»Könnt Ihr Euch denn bei derart. heiligen Bildern solche Freiheiten erlauben?«, wunderte sich Marga. »Ich meine das Gesicht einer Magd für das Gemälde der Gottesmutter zu verwenden, ist das nicht gewagt?«
»Sagt mir, wie unsere gebenedeite Jungfrau Maria ausgesehen hat«, forderte der kleinwüchsige Mann sie auf, der aber so voller Leben und Energie war. »Und dann werde ich mich künftig allein an diese Gesichtszüge halten.«
»Ich weiß leider nicht, wie Maria ausgesehen hat«, antwortete Marga.
Der Maler warf ihr einen vergnügten Blick zu. »Niemand weiß das. Wie auch niemand weiß, wie Jesus und seine Apostel ausgesehen haben. Und deshalb verwendet jeder Künstler seit anderthalb Jahrtausenden die Gesichter, die er für seine Gemälde für richtig empfindet. Gesichter, die ihm aus seinem Leben bekannt sind, oder Gesichter, die er neu erschafft. Somit findet sich auf keinem Gemälde das wahre Gesicht Jesu oder der Gottesmutter, was der Aussage aber nicht den geringsten Abbruch tut. Und somit ist auch jedes Gesicht, ob es nun kunstvoll oder primitiv gestaltet ist, gleich richtig wie auch gleich falsch. Denn es steht immer nur stellvertretend für die wahre Menschlichkeit Mariens oder Jesu«, erklärte er und rief nach Lorenz Biesenfeld.
Jakob warf Bruder Basilius einen fragenden Blick zu, als sie den rustikalen Raum betraten, wo die Magd des Malers auf einem großen, schmucklosen Tisch ein deftiges Essen aufgetragen hatte.
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn in alles eingeweiht. Aber Bruder Anselm ist nicht hier gewesen, zumindest hat er ihn nicht aufgesucht und er hat ihm auch nicht geschrieben«, teilte er mit und aus seiner Stimme sprach dieselbe Enttäuschung, die sich nun auf Jakobs Gesicht zeigte. »Vielleicht wollte er ihn nicht in Gefahr bringen.«
»Und was geschieht jetzt?«, wollte Marga wissen, die den leisen Wortwechsel mitbekommen hatte.
»Es gibt in Koblenz noch einige aufrechte Bürger, denen Bruder Anselm einen Hinweis anvertraut haben könnte, gerade weil seine Freundschaft mit ihnen nicht so bekannt war wie die zu Meister Bartholy«, antwortete der Mönch. »Ich werde mich gleich nach dem Essen auf den Weg machen und diese Leute aufsuchen. Wir sollten unsere Hoffnungen jedoch nicht zu hoch ansetzen.«
Lorenz Biesenfeld erschien und damit fand ihr Gespräch über dieses Thema für die Dauer des Essens ein Ende. Jakob war so enttäuscht, dass er nur wenig Appetit hatte, obwohl das Essen sehr schmackhaft war. Er nippte auch bloß am Wein - ganz im Gegensatz zu Lorenz Biesenfeld, der dem Roten kräftig zusprach und immer wieder nach der Kanne griff.
Meister Bartholy gebot ihm nach dem dritten Glas schließlich mit energischer Stimme Einhalt. Als er seinen Gesellen eine Weile später wieder an die Arbeit geschickt hatte, seufzte er und sagte: »Biesenfeld ist ein ausgezeichneter Kopist, das muss man ihm lassen. Gebt ihm ein Gemälde, egal, wie komplex komponiert in Farben und Szenen, und er kopiert Euch jeden Strich, sodass Ihr das Original nicht von der Kopie unterscheiden könnt. Vermutlich hätte er sich schon längst einen eigenen Namen geschaffen, wenn er nicht drei große Schwächen hätte.«
»Als da wären?«, fragte Jakob.
»Er ist absolut unfähig etwas Eigenes zu schaffen, weil ihm jegliche schöpferische Phantasie und Kreativität abgeht. Dazu gesellt sich dann leider ein verhängnisvoller Hang zum Alkohol und zum Würfelspiel«, klagte der Maler.
»Jeder Heller fließt bei ihm durch die Kehle oder gleitet ihm beim Glücksspiel durch die Finger.«
»Viel Leiden muss der Gerechte im Leben«, sagte Henrik mitfühlend. »Und der Herr spricht: >Ich habe die Macht und mein ist die Gnade und vergolten wird jedem nach seinem Werk.<«
»Nun ja, mit dem Werk von Lorenz Biesenfeld wird es dann wohl nicht weit her sein. Denn so mancher Arbeitstag geht verloren, weil er sinnlos betrunken im Hof liegt und den ganzen Tag braucht, um seinen Rausch auszuschlafen und über den Kater zu kommen. Wäre er nicht der Sohn meiner treuen Wirtschafterin, hätte ich ihn wohl schon längst vor die Tür gesetzt. So aber muss ich sehen, dass ich das Beste aus der Situation mache und ein möglichst scharfes Auge auf ihn halte.«
Sie redeten noch eine ganze Weile über die brisante Geschichte, in die sie Bruder Anselms Tod verwickelt hatte, und Bartholomäus Bartholy bedauerte mehr als einmal, dass er ihnen nicht weiterhelfen konnte. Dann entschuldigte er sich und kehrte in sein Atelier zurück. Er müsse die Arbeit an der Verkündigung Mariens bis Pfingsten abgeschlossen haben, denn diesen Termin habe er den unbeschuhten Karmelitern hoch und heilig versprochen. Eigentlich hatte das Gemälde schon in der Woche vor Ostern fertig sein sollen.
»Aber die Kunst, wenn sie denn eine solche sein soll, lässt sich nun mal leider nicht erzwingen und nach dem Kalender verplanen«, seufzte er und raufte seinen Bart, während er sich von der Tafel erhob. »Ein Altarbild zu malen, in dem Seele und fromme Hingabe stecken, ist einfach nicht dasselbe wie einen soliden Schrank zu zimmern. Aber das will manchem nicht in den Schädel.«
»So mancher teilt die Stummheit seiner Väter, die arm im Geiste, und hat keinen Schimmer vom Ewigen Licht«, meinte Henrik trocken.
Der kleinwüchsige Maler lachte. »Damit trefft Ihr den Nagel auf den Kopf, Schwede! Also, dann will ich mal sehen, ob meine Hand den Pinsel mit derselben Beredsamkeit führen kann, die mein Herz bewegt. Nur allzu oft ist der Weg aus meinem Innersten über den Pinsel auf die Leinwand unendlich lang und qualvoll«, sagte er und verschwand nach oben.
Bruder Basilius verließ wenig später das Haus, um diverse Freunde und Bekannte von Bruder Anselm aufzusuchen. Jakob und Marga vertrieben sich die lange Zeit des Wartens, indem sie sich an das Schachbrett setzten, das sie auf einer Truhe entdeckt hatten. Henrik, der die Regeln kannte, ließ sich dazu überreden, sie in das königliche Spiel einzuführen. Und so verging die Zeit bis zum Abend überraschend schnell.
Als der Zisterziensermönch kurz nach Einbruch der Dunkelheit zurückkehrte, genügte ihnen schon ein Blick auf sein müdes, niedergeschlagenes Gesicht, um zu wissen, dass seine Besuche nichts erbracht hatten.
»Eine letzte Hoffnung ist uns jedoch noch geblieben«, teilte er ihnen mit, während er sich vor dem offenen Kaminfeuer wärmte. Denn so angenehm die Temperaturen während des Tages auch schon waren, so kehrte doch mit Sonnenuntergang eine beachtliche Kühle zurück, die einen frösteln lassen konnte. »Und das ist Bruder Reimund, ein gelehrter Jesuit, der dem hiesigen Collegium angehört und gemeinsam mit Friedrich Spee und Anselm von Picoll das Tricoronatum in Köln besucht hat. Doch ich habe ihn nicht angetroffen, weil er einige Tage nicht in der Stadt ist. Er wird aber für morgen Nachmittag zurückerwartet, soll er doch die Osterpredigt halten.«
»Hoffentlich schafft der Domherr es nicht mehr, noch vor Ostern mit seinen Handlangern in Koblenz einzutreffen«, sagte Marga besorgt. »Der Gedanke, dass dieser skrupellose Mann sich mit seinem Gefolge in derselben Stadt aufhält wie wir, macht mir Angst. Er verfügt über zu viel Macht und Geld, auch wenn der örtliche Klerus und die Bürgerschaft nicht auf dem besten Fuß mit dem Erzbischof von Trier stehen, wie Ihr sagt, Bruder Basilius.«
Der Mönch nickte. »Leider habt Ihr Recht und deshalb solltet Ihr das Haus auch nicht verlassen. Wir wollen kein unnötiges Risiko eingehen!«, ermahnte er sie. »Mir ist da übrigens noch etwas eingefallen, was uns ganz hilfreich sein kann.«
»Wir sind ganz Ohr«, sagte Jakob.
»Das Kloster Himmerod besitzt hier in Koblenz den Rosenhof, der in der Kastorgasse liegt«, teilte ihnen der Mönch mit. »Einen klösterlichen Stadthof, der zugleich auch als Herberge dient. Ich bin sicher, dass von Drolshagen zumindest seine Schergen dort einquartieren wird, weil es ihn dann nichts kostet, möglicherweise wird er sogar selbst dort Logis nehmen. Ich werde morgen versuchen jemanden zu finden, der den Rosenhof im Auge behält und uns Nachricht gibt, wenn der Domherr und seine Männer dort eintreffen. So werden wir zumindest frühzeitig gewarnt sein.«