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»Eine Enttäuschung, so bitter sie auch sein mag, ist noch lange nicht das Ende der Hoffnung«, erwiderte Bruder Basilius. »Die Dokumente sind viel zu wichtig, als dass wir die Suche nach ihnen so leicht aufgeben würden. Wir werden sie schon finden. Ich vertraue darauf, dass wir in Koblenz auf einige hilfreiche Hinweise stoßen werden. So, und nun wird es Zeit, dass wir uns schlafen legen. Die Nacht ist schnell vorbei und wir haben morgen einen anstrengenden Marsch vor uns.«

Henrik nickte und legte seine Schnitzarbeit weg. »Die Zeit ist reif, die Stunde da«, pflichtete er ihm bei, warf noch mehrere Äste ins Feuer und rollte sich dann in seine Decke ein.

Jakob spürte seine Müdigkeit auf einmal mit ganzer Macht. Nachdem er nun alles erfahren hatte, zog sie ihn wie mit Bleigewichten nieder. So wickelte er sich denn auch in seine Decke und streckte sich am warmen Rand der Feuerstelle auf dem Boden aus. Ihm fielen sofort die Augen zu. Er schlief schon fest, noch bevor Bruder Basilius sein Nachtgebet beendet hatte.

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Die Pechfackeln senkten sich und augenblicklich loderten die Flammen auf. Das Feuer bildete im Handumdrehen einen Kreis um den Pfahl in seiner Mitte und fraß sich gierig von außen nach innen. Die Schreie, die aus dem Innern des Scheiterhaufens drangen und das laute Prasseln der Flammen anfangs noch weithin übertönten, gellten in seinen Ohren und zerrissen ihm das Herz. Er wollte sich losreißen und sich in dieses Feuer stürzen, doch eine kräftige Hand hielt ihn, den schmächtigen Jungen, zurück.

»Es ist nur ein böser Traum!... Hörst du, Jakob?... Es ist nur ein Alptraum«, hörte er dann eine beruhigende Stimme.

Jakob erwachte. Und in dem kurzen Moment, als der Schlaf ihn freigab und er an der Schwelle zum Erwachen stand, wurde er sich bewusst, dass er sich am Boden krümmte und dabei wimmerte.

»Du bist in Sicherheit, Jakob«, sagte da die Stimme wieder und rüttelte ihn sanft an seiner Schulter. »Niemand kann dir etwas zu Leide tun.«

Jakob öffnete die Augen, richtete sich jäh auf und fuhr mit gehetztem Atem herum. Völlige Dunkelheit umgab ihn. Das Feuer war erloschen und der Nachthimmel hatte einen Vorhang aus Wolken vor die leuchtenden Sterne gezogen.

»Ich bin es nur«, sagte Bruder Basilius. »Ihr hattet einen bösen Traum und habt geweint. Ich hielt es für besser Euch von diesem Alptraum zu befreien.«

Jakob tastete über sein Gesicht und fand es tränenfeucht.

»Wollt Ihr mir nicht sagen, was Euch bedrückt?«, fragte der Mönch und legte ihm seine Hand auf die Schulter.

»Ein Alptraum, nichts weiter«, murmelte Jakob. Von der anderen Seite der Feuerstelle kam das laute Schnarchen des Schweden.

»Ich fürchte, es ist mehr als nur ein Alptraum. Ihr tragt großen Kummer in Euch, den Ihr fest in Euch verschließt. Aber das ist nicht gut. Sprecht darüber. Es wird Euch befreien.«

Jakob schüttelte den Kopf. »Da ist nichts, was zu befreien wäre!«, wehrte er schroff ab. »Es ist Eure Geschichte, die mich im Schlaf verfolgt und mir so zugesetzt hat. Was ja wohl auch kein Wunder ist, oder?«

»Nein, das ist es nicht«, räumte Bruder Basilius ein. »Aber das allein wird es wohl nicht gewesen sein. Ich spüre nicht erst heute, dass etwas schwer auf Euch lastet. Ich will Euch nicht zu etwas drängen, was Ihr nicht wollt. Aber vergesst nicht, dass Ihr zu jeder Zeit mit mir reden könnt, wenn Euch danach zu Mute ist.«

»Wir reden doch gerade«, sagte Jakob spöttisch.

»Aber nicht über das Wesentliche.«

»Gut, dann lasst uns über das Wesentliche reden, Bruder Basilius!«, stieß Jakob grimmig hervor. »Und zwar darüber, warum Euer Gott, der doch angeblich der Gott der Liebe und der Barmherzigkeit ist, all diese Verbrechen und das Elend zulässt, von dem Ihr vorhin erzählt habt!«

»Ihr meint also, Gott hätte schon längst gegen den Hexenwahn einschreiten müssen, ja?«, fragte der Mönch ruhig.

»Natürlich! Und nicht nur gegen die Hexenjäger, sondern auch gegen die Ausbeutung und Unterdrückung durch die Fürsten und gegen so vieles andere!«

»Ich fürchte, Ihr habt ein falsches Bild von Gott, Jakob. Der Allmächtige ist kein Puppenspieler und wir sind keine Marionetten, die an unsichtbaren göttlichen Fäden hängen. Wir sind nicht der Willkür eines Herrschers ausgesetzt, der die Welt erschaffen hat, damit er in diesem Welttheater ganz nach Lust und Laune und zu seiner Erbauung mal an diesem Menschenfaden und mal an jenem zieht«, antwortete Bruder Basilius.

»Was sind wir dann?«

»Die Hüter der Schöpfung und frei in all unseren Entscheidungen. Gerade weil Gott uns liebt wie Eltern ihre Kinder, hat er uns nicht zu Sklaven gemacht, sondern uns die Freiheit geschenkt. Diese Freiheit beinhaltet nun aber auch, dass wir uns ebenso für das Gute wie für das Böse entscheiden können. Es ist nicht Gott, der Elend, Unterdrückung und Hexenwahn über die Menschen bringt, Jakob. Es sind die Menschen selbst, die sich gegen das Gute, gegen Liebe und Barmherzigkeit entscheiden und aus Verblendung, Raffgier und Herrschsucht ihren Mitmenschen so viel Leid antun.«

»Und Gott schaut tatenlos zu!«

Der Mönch lachte neben ihm leise auf. »Seid mir nicht böse, Jakob, aber solch eine Reaktion ist typisch für uns selbstsüchtige Menschen.«

»Das ist nicht gerecht!«, protestierte Jakob. »Ich habe nur davon gesprochen.«

»Lasst mich ausreden, Jakob!«, fiel Bruder Basilius ihm ins Wort. »Einerseits wollen wir, dass niemand uns vorschreibt, was wir zu tun und zu lassen haben und für welches Leben wir uns entscheiden. Wir wollen unseren Willen in allen Dingen durchsetzen und die Welt so gestalten, wie wir sie für richtig halten. Wir wollen Meister unseres eigenen Lebens sein und streben in allem nach Allmacht. Und dieses großartige Geschenk der völligen Entscheidungsfreiheit hat Gott uns gemacht. Nur ignorieren wir gerne, dass die erste Pflicht der Freiheit ist, dass sie sich Grenzen setzt, damit sie die Freiheit des Nächsten nicht stranguliert. Denn Freiheit ohne Verantwortung ist und bleibt Willkür.«

»Aber Fürsten und Prälaten werden offenbar mit entschieden mehr Freiheit geboren als ein Fuhrknecht oder eine Bauernmagd!«, warf Jakob bitter ein.

»Geboren werden wir alle gleich, Jakob. Doch Gottes Gebote, die uns dazu verpflichten, auch für unsere Mitmenschen ein Leben in Frieden und Freiheit zu gewährleisten, sind uns beim Erreichen unserer eigennützigen Ziele meist im Weg und deshalb ignorieren wir sie und machen unsere eigenen Regeln. Aber sowie wir mit unserer Freiheit und unserem Willen in Konflikt mit anderen geraten, die etwas ganz anderes wollen und uns auch noch überlegen sind, etwa weil sie mit brutaler Waffengewalt vorgehen, erwarten wir plötzlich göttlichen Beistand. Da besinnen wir uns plötzlich darauf, dass es einen Schöpfer und Allmächtigen gibt, und dann billigen wir ihm auch ganz schnell wieder die alleinige Allmacht zu - die er dann gefälligst rasch zu unseren Gunsten einsetzen soll! Ja, wir machen Gott für alles verantwortlich, was wir Menschen zu unserer eigenen Schande dieser Welt und unseren Mitmenschen antun oder was uns an Unglück zustößt. Aber Gott ist nun mal keine göttliche Mischung aus Amme und Amtmann, der überall da in unser Leben eingreift, wo es nicht so läuft, wie wir es uns wünschen.«

»Aber er lässt zu, dass seit Jahrhunderten all diese Verbrechen in seinem Namen begangen werden«, beharrte Jakob.

»Wenn ich jemandem mit einem Kruzifix den Schädel einschlage und dabei auch noch rufe >Im Namen Gottes, stirb!<, wer ist dann schuld - das Kruzifix und Gott oder derjenige, der Kreuz und Gottes Name für seine abscheuliche Mordtat missbraucht hat?«, hielt der Mönch ihm vor.

»Schon gut, ich verstehe«, brummte Jakob.