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Jacks Geduld war erschöpft. Sie hatten schon viel zu viel Zeit vertrödelt. Alyss schwebte in Gefahr und er musste sie vor Molls hinterlistigem Plan warnen. »Du kannst dir das später anschauen. Erst müssen wir was Wichtiges erledigen.« Er packte Eliza grob am Arm und zog sie vom Puppentheater fort, an Buden und Ständen vorbei.

»Aua, du tust mir weh«, wehrte Eliza sich.

Aber der Junge ließ sie nicht los. Nur ein Stück weiter, auf der rechten Seite, konnte man schon die bunte Bude der Raritätenschau sehen. Alyss hockte bestimmt im Zelt dahinter. Der dicke Mann stand auf dem Podium und kündigte die nächste Vorstellung an. War es tatsächlich erst vor ein paar Tagen gewesen, dass er und Kit sich entschlossen hatten, die Zuschauer nicht vor, sondern in der Bude des Wilden zu bestehlen? Es schien eine Ewigkeit her zu sein.

»Hereinspaziert, meine Damen und Herren«, rief der Mann laut. Heute war er nicht ganz in Schwarz gekleidet, sondern trug ein Cape mit rotem Seidenfutter. Es war noch früh am Tag und niemand stand am Eingang Schlange. Die Frau hinter der Kasse strickte gelangweilt an einem Strumpf. Jack schlüpfte zwischen den Buden hindurch zum Zeltanbau, Eliza immer noch im Schlepptau. Als er jedoch auf den Hintereingang zuging, blieb das Mädchen wie angewurzelt stehen.

»Da geh ich bestimmt nicht rein. Da wohnt der Menschenfresser.«

Sie waren nur noch wenige Schritte von der Zeltklappe entfernt, doch Eliza rührte sich nicht vom Fleck. Jack konnte das Mädchen beileibe nicht allein vor dem Zelt warten lassen. Das Risiko, dass auch sie wie Ned und Tommy in die Hände der Kinderfänger fiel und spurlos verschwand, war zu groß.

»Alyss«, rief er deswegen laut. Durch die dünne Zeltwand würde sie ihn sicherlich auch so hören. »Alyss, bist du hier?«

Doch statt des Mädchens in Hose tauchte Aurelias winziger Kopf zwischen den Planen auf. Als sie den Jungen sah, schlüpfte sie ganz aus dem Zelt und schob ihr Diadem auf den blonden Locken zurecht. Jack spürte, wie sich Elizas Hand in seine schob.

»Die Fee«, wisperte sie ängstlich. Eliza hatte noch nie eine so winzige Zwergin gesehen. Die zierliche Frau, heute in einem gelben Taftkleid, hatte sich bereits ihre glitzernden Flügel umgeschnallt. Sie waren genauso gelb wie ihr Kleid.

»Ich muss mit Alyss sprechen«, erklärte der Junge. »Es ist wichtig.«

»Ist die nicht bei dir?«, fragte Aurelia.

»Bei mir? Nein. Ich dachte, die wollte gestern bei euch übernachten.«

»Übernachtet hat sie hier schon«, erwiderte die falsche Fee. »Doch dann ist sie heute früh gleich los. Sie wollte sich bei dir und deinen Freunden verstecken.«

Jack starrte die Frau alarmiert an. »Wann war das?«

»Na, gleich nach dem Frühstück. Das ist inzwischen fast eine Stunde her. Ihr Onkel ...« Doch Jack hörte ihr schon nicht mehr zu.

»Los, Eliza!«, befahl er dem Mädchen, das überhaupt nichts mehr verstand. »Wir müssen einen Zahn zulegen!« Ohne sich von Aurelia zu verabschieden, zog er Eliza hinter sich her und zwischen zwei Buden hindurch wieder auf die Hauptstraße hinaus.

»Aber wo wir schon mal hier sind, wieso hast du sie nicht gefragt, wie wir Ned und Tommy aus ’m Feenland rausholen können?«, beschwerte sich die Kleine. Anscheinend war sie immer noch überzeugt, dass die verschwundenen Kinder von Feen entführt worden waren.

»Aurelia ist keine echte Fee. Sie hat sich die Flügel nur angeschnallt«, klärte Jack Eliza auf, während er sie weiterschleppte. »Jedenfalls müssen wir jetzt so schnell wie möglich zurück zum Laden.«

»Ich versteh nicht, wieso du jetzt schon wieder heimwillst. Wir haben noch nicht mal ’nen Penny geklaut. Moll kriegt sicher ’nen Tobsuchtsanfall, wenn sie uns sieht.«

»Alyss schwebt in Gefahr und ich muss sie warnen.«

»Alyss? Wer ist denn jetzt Alyss?«, fuhr Eliza fort, sich zu beklagen.

Als Jack wie zuvor versuchte, sie hinter sich herzuziehen, zog sie stur in die andere Richtung.

»Ich geh keinen Schritt mehr weiter«, erklärte sie aufmüpfig, »bevor du mir sagst, was das soll. Außerdem will ich ’ne Puppe.« Sie deutete auf einen Stand gleich neben ihnen, an dem bunte Holzkreisel, Pferdchen auf Rädern, Steckenpferde, Windrädchen, Miniaturgeschirr und Puppen und anderes Kinderspielzeug angeboten wurden.

»Zum Teufel noch mal«, fuhr Jack sie ungeduldig an. »Was ist heute nur los mit dir? Musst du ständig meckern? Kannst du nicht einfach deine Klappe halten und mitkommen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nur, wenn du mir ’ne Puppe kaufst.«

Jack stöhnte. Dazu war nun wirklich keine Zeit. Doch bevor Eliza ihm weiterhin Schwierigkeiten bereitete, ließ er sich lieber erpressen. Er zog ein paar Münzen aus seinem Beutel, um eine der billigen Holzpuppen zu erstehen. Eliza strahlte übers ganze Gesicht, als er ihr das winzige Wickelkind reichte. Er hätte schon eher auf diese Idee kommen sollen, denn von diesem Augenblick an folgte ihm das Mädchen brav wie ein Hündchen. Es tat Jack ein bisschen leid, dass er so unfreundlich zu Eliza gewesen war. Die Kleine konnte ja überhaupt nicht wissen, bei wem es sich um Alyss handelte. Er hatte gestern der Bande von seinem Abenteuer im Haus des Zauberers berichtet, dabei jedoch von einem Jungen gesprochen. Alyss’ Identität hatte er nicht enthüllt, denn bei einer Belohnung konnte so manch ein Taschendieb nicht wiederstehen. Als Eliza nun mit der neuen Puppe in der Hand glücklich neben ihm herhüpfte, erzählte er ihr deshalb, wer der Junge vom Jahrmarkt wirklich war.

»Verstehst du jetzt, dass ich sie unbedingt abfangen muss, bevor sie mit Moll spricht«, meinte er, nachdem er seinen Bericht beendet hatte. »Die dürfen das Mädchen auf keinen Fall schnappen.«

Genau in dem Augenblick hörte er, wie jemand seinen Namen rief. Für einen kurzen Moment erwartete er schon, Alyss hinter sich zu sehen, doch es war nur Maggie.

»Geht ihr schon wieder heim?«, fragte sie. »Ihr habt wohl den großen Coup gelandet?« Über dem Arm trug sie einen Einkaufskorb, in dem ein riesiger Kohlkopf und ein Bündel Karotten lagen, dessen grünes Kraut über den Rand hing.

»Wir haben noch nicht mal angefangen zu klauen«, sagte Eliza. »Jack muss was Wichtiges erledigen und ich hab ’ne neue Puppe.« Stolz hielt sie das winzige Püppchen hoch. »Sie heißt Aurelia, wie die Fee auf dem Jahrmarkt.«

»Weißt du, ob Alyss heute Morgen bei Moll war?« Jack ignorierte das Geplapper der Kleinen.

Maggie blickte ihn verwundert an. »Alyss? Wer soll das sein?« Sie schob den Korb auf den anderen Arm.

»Das ist der Junge vom Jahrmarkt«, mischte sich Eliza ein. »Er ist nämlich gar kein Junge, sondern ’n Mädchen mit Hosen wie Moll. Aber du darfst es niemandem verraten. Muss ’n Geheimnis bleiben.« Sie hüpfte aufgeregt von einem aufs andere Bein.

»Der Junge vom Jahrmarkt, der den Salamander wiederhaben will?« Maggie hob amüsiert eine Augenbraue. »Der soll ’n Mädchen sein? Echt? Der, ich meine die war tatsächlich heute früh im Laden. Stellt euch vor, Moll hat doch glatt den Salamander wieder aufgetrieben und zurückgekauft.« Sie strich sich mit der freien Hand eine Haarsträhne aus der Stirn. »Hab ich noch nie zuvor erlebt, dass sie so was gemacht hat. Die hat sicher Bammel vor dem Menschenfresser.«

»Und wo ist Alyss jetzt?«

»Sag bloß, du hast ’ne Freundin.« Maggie zwinkerte verschmitzt mit den Augen.

»Ich? So ’n Quatsch. Natürlich nicht«, wehrte Jack ab. »Wohin ist sie? Ist wirklich wichtig.« Für lange Erklärungen war jetzt keine Zeit.

»Na, sie ist gleich selber losgezogen, um sich den Salamander zu holen, wo Moll doch noch keine Zeit dazu gehabt hat.«

»Teufel noch mal!«, fluchte Jack und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn »Ich bin zu spät.«