Выбрать главу

»Zu spät für was? Ist das nicht ’ne gute Nachricht, dass sie ihren Salamander wiederkriegt?« Maggie stellte ihren Korb am Boden ab.

»Hast du ’ne Ahnung, wohin sie gehen sollte?« Jack musste unbedingt hinterher. Vielleicht konnte er sie ja noch einholen, bevor sie in die Falle tappte.

Doch Maggie schüttelte den Kopf. »Nee, das hab ich nicht mitbekommen. War in der Küche, um dem Mädchen was zum Essen und Trinken zu holen. Na, und als ich mit den Sachen zurückkam, war sie schon wieder weg.«

»Verdammt! Verdammt! Verdammt!« Moll hatte Maggie sicher nur in die Küche beordert, damit sie nicht hören konnte, wohin sie Alyss schickte.

»Hat sie einen Nathaniel erwähnt?«

»Weiß ich nicht. Aber wieso fragst du nicht Moll. Die gibt dir sicher Auskunft.« Sie hob ihren Korb und wollte weitergehen.

Aber Jack schüttelte resigniert den Kopf.

»Das geht nicht.« Und dann erzählte er auch Maggie von Molls und Kapitän Bates’ Plan. Dass der Salamander gar nicht bei diesem Nathaniel war, sondern unter Molls Matratze lag, behielt er für sich. Während seines Berichts begann Maggie aufgeregt am Kraut der Karotten zu zupfen.

»Du lieber Himmel«, meinte sie nur. »Ich glaub, ich weiß, wer diese Alyss ist.« Vom Grün der Karotten war bald nichts mehr übrig. »Sie wird in ganz London gesucht.«

»Was?«

»Gleich nachdem Alyss wieder weg war, schickte Moll mich mit ’ner Botschaft zum Weißen Hirschen. Da komm ich gerade her.« Sie deutete Richtung Jahrmarkt. »Ich sollte dort ’nem Herrn Ratcliff ausrichten, dass Moll gefunden hat, was er sucht. Ich dachte, es ging um ’n Ding, keine Person. Auf jeden Fall war der Herr, dem ich die Botschaft bringen sollte, ausgegangen. Deswegen hinterließ ich die Nachricht beim Stalljungen. Der hat mir erzählt, dass dieser Mann überall nach seiner Nichte sucht. Angeblich hat sie was geklaut, das ihm gehört. Er hat 20 Pfund als Belohnung für das Mädchen ausgesetzt. Passt das nicht genau mit deiner Alyss und ihrem Salamander zusammen?«

Jack nickte. Das Mädchen steckte wirklich in der Klemme, und er hatte nicht den blassesten Schimmer, wie er ihr helfen konnte.

Viel später, am Abend des gleichen Tages, hockten die Kinder der Bande nach dem Essen müde auf dem Dachboden. Eliza hatte in einer kleinen Spanschachtel ein Bett für ihre Puppe hergerichtet und sang ihr ein Schlaflied vor. Maggie und die Jungs spielten heute statt mit Karten ein Würfelspiel. Moll war wieder mit Kapitän Bates ausgegangen, und es würde sicher eine Weile dauern, bis sie zurückkam. Jacks Chance war gekommen. Auch wenn er es nicht geschafft hatte, Alyss rechtzeitig zu warnen, und er nicht die geringste Ahnung hatte, wohin Moll sie geschickt hatte, gab es doch etwas, das er für das Mädchen tun konnte.

»Ich muss mal«, verkündete er, griff nach einer der Kerzen und stieg damit die Stiege hinab. Im ersten Stock hielt er an. Das flackernde Licht warf geheimnisvolle Schatten an die Wände und reflektierte sich in Molls Spiegeln, die auch hier im Flur jede freie Fläche schmückten. Er lauschte. Im Treppenhaus war es still. Nur vom Dachboden oben drangen Kinderstimmen herab. Elizas helle Singstimme, übertönt von Guys lauter Stimme, danach fröhliches Lachen. Niemand würde bemerken, dass er nicht auf den Abort gegangen war. Er blickte sich noch einmal vorsichtig um, dann öffnete er die Tür zu Molls Kammer.

Bis auf Maggie, die zum Putzen und Bettenmachen kam, durfte keines der Kinder die Kammer betreten. Jack sah sich um. Selbst hier erkannte man gleich Molls Vorliebe für Spiegel. Nur die Wand neben dem Fenster und die neben der Tür waren leer. Abgesehen von den Spiegeln, war der Raum nur karg eingerichtet. Ein Bett, eine Kleidertruhe und ein Hocker, sonst nichts. Er stellte die Kerze auf der Truhe ab und schlich hastig zum Bett. Er musste sich beeilen, bevor die anderen Kinder entdeckten, was er vorhatte. Als er seine Hand unter die Matratze schob, konnte er außer dem kratzenden Stroh, das seine Hand pikste, nichts anderes spüren. Hatte Moll den Salamander inzwischen anderswo versteckt? Erst nachdem er die Matratze ungeduldig samt Decke und Kissen angehoben hatte, entdeckte er den Lederbeutel in der hintersten Ecke. Es war tatsächlich derselbe Beutel, den er Alyss vom Gürtel geschnitten hatte. Mist! Als er nach dem Beutel griff, rutschte ihm die Matratze aus der Hand und landete mit dumpfem Knall auf dem Bettgestell. Doch bis auf die Kinderstimmen blieb es weiterhin still im Haus. Er holte tief Atem und zog den Verschluss des Beutels auf. Dann lag der winzige Salamander auf seiner Hand. Die roten Steine funkelten verlockend, aber er würde ihn nur solange behalten, bis er Alyss aufgestöbert hatte. Das war er dem Mädchen schuldig.

Ein leises Geräusch ließ ihn auffahren. Was war das? Er blickte sich um, doch außer seinem eigenen Spiegelbild war niemand zu sehen. Hastig steckte Jack den Salamander in einen kleinen Leinenbeutel, den er um den Hals unter seinem Hemd trug. Den leeren Lederbeutel schob er wieder unter die Matratze. Gerade als er sorgfältig die Bettdecke glatt gestrichen hatte, um auch alle Spuren zu verwischen, hörte er abermals ein Geräusch. Diesmal erkannte er deutlich knarzende Dielen im Flur. War Moll etwa frühzeitig zurückgekommen? Hastig blies er die Kerze aus. Doch es war nicht Moll, sondern Guy, der plötzlich im Türrahmen stand.

»Was machst ’n du hier?«, fragte er, die Arme in die Seiten gestemmt.

Jack fehlten die Worte. Wieso musste ihn gerade Guy entdecken? Wieso nicht Maggie, Eliza oder die anderen Jungs. Nicht Guy. Ihm traute er nicht über den Weg.

Gefangen

Mittwoch, 11. September 1619

Alyss hatte keine Ahnung, wie lange sie schon hier lag. Es konnte sich um Minuten, Stunden, aber auch Tage handeln. Sie wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Es gab keine Fenster, und es war so finster, dass sie nicht einmal ihre Hand vor Augen sehen konnte. Allerdings spürte sie, dass es hier noch andere Lebewesen gab. Man konnte leises Atmen und gelegentliches Rascheln hören, so als ob sich jemand bewegte. Gab es hier Ratten? Sie wollte sich aufsetzen, doch ein unerträglicher Schmerz durchfuhr ihren Kopf. Zudem war ihr übel, und ihr Mund fühlte sich trocken und kratzig an, als hätte sie eine Handvoll Sand geschluckt.

Nur langsam erinnerte sie sich an das, was geschehen war. Moll hatte sie zur Silbernen Nixe geschickt, um den Salamander abzuholen. Nathaniel, der Wirt, hatte sie freundlich empfangen und gebeten, in die Schankstube zu treten.

»Nur keine Eile«, hatte er gesagt, als Alyss ihn nach dem Salamander fragte. »Du siehst völlig erschöpft aus, du armes Kind. Setz dich erst mal hin und ruh dich aus, das Geschäftliche kann warten. Du bist doch sicher hungrig, oder?«

Tatsächlich war sie hungrig gewesen. Zwar hatte sie im Zelt der Freunde Milch und Brot gefrühstückt, doch das schien schon wieder ewig her zu sein. Auch Moll hatte ihr etwas zu essen angeboten, nur war sie ja gleich wieder aufgebrochen. Doch jetzt, da sie am Ziel angekommen war, konnte es nicht schaden, das freundliche Angebot des Wirts anzunehmen. Und als die dürre Frau mit den strähnigen Haaren, die ihr die Tür geöffnet hatte, kurz darauf mit einem Teller voller Apfelkuchen aus der Küche kam, hatte sie nicht widerstehen können. Zwar war die Füllung weniger süß gewesen, als sie erwartet hatte, aber Alyss hatte trotzdem die ganze Portion gierig verschlungen. Dann fühlte sie sich plötzlich wie umnebelt.

»Gebt mir bitte meinen Sala...Salamander«, gelang es ihr zu lallen, doch ihre Stimme hörte sich an, als käme sie aus weiter Ferne. Die Schankstube fing an, sich zu drehen. »Mir ist so schwindlig«, murmelte sie noch, dann wurde ihr schwarz vor Augen. Von diesem Zeitpunkt an konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Nur wirre Träume, in denen ihr Vater ihr von der Aurora aus zugewinkt hatte. Seine Lippen hatten sich bewegt, doch der laute Wind hatte jedes seiner Worte verschluckt.