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»Das wäre immerhin etwas«, sagte Marga.

Jakob hörte hinter sich ein Geräusch, das wie das Knarren eines Dielenbrettes klang. Er wandte den Kopf und blickte zur Tür, die halb offen stand. Ihm war, als glitte ein Schatten in die Dunkelheit des Flurs zurück. Mit schnellen Schritten war er bei der Tür, stieß sie auf und blickte sich um. Flur und Treppe lagen ausgestorben vor ihm. Er schüttelte ob seines übersteigerten Argwohns den Kopf über sich selbst und kehrte zu den anderen zurück. Jetzt begann er wahrhaftig schon Gespenster zu sehen, wo doch nur die tanzenden Flammen des Feuers einen Schatten auf den Eingang geworfen hatten!

Dreiunddreißigstes Kapitel

»Er schläft«, flüsterte Bartholomäus Bartholy, als Jakob am nächsten Tag kurz vor Sonnenuntergang das Atelier betrat. Der Maler legte gerade Pinsel und Palette aus der Hand, weil nicht mehr genug Licht zum Arbeiten durch die doppelflügeligen Fenster auf das Gemälde von der Verkündigung an Maria fiel. »Der Gute muss von den Aufregungen und Strapazen der letzten Wochen sehr erschöpft sein.«

Jakob nickte. »Und die bittere Enttäuschung, in Koblenz nicht den kleinsten Hinweis auf Bruder Anselms Versteck gefunden zu haben, hat bestimmt ein Übriges getan«, raunte er und gab sich keine Mühe seine eigene tiefe Niedergeschlagenheit vor ihm zu verbergen. Es war für sie alle ein schwerer Schlag gewesen, als Bruder Basilius vor gut einer Stunde mit der Nachricht aus dem Collegium der Jesuiten zurückgekehrt war, dass auch Bruder Reimund ihnen nicht weiterhelfen konnte. Und als ob das nicht schon genug schlechte Nachrichten gewesen wären, hatte er ihnen auch noch mitteilen müssen, dass der Domherr mit seinem gedungenem Gefolge - einem vollen Dutzend Männer - schon zur Mittagsstunde im Rosenhof eingetroffen war.

Bartholomäus Bartholy stieg von seinem Podest und kam zu ihm. »Lasst den Kopf nicht hängen, Jakob. Ihr habt getan, was in Eurer Macht stand. Und wer weiß, wo die Papiere eines Tages auftauchen werden. Vertrauen wir fest darauf, dass Bruder Anselm schon die rechte Vorsorge getragen hat«, versuchte er ihn zu trösten.

Aus Höflichkeit zwang Jakob sich zu einem schwachen Lächeln und nickte, dachte jedoch dabei bedrückt: Und was ist, wenn er keine Gelegenheit mehr dazu gehabt hat?

»Nicht alles im Leben gelingt, so gut unsere Absichten und Mühen auch sein mögen. Damit müssen wir uns abfinden, wenn wir nicht im Sumpf der Enttäuschung und Verzweiflung stecken bleiben wollen. Und nun lasst uns hinuntergehen und gemeinsam ein Glas trinken«, forderte ihn der Maler auf. »Morgen ist Ostern und unsere Herzen sollten mit Freude und Dankbarkeit erfüllt sein, nicht mit Bitterkeit und Gram.«

»Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich noch eine Weile hier oben bleibe?«, fragte Jakob, dem der Sinn ganz und gar nicht nach einem feuchtfröhlichen Umtrunk stand.

»Natürlich nicht. Ich schicke Lorenz zu Euch, wenn Annelie mit dem Essen fertig ist«, sagte Bartholomäus Bartholy und verließ das Atelier.

Jakob ging nun zu Bruder Basilius hinüber. Der Mönch lag auf einer einfachen harten Pritsche, die zwischen den beiden Fenstern an der Wand stand und dem Maler wohl für Ruhezeiten zwischen langen Arbeitsperioden vor der Staffelei diente. Der rechte Arm von Bruder Basilius hing seitlich herab und berührte fast den Boden. Er musste beim Gebet vom Schlaf übermannt worden sein, denn der Rosenkranz mit den weißen Perlen und dem weißen Kruzifix war seinen Fingern entglitten und lag auf den Dielenbrettern.

Jakob setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und hob den Rosenkranz auf. Wie lange hatte er schon keinen Rosenkranz mehr in der Hand gehalten! Verschüttete Erinnerungen wurden in ihm wach, als er die glatten Perlen durch seine Finger gleiten ließ. »Ave Maria... graciaplena... «, murmelte er leise, während Empfindungen und Bilder ihn weit in die Vergangenheit zurücktrugen, als er noch ein kleiner Junge und seine Mutter noch am Leben gewesen war.

In ebenso schmerzliche wie kostbare Erinnerungen versunken, saß er da. Doch dann spürte er auf einmal, dass Bruder Basilius nicht länger schlief. Er hob den Kopf und schaute in das offene, gesunde Auge des Mönches, das mit ruhigem Blick auf ihn gerichtet war.

»Gefällt er dir?«, fragte der Mönch.

»Mhm, ja. ein schönes Stück.«

»Ich habe ihn in Jerusalem geschenkt bekommen. Das Kreuz und die Perlen sind aus Alabaster und die Kettenglieder aus Silber.«

»Meine Mutter war eine große Verehrerin der Muttergottes. Sie hat jeden Morgen und jeden Abend den Rosenkranz gebetet.«

»Und Ihr?«

»Ja, früher als Kind.«, antwortete Jakob vage. »Aber dann, als meine Mutter auf dem Scheiterhaufen starb und Quirin Schlehenbusch mich zu sich nahm.« Er ersparte es sich den Satz zu beenden und reichte dem Mönch die Gebetskette. »Und überhaupt, dreiund-fünfzigmal das Ave Maria wie eine Leier herunterzurasseln ist nicht meine Sache.«

Bruder Basilius richtete sich mit einem Lächeln auf und nahm den Rosenkranz entgegen. »Nein, meine auch nicht. Was ich wie jeder wahre Gläubige jedoch schätze, ist der betrachtende Rosenkranz. Dabei lässt man die Bilder von Geburt, Passion und Auferstehung Jesu innerlich vor sich aufleuchten und versetzt sich in sie hinein«, erwiderte er. »Die Perlen sind dann auch nicht nur eine Zählhilfe für in Routine erstarrte Christen, die möglichst rasch ihr Pensum herunterleiern wollen und Beten traurigerweise als lästige Pflicht statt als Geschenk und freudiges Verweilen vor Gottes Angesicht betrachten.«

»Was sind die Perlen denn für Euch?«

»So etwas wie körperlich spürbare Haltepunkte auf dem betenden Weg durch die Bibel, an der Seite von Maria und Jesus zu den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Stationen«, antwortete der Mönch. »Wer an Gott glaubt, kann Maria einfach nicht mit links wegwischen, als wäre sie nur eine unbedeutende Statistin gewesen. Das ist keine Frage der Konfession oder der Dogmen, sondern des gesunden Menschenverstandes. Wie kann ein Christ die Frau, die Gottes Verkündigung angenommen und seinen eingeborenen Sohn zur Welt gebracht hat, zu einer unbedeutenden Nebenfigur degradieren? Unmöglich!«

»Mhm, ja, das ist ein Argument, das ich gelten lasse.«

»Es ist Maria, die uns wie keine andere Gestalt der Bibel zeigt, dass der mühselige Weg unseres Glaubens durch das steinige Gebirge unseres Alltags führt. Sie ist die Figur der Heilsgeschichte, die uns Menschen am nächsten ist und der wir uns wohl noch unbeschwerter anzuvertrauen vermögen als Gottes Sohn.«

Jakob verzog das Gesicht. »Na, ich jedenfalls kann mich schlecht mit dem Bild der demütigen, unendlich tugendsamen und göttlich reinen Jungfrau Maria anfreunden. Die Muttergottes als Wegweiserin?« Er schüttelte den Kopf. »Also mir ist sie noch viel ferner als Jesus Christus.«

»Das kommt wohl daher, weil sich all die Jahre ein falsches Bild über die Muttergottes in Euch festgesetzt hat«, vermutete Bruder Basilius.

»Was soll denn daran falsch sein?«, wollte Jakob wissen. »Wer Maria war und welche Rolle sie in der Bibel spielt, ist ja wohl kein Geheimnis.«

»Ihr irrt erneut. Es stimmt zwar, dass Maria von den herrschenden Kreisen in der Kirche mit Vorliebe als die demütige, tugendsame und göttlich reine Muttergottes dargestellt wird, weil das nicht nur biblisch richtig, sondern den Herrschenden von Staat und Kirche auch stets sehr dienlich gewesen ist - und wohl leider auch noch in Zukunft sein wird. Aber das ist eben nur die eine Seite, die Maria uns zu bieten hat.«

Jakob zog die Augenbrauen hoch. »Da bin ich aber mal gespannt, wie denn die andere, unbekannte Seite der Madonna bei Euch aussieht!«