Den trockenen Sack klemmte Jakob rechts unter das Vordach, damit es sogleich Feuer fing, während er den halb nassen auf der anderen Seite zwischen zwei Querstreben schob. Kaum hatte er das getan, als auch schon das Glockengeläut der Kirche klar und deutlich zu ihm an den Dorfrand drang. Der Gottesdienst war beendet! Nun wurde es ernst. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie die Menschen aus der Kirche strömten und sich beeilten, um auf dem Marktplatz einen möglichst guten Platz zu ergattern.
Jakob wartete und blickte angestrengt über den großen Dorfteich zu der Stelle bei der Hufschmiede hinüber, wo Bruder Basilius jeden Moment auftauchen musste, um ihm das Zeichen zu geben, dass man Marga vom Bürgermeisterhaus zum Scheiterhaufen führte.
Mit wild hämmerndem Herzen und der brennenden Fackel in der Hand stand Jakob am Teich und nahm den Blick nicht von der Straße.
Wo blieb der Mönch bloß?
War es Henrik überhaupt gelungen in das schmalbrüstige Haus mit der Luke und dem Flaschenzug unter dem Giebel einzudringen? Und war er mit der Armbrust wirklich so treffsicher, um auf fünfzig Schritt Entfernung einen Pfeil in ein derart kleines Ziel zu lenken? Was war, wenn es nicht zu der erhofften Panik kam?
Ihm brach der Schweiß aus, was nicht allein an dem drückenden Wetter lag. Die tief hängenden Wolken waren bedrohlich näher gerückt und konnten jeden Augenblick ihre schwere Regenlast zur Erde schicken.
In den wenigen, scheinbar unendlich langen Sekunden des Wartens schossen Jakob die erschreckendsten Gedanken durch den Kopf. Er zweifelte plötzlich an den Erfolgsaussichten ihres Planes. Es brauchte nur eine Kleinigkeit schief zu gehen, und dann würde Mar-ga.
Jakob führte den furchtbaren Gedanken nicht zu Ende, denn in diesem Augenblick tauchte Bruder Basilius auf und schwenkte einen Stofffetzen, der an den Zinken einer Heugabel hing.
Das Zeichen!
Jetzt begann der Wettlauf gegen die Zeit!
Jakob fuhr herum, sprang die Treppe hoch und setzte erst den trockenen und dann den halb nassen Strohsack in Brand. Die Flammen, die aus dem Stroh loderten, leckten heiß nach dem trockenen Holz des Daches, das augenblicklich Feuer fing. Auf der anderen Seite begann Rauch aus den Flammen aufzusteigen.
Noch nie war Jakob so schnell gerannt wie an diesem Morgen und noch nie mit einer brennenden Fackel in der Hand. Er überquerte die Straße, lief hinter mehreren Häusern vorbei, sprang über einen Abflussgraben und hatte dann endlich den Schuppen erreicht. Hastig zerrte er die beiden Strohsäcke aus dem nahen Gebüsch, lehnte sie gegen die Rückwand und setzte sie in Brand. Diesmal wartete er nicht, wie sich das Feuer entwickelte. Dieser Schuppen würde wie Zunder brennen, daran gab es nicht den geringsten Zweifel.
Und jetzt wie der Blitz zurück zu Bruder Basilius und dann zum Marktplatz!, feuerte er sich im Geiste selber an und holte alles aus sich heraus. Als er an der Hufschmiede vorbeikam, wurde ihm bewusst, dass er noch immer die Fackel in der Hand hielt. Ohne langes Zögern und aus dem Laufen heraus schleuderte er die Pechfackel auf das Dach der Hufschmiede und rief mit grimmiger Genugtuung: »Hier hast du dein Feuer, Alois Wenzel!«
Er schoss durch die Gasse, die auf die Rückseite des Mietstalls führte. Dort wartete Bruder Basilius schon auf ihn. Er saß im Sattel seines Braunen und hielt den Rotfuchs und den Schimmel am Zügel.
»Mühle, Schuppen und Hufschmiede brennen!«, rief Jakob ihm atemlos zu, während er sich auf sein Pferd schwang.
Der Mönch gab einen Stoßseufzer von sich. »Nun ja, besser Gebäude als Menschen.«
Jakob trieb den Schimmel an, bog um die nächste Hausecke und galoppierte die Gasse hoch, die auf den Marktplatz mündete. Er sah über die Köpfe der Menschenmenge hinweg und erblickte Marga, die schon gefesselt am Pfahl stand. Sie schrie in Todesangst und warf den Kopf hin und her, als hoffte sie sich noch von den Fesseln befreien zu können. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Scheiterhaufens und mit dem Rücken zur Kirche, stand ein schwergewichtiger Mann in bestem Sonntagsstaat, bei dem es sich nur um den Bürgermeister Vinzenz Groll handeln konnte. Er hielt eine brennende Fackel. Neben ihm stand der Dorfgeistliche, bewehrt mit einem Kreuz in der einen Hand und einem Weihwasserschwenker in der anderen.
Der Pfarrer hob das Kreuz und richtete es auf Marga, deren gellende Schreie die Menge mit höhnischen Zurufen und Verwünschungen beantwortete. Dann senkte sich die Pechfackel in der Hand des Bürgermeisters.
Was nun geschah, war ein wilder Wirbel mehrerer Ereignisse, die fast zur selben Zeit passierten und nur wenige Sekunden in Anspruch nahmen, obwohl es Jakob viel länger erscheinen sollte.
»Feuer!«, schrie er der Menge zu. »Die Mühle brennt!«
Sein Schrei ging in einer ohrenbetäubenden Explosion unter.
Denn im selben Augenblick hatte Henrik seinen ersten Brandpfeil aus der Giebelluke abgeschossen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel raste der Pfeil am Pfahl vorbei und bohrte sich in den vermeintlichen Strohball, den Henrik in der Nacht auf der Innenseite des Scheiterhaufens zwischen das Reisig gesteckt hatte.
Eine gewaltige Stichflamme schoss fast genau an der Stelle aus dem Scheiterhaufen hoch, wo der Bürgermeister seine Pechfackel in das Holz gestoßen hatte. Es sah so aus, als wollte die gewaltige Flamme nach ihm und dem Geistlichen greifen. Beide Männer ließen alles fallen, was sie in ihren Händen gehalten hatten, und sprangen zu Tode erschrocken zurück. Gleichzeitig ging ein entsetzter Aufschrei durch die abergläubische Menge.
»Die Mühle brennt lichterloh und die Hufschmiede!«, schrie Jakob mit aller Lungenkraft. »Es brennt überall im Dorf!. Feuer!«
Sein Schrei wurde nun von anderen Stimmen aufgenommen, als die ersten Mendelsheimer den Rauch bemerkten, der an drei Stellen über dem Dorf aufstieg. Innerhalb weniger Augenblicke schrie alles wild durcheinander.
»Es brennt!«
»Die Mühle steht in Flammen!«
»Allmächtiger, meine Schmiede!«
»Das Dorf brennt!«
Die Gunst des Schicksals war mit Jakob und seinen Gefährten, denn gerade in diesem Moment meldeten sich die Gewitterwolken mit Blitz und berstendem Donner und trugen ihren Teil zum Erschrecken der Menge bei.
Vergessen war die vermeintliche Hexe, deren Schreie in dem allgemeinen Tumult untergingen, während die Flammen sich auf dem Scheiterhaufen auszubreiten begannen. Jetzt brach eine regelrechte Panik unter den Dorfbewohnern aus, die ihre Existenz bedroht sahen und zugleich eine Strafe Gottes fürchteten. Die Menge stürzte unter wildem Geschrei vom Marktplatz, um die Brände zu bekämpfen.
Niemand sah in dem Durcheinander, wie Henrik sich aus der Giebelluke schwang, die Armbrust über die Schulter gehängt, und sich geschwind am Seil des Flaschenzuges herabließ. Er rannte über den Marktplatz, der bis auf ein paar Alte und Lahme, die mit der davonstürzenden Menge nicht Schritt halten konnten, so gut wie ausgestorben unter dem dunklen Himmel lag. Mit gezücktem Messer sprang er über die Rückseite des Scheiterhaufens, die noch nicht in Flammen stand. Es schien, als stürzte er sich in ein Flammenmeer, das ihn nicht mehr freigeben würde.
Zur selben Zeit preschte Jakob auf die Richtstätte zu, gefolgt von Bruder Basilius, der Henriks Pferd hinter sich herführte. Einige alte Männer wurden auf sie aufmerksam, blieben stehen und versuchten ihre Landsleute zu alarmieren, doch niemand achtete auf sie.
Henrik durchtrennte die Fesseln, riss Marga, die vom Rauch halb bewusstlos war, vom Pfahl zurück, hob sie wie eine Feder hoch und trug sie aus dem sich schnell schließenden Feuerring.
Augenblicklich war Jakob neben ihm. »Marga, wirst du dich an mir festhalten können?«, rief er ihr aus dem Sattel zu.
Marga hustete und starrte fassungslos zu ihm hoch. »Jakob?« Ein verstörtes Lächeln irrte über ihr Gesicht. Sie begriff noch nicht recht, was geschehen war.