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Henrik nickte mit finsterer Miene. »Warum sind in Aufruhr die Völker, wohin führt der Wahnwitz die Nationen?«, murmelte er kopfschüttelnd. »Oh Herr, schenk gnädig aller Dunkelheit den Aufgang deines Angesichts!«

Der Mönch hob leicht die Augenbrauen und sah Jakob prüfend an. »Mit >noch einmal< meint Ihr den Tod Eurer Mutter, nicht wahr?«, fragte er leise.

Henrik hob bestürzt den Kopf, während Jakob zusammenzuckte und leichenblass wurde. In seinen weit aufgerissenen Augen standen Schmerz und Erschrecken. »Woher.?« Er sprach nicht weiter.

Bruder Basilius nickte traurig. »Habe ich also richtig vermutet: Eure Mutter verlor ihr Leben als angebliche Hexe auf dem Scheiterhaufen«, sagte er voller Mitgefühl.

Jakob schluckte heftig. »Woher wisst Ihr das?«, fragte er mit zitternder Stimme.

»Ich habe es nicht gewusst, aber aus allem, was Ihr seit unserem ersten Zusammentreffen in Himmerod erzählt und angedeutet habt, hatte sich bei mir eine vage Vermutung gebildet«, antwortete der Mönch. »Als ich Euch in der Nacht nach der Flucht aus Trier von Bruder Anselm und den beiden Hexenbischöfen berichtete, da fiel es mir nicht schwer mir anhand Eurer Reaktionen ein Bild von dem zu machen, was Euch wohl schon in früher Kindheit widerfahren ist.« Er machte eine kurze Pause. »Natürlich liegt es ganz bei Euch, ob Ihr darüber reden oder weiterhin schweigen wollt.«

Jakob senkte den Kopf, denn er spürte Tränen in den Augen.

»Jetzt ist es egal. und es ist nicht viel, was es. zu erzählen gibt«, begann er mit stockender Stimme und die Erinnerungen rissen ihn mit sich wie eine mächtige Flut, ohne dass er sich dagegen wehrte. »Ich wuchs mit meiner Mutter in einem kleinen Dorf im Bergischen Land auf. Mein Vater war ein durchziehender Landsknecht aus Bayern, der meine Mutter, eine einfache Magd, sitzen ließ, als sie schwanger wurde. Der Bauer, bei dem sie in Diensten stand, hatte ihr schon immer hinter dem Rücken seiner Frau nachgestellt. Und nun glaubte er, mit meiner Mutter leichtes Spiel zu haben. Doch sie weigerte sich standhaft sich ihm hinzugeben und ihm zu Willen zu sein. Daraufhin jagte er sie vom Hof. Sie kam bei einer alten Hebamme unter, die in einer kleinen Hütte hauste und schon bei vielen schweren Geburten ihr Können bewiesen hatte. Doch sie war mittlerweile halb erblindet und begann meine Mutter in die Kunst ihres Gewerbes und in die Wirkung heilender Kräuter und Säfte einzuweihen. Und je schlechter ihr Augenlicht wurde, desto mehr Verantwortung übertrug sie meiner Mutter. Sie war eine sanfte, großherzige Seele und ich nannte sie Tante Hildegard, obwohl wir nicht miteinander verwandt waren. So vergingen die ersten sieben Jahre meines Leben. Dann kam der schlimme Sommer vor nunmehr fast elf Jahren.«

Jakob verstummte kurz und blickte auf seine Hände im Schoß, die nicht aufhören wollten zu zittern.

»Innerhalb weniger Wochen folgte eine Katastrophe nach der anderen«, fuhr er dann fort. »Erst vernichteten schwere Hagelschauer das reife Korn auf dem Halm, dann brach die Schweinepest aus und schließlich rissen nächtens Wölfe ungewöhnlich viele Schafe auf den Sommerweiden. Zur selben Zeit konnten Tante Hildegard und meine Mutter gleich zweimal hintereinander nicht vermeiden, dass die Frauen, die sie gerufen hatten, ihr Kind bei der Niederkunft verloren. Vermutlich wäre nichts geschehen, wenn in jenen Wochen nicht einer jener berüchtigten Hexenkommissare durchs Land gezogen wäre, deren blutiges Treiben von den Obrigkeiten in unserem Bezirk kräftig unterstützt wurde. So begann bei uns die Hexenjagd, deren Opfer Tante Hildegard und meine Mutter wurden. Der Bauer, der meine Mutter einst von seinem Hof gejagt hatte, denunzierte sie. Wäre ich einige Jahre älter gewesen, wäre ich vielleicht ebenfalls verbrannt worden. So jedoch begnügte sich der Hexenkommissar damit, mich zu zwingen an. an der Verbrennung. meiner Mutter teilzunehmen. bis zum schrecklichen Ende. Ich habe meine Mutter kaum wieder erkannt, als man sie zum Pfahl schleppte. so schrecklich hatte man sie gefoltert. Und als man sie dann. auf den Scheiterhaufen führte und die Flammen aufloderten, da.«

Er vermochte die Tränen nun nicht länger zurückzuhalten und ihm versagte endgültig die Stimme. Mit einem verzweifelten Schluchzen schlug er die Hände vors Gesicht, krümmte sich zusammen, als wollte er sich einrollen, und wurde von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt. Er hörte nicht, was Henrik und Bruder Basilius zu ihm sagten, doch er spürte ihre Hände und dass sie seinen Schmerz teilten und nachempfanden, was er erlitten hatte und bis an sein Lebensende nicht vergessen würde.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Weinkrampf gelegt und er sich wieder genug unter Kontrolle hatte, um ihnen auch noch den Rest seiner Lebensgeschichte erzählen zu können.

»Es war der Alchimist Quirin Schlehenbusch, der mich nach dem Tod meiner Mutter auf seinen Gutshof holte und sich meiner annahm. Er war ein kauziger Mann, verwitwet und kinderlos, der zwei gut florierende Pulvermühlen besaß und in den langen Kriegsjahren ein ansehnliches Vermögen verdient hatte, da er skrupellos mit allen Parteien Geschäfte gemacht hatte. Er behandelte mich mal wie einen Knecht, mal wie einen bevorzugten Lehrling. Auf der einen Seite lehrte er mich schreiben und lesen, gab mir Bücher zur Lektüre und erlaubte mir stundenlang bei ihm zu sein, wenn er in seinem Studierzimmer saß oder in seiner Experimentierküche wie besessen an der wundersamen Formel zur Herstellung von Gold arbeitete, an die er unerschütterlich glaubte. Andererseits gab es aber auch immer wieder Tage oder gar Wochen, in denen er mich wie Luft behandelte.« Jakob schüttelte in Erinnerung an diese Zeit verwundert den Kopf. »Ich habe nie herausgefunden, was Quirin bewegt hatte mich nach Gut Schlehenbusch zu holen und mich unter seinen Schutz zu stellen, als von den Dörflern niemand mir auch nur ein Stück Brot geben, geschweige denn sich meiner annehmen wollte. Denn nach eigenem Bekunden hielt er nichts von Rücksichtnahme auf andere oder gar von Religion, obwohl ihn so etwas wie eine streitbare Freundschaft mit Kaplan Bierbach verband. Er glaubte nur an das, was man mit Händen fassen, mit Experimenten beweisen - und mit Geld kaufen konnte.«

Henrik lächelte mitleidig. »Doch die mit Gold getünchten Zwerge, die Götter von Schmelzern und Gießern! Nach ihnen bilden sich die Tröpfe, ein jeder, der auf sie vertraut!«, spottete er.

Jakob nickte. »Ja, er war auf seine Art wohl ein Schmelzer und Gießer. Wenn er an etwas geglaubt hat, dann an die Macht des Goldes. Für alles andere hatte er nur Geringschätzung übrig, die er auch nicht verbarg. Deshalb war er bei den Leuten in unserer Gegend so unbeliebt. Ich glaube, sie hätten ihn damals am liebsten mit auf den Scheiterhaufen geschickt. Aber dafür war er doch wohl zu einflussreich.« Jakob stutzte. »Vielleicht war es diese Verachtung für die Leute, die ihn dazu bewogen hat, ausgerechnet den von allen ausgestoßenen Bastard einer verbrannten Hexe bei sich aufzunehmen. Aber auch das ist nur eine Vermutung. Sicher werde ich es nie wissen.«

»Und was ist aus Eurem kauzigen Gönner geworden?«, fragte Bruder Basilius.

»Eine Horde ehemaliger Landsknechte ist eines Abends im September über Gut Schlehenbusch hergefallen«, fuhr Jakob mit seinem Bericht fort. »Ich weiß nicht, was zwischen Quirin und dem Anführer der gut drei Dutzend Marodeure vorgefallen ist. Er hatte zu dieser Stunde sicherlich schon mehrere Gläser Wein getrunken, denn Kaplan Bierbach hatte ihm beim Abendessen Gesellschaft geleistet. Gut möglich, dass Quirin diese gewissenlosen Söldner auf seine arrogante Art erst richtig gereizt hat. Auf jeden Fall haben sie auf Gut Schlehenbusch ein entsetzliches Blutbad angerichtet und weder den jungen Laufburschen Thomas noch die alte Magd Agnes verschont.« Die Erinnerung ließ ihn schaudern und die Sätze kamen ihm nun wieder stockend über die Lippen. »Sie haben alle ohne Ausnahme hingeschlachtet. Die Mägde haben sie vorher geschändet. Kaplan Bierbach haben sie an die Scheunenwand genagelt. Und Quirin haben sie.« Er führte den Satz nicht zu Ende, sondern schüttelte nur den Kopf, als weigerte er sich die entsetzlichen Bilder auch noch in Worte zu fassen. »Zum Schluss haben sie ihn im Brunnen ertränkt. Dass ich dieser Schlächterei entkommen bin, verdanke ich wohl meinem harten Schädel. Der Söldner, der kaum älter als ich gewesen ist, glaubte wohl mir den Schädel gespalten zu haben. Doch das viele Blut, das mir über das Gesicht strömte, als ich bewusstlos zu Boden stürzte, kam nur aus einer klaffenden Platzwunde. Er hielt mich für tot und gesellte sich wieder zu seinen Komplizen, die sich mit dem Töten ihrer Opfer mehr Zeit ließen, ich hatte das Glück, dass niemand sich überzeugte, ob ich auch wirklich tot war. Als ich zu mir kam, hatte die Bande Schlehenbusch schon verlassen - und niemand außer mir war noch am Leben.«