»Lasst solche Reden, Henrik! Es besteht kein Grund den Mut sinken zu lassen!«, kam Bruder Basilius’ Stimme aus der pechschwarzen Finsternis. »Man soll niemals die Hoffnung fahren lassen. Noch ist nichts verloren. Alles steht in Gottes Macht.«
»Und ob wir verloren sind! Warum wollt Ihr das nicht zugeben?«, brauste Jakob auf und verstand nicht, wie der Mönch in einer derart aussichtslosen Situation noch von Mut und Hoffnung sprechen konnte.
»Wer unerschütterlich glaubt, ist nie verloren«, erwiderte der Mönch gelassen.
»Habt Ihr denn keine Angst vor dem Tod?«, fragte Marga mit erstickter Stimme.
»Gewiss habe ich Angst«, gestand er. »Angst vor dem Sterben und den Schmerzen, nicht jedoch vor dem Tod. Aber sogar diese Angst, die wohl nur zu menschlich ist, kann die Erwartung und die Freude im Tod jemandem in die Arme zu fallen, den man im Glauben ein Leben lang voller Leidenschaft gesucht hat, nicht ersticken. Aber noch besteht kein Grund für diese Angst.«
»Redet uns doch nichts ein!«, rief Jakob erregt. »Wir sind erledigt! Drolshagen hat gewonnen. Und er wird sich für alles, was wir ihm angetan haben, bitterlich rächen!«
»Nein, noch ist es nicht so weit. Der Domherr ist ein berechnender Mann, der in erster Linie daran interessiert ist, die Dokumente in seinen Besitz zu bringen und zu vernichten. Nun, das werden wir nun nicht mehr verhindern können, so bitter das auch ist.«
»Er wird uns alle auf den Scheiterhaufen bringen!«, prophezeite Jakob düster. Ein kalter Windhauch, der von oben kam und an ihm vorbeizog, ließ ihn erschauern.
»Sicher, das möchte er wohl gerne. Aber ich bin sicher ihn davon überzeugen zu können, dass er nichts damit gewinnt, sondern seinen Sieg im Gegenteil gefährdet«, versicherte der Mönch.
»Und wie wollt Ihr das anstellen?«, fragte Marga mit neuer Hoffnung.
»So ohne weiteres kann auch ein Trierer Domherr nicht einen Zisterzienserpater verschleppen und auf den Scheiterhaufen bringen. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich einem Kloster angehöre, das nicht zum Machtbereich des Kurfürsten von Trier gehört, schützt mich vorerst noch die Exemtion.«
»Aber nicht uns!«, warf Jakob ein.
»Wenn er einen Handel mit mir schließen will, ist dieser ohne Euch nicht zu haben. Es gibt da nämlich einige einflussreiche Männer, die von Bruder Anselm und meinem Auftrag wissen. Der Heisterbacher Abt Engelbert von Wallersheim, dem ich die Dokumente bringen sollte und der jetzt schon auf dem Weg nach Santiago de Compostela ist, ist nur einer von ihnen. Auf jeden Fall haben die Stimmen dieser Männer Gewicht und Drolshagen wird es vorziehen, die Papiere ohne großes Aufsehen zu vernichten und uns laufen zu lassen, als einen großen Streit zu entfachen - und zwar nicht nur über die Rechtmäßigkeit seines Vorgehens, sondern auch über den Inhalt der Papiere.«
»Glaubt Ihr das wirklich?«, fragte Jakob, der seine Angst zu verdrängen versuchte und sich wie Marga nur zu gern an jede noch so kleine Hoffnung klammern wollte.
»Drolshagen ist skrupellos und gefährlich, aber bestimmt kein Dummkopf, der seinen Triumph wegen persönlicher Kleinigkeiten aufs Spiel setzt«, erklärte Bruder Basilius im Brustton der Überzeugung. »Also habt Hoffnung!«
»An deine Weisung will ich mich halten«, sagte Henrik.
»Außerdem.« begann Bruder Basilius.
»Oh mein Gott!«, stieß Jakob in dem Moment aufgeregt hervor. »Seht doch da drüben in der Ecke!«
Ein schwacher Lichtschimmer, der schnell an Helligkeit zunahm, riss die absolute Dunkelheit ihres Kerkers auf. Das Licht kam von oben und im ersten Moment erschien es ihnen wie ein Wunder, wie eine göttliche Erscheinung. Doch Sekunden später bemerkten sie, dass sich dort in der Ecke an der Decke ein kleiner, etwas mehr als handbreiter Luftschacht befand, der diesen tiefen Kellerraum wohl belüften sollte. Aus dieser Öffnung an der Decke drang das Licht, das sich Augenblicke später als ein brennender Kerzenstummel entpuppte. Er steckte horizontal zwischen den Zinken einer Gabel, an dessen Ende eine Schnur befestigt war. Die Flamme brannte wegen der Schräglage mit wildem Flackern und das flüssige Wachs tropfte nur so herab.
Die Kerze verharrte kurz über dem Boden. Und dann fiel ein Messer aus der Öffnung des Luftschachtes, gefolgt von einem zweiten und dritten! Mit einem dumpfen Laut schlugen sie auf dem harten Lehm auf.
»Nacht und Bangen - weggegangen!«, stieß Henrik hervor und rollte sich sofort zu der Stelle hinüber, wo die drei scharfen Messer lagen. Beinahe wäre er von dem Knüppel am Kopf getroffen worden, der mit etwas Verzögerung auf die Messer folgte. Kurz darauf tauchte eine Brechstange in der Öffnung auf, die an einer festeren Kordel hing und sich ganz langsam herabsenkte.
»Ein Wunder!«, stieß Marga fassungslos hervor.
Bruder Basilius lachte. »Ja und ich wette, dass dieses Wunder den Namen der Priorin trägt. Das ist bestimmt das Werk von Schwester Catharina!«
Henrik drehte sich so, dass er eines der Messer zu fassen bekam, und rief dann Jakob zu sich, um dessen Handfesseln mit der scharfen Klinge zu durchtrennen. Das ging nicht ohne einige kleinere Schnittwunden ab, doch Jakob lachte trotz der Schmerzen, denn nun wusste er, dass er gleich seine Fesseln los sein würde. Sowie seine Hände frei waren, nahm er Henrik das Messer ab. Im Handumdrehen fielen alle Stricke, mit denen man sie verschnürt hatte.
Sie massierten sich Hand- und Fußgelenke. Und dann bemerkte Bruder Basilius den Zettel, der wohl aus dem Schacht geflattert war, während sie sich gegenseitig von den Fesseln befreit hatten. Er hob ihn auf und las vor, was in hastig hingekritzelten Zeilen auf ihm geschrieben stand:
Ich bete, dass es Euch gelingt aus dem Keller auszubrechen. Versucht die Wache zu Euch zu locken und zu überwältigen. Nehmt nur im Notfall das Stemmeisen. Dann kommt in den Kapitelsaal. Die Flucht ist nur von hier aus möglich. Überall draußen sind Wachen des Domherrn. Vergesst auf keinen Fall das Stemmeisen mitzubringen! Werde Euch alles erklären. Mehr kann ich leider nicht für Euch tun. Vernichtet diesen Zettel sofort. Möge der Allmächtige Euch beistehen und Eure Rettung möglich machen! C.
»Kein Zweifel, es ist Schwester Catharina, Bruder Anselms Cousine, die uns in dieser schweren Stunde der Not zur Seite steht!«, versicherte Bruder Basilius und hielt den Zettel über die Flamme. Sofort fing das Papier Feuer und verbrannte zu einem Häufchen Asche.
»Kann mir einer verraten, wozu wir zur Flucht, die nur aus dem Kapitelsaal möglich sein soll, ein Stemmeisen brauchen?«, fragte Jakob verwundert in die Runde.
Marga zuckte die Achseln. »Ich habe nicht den Schimmer einer Ahnung. Aber um das zu erfahren, müssen wir erst einmal aus diesem Gewölbe herauskommen.«
Henrik nickte. »Wir haben drei Messer, einen Knüppel und eine Brechstange«, sagte er. »Jetzt muss uns nur noch etwas Geniales einfallen, wie wir Mundt am besten zu uns locken, ohne dass er Verdacht schöpft.«
»Ich glaube, ich weiß, wie wir das anstellen können«, sagte Bruder Basilius und erklärte ihnen, was ihm vorschwebte.
Sie steckten die zerschnittenen Stricke ein und legten sich dann wie abgesprochen auf den Boden.
»Seid ihr bereit?«, fragte der Mönch. »Habt Ihr die Waffen gut versteckt und die Hände auch auf dem Rücken an den Fersen?«
Marga, Henrik und Jakob bejahten.
»Gut, dann lasst es uns mit Gottes Hilfe wagen!« Bruder Basilius blies den Kerzenstummel aus, steckte ihn ein und legte sich so, als wären ihm noch immer Hände und Füße zusammengebunden. Augenblicke später begann er aufgeregt zu schreien: »Mundt!. Hört Ihr mich? . Mundt!. Um Gottes willen, so antwortet, Mann!«