenzungen gierig nach der neuen Nahrung griffen. »Friedrich Spee war ein großartiger Poet und Prediger - aber ein noch größerer Kämpfer gegen die Verblendung und den Hexenwahn. Als er um 1630 in Paderborn Vorlesungen hielt, da fanden im benachbarten Geseke über fünfhundert vermeintliche Hexen den Tod auf dem Scheiterhaufen. Und nur wenige Jahre vorher hatte sich in Bamberg der Fürstbischof wie ein Massenmörder aufgeführt und über 900 Hexen verbrennen lassen. Auch Trier, wo Friedrich Spee bei den Jesuiten sein Noviziat angetreten hatte, war eine Hochburg des Hexenwahns und die umliegenden Dörfer machten davon keine Ausnahme. All das bekam der Jesuit hautnah mit, wohin er auch ging, und er kämpfte mit heiligem Zorn gegen diesen Irrsinn an. Denn er kannte die Nacht der Hölle, durch die die Gefolterten gehen mussten. Er stieg nämlich in die schrecklichen Kerker hinab, redete mit den Gequälten und begleitete sie zur Richtstätte. Deshalb, so sagte man, sei er schon in so jungen Jahren schlohweiß geworden. Im Gegensatz zu vielen anderen Priestern und Schreibstubengelehrten, die mit Feder und Papier ebenso zu Massenmördern geworden sind wie die Inquisitoren, im Gegensatz zu diesen verblendeten Männern glaubte er an die Unschuld der Unglücklichen und verurteilte die Folter auf das Schärfste - genau wie Bruder Anselm, mit dem er in Kontakt blieb und der im Umland seines Klosters, dem er mittlerweile als Abt vorstand, gegen den Hexenwahn zu Felde zog und an Vernunft und Barmherzigkeit appellierte. Und dann verfasste Friedrich Spee die Cautio Criminalis. Sie erschien im Jahre 1631, also mitten im Krieg, beim protestantischen Buchdrucker Peter Lucius in Rinteln - anonym. Auetore incer-to theologo Romano steht auf dem Titelblatt, was übersetzt >von einem unbekannten römischen Theologen< heißt. Aber der Verdacht fiel schnell auf Friedrich Spee.«

»Und was ist das für ein Traktat gewesen?« Bruder Basilius schlug mit der geballten Faust in die Handfläche. »Eine vernichtende Kritik! Eine brillante und mutige Kampfschrift gegen die Hexenverfolgung, in der er mit den Theoretikern des Hexenglaubens wie mit den Inquisitoren gnadenlos ins Gericht ging. Er zeigte in seiner geschliffenen Cautio Criminalis auf, dass die Verfahren nicht nur rechtswidrig und unmenschlich, sondern schon vom gedanklichen Ansatz her unsinnig und zudem ausgesprochen unchristlich, ja heidnisch sind!«, berichtete der Mönch mit flammender Erregung. »Während den Fanatikern des Hexenglaubens keine Folter grausam genug sein kann, fordert Friedrich Spee von diesen selbstherrlichen, vermeintlichen Streitern zur Ehre Gottes die >göttlichen Tugenden< ein, die da Glaube, Hoffnung und Liebe heißen - und nicht Argwohn, Folter und Vernichtung. Sein Gott und der Gott unseres Christentums, das macht er immer wieder deutlich, ist der Christus des Neuen Testamentes, der uns die frohe Heilsbotschaft von Gottes Liebe und Barmherzigkeit gebracht hat. Und er hält diesen verblendeten Massenmördern im Priestergewand vor Augen, dass ihr Gott, der mit Feuer und Schwert straft, den alttestamentarischen Götzen der Heiden entspricht, die mit Menschenopfern versöhnt werden wollen. Denn genau dem kommt ihr blutiges Handwerk gleich! Oh, er zerpflückt ihre wirren, abergläubischen und menschenverachtenden Theorien über die Teufelsdienerinnen, wie ein frischer Windstoß kalte Asche hinwegfegt! Er nennt den unmenschlichen, bestialischen Wahnsinn beim Namen. Vehement verurteilt er die Folter, bezeichnet so erzielte Geständnisse als völlig wertlos und als unter Qualen abgepresste Lügen, fordert Einhaltung der Gesetze, volle Einsicht in die angeblichen Beweise der Anklage, einen Verteidiger und die Vermutung der Unschuld, wenn die Beweise nicht wirklich hiebund stichfest sind. Und immer wieder weist er mit Nachdruck darauf hin, dass gerade der Christ verpflichtet ist Nachsicht, Mitgefühl und Liebe walten zu lassen - und vor allem nicht mit Menschenblut Kurzweil zu treiben!«