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Gleich nach dem Frühstück holte Aurelia eine Schüssel mit Wasser, damit sich Alyss den Schmutz von Gesicht und Händen waschen konnte. Danach kniete sich die Fee auf die Kiste neben der ausgestopften Raubkatze und kämmte Alyss’ kurze Locken.

»Das ist schon viel besser.« Sie musterte das Mädchen kritisch. »Ich würde dir ja gerne ein sauberes Kleid leihen, doch meine Sachen passen dir bestimmt nicht.«

»Trotzdem vielen Dank.« Alyss lächelte die winzige Frau an, als vom Zelteingang Stimmen erklangen. Sassa und Hector waren von ihrem morgendlichen Ausflug zurückgekehrt.

»Der Herr ist seit gestern wieder zu Hause«, verkündete Sassa, nachdem er Alyss begrüßt hatte. »Und er möchte dich sehr gern sehen.« Ohne Kriegsbemalung und in Hosen, Hemd und Weste sah der Indianer wieder wie ein braun gebrannter Seefahrer aus.

»Und sein Assistent?« Alyss wollte auf keinen Fall riskieren, erneut bei den Ratten zu landen.

»Denkst du, ich lass dich allein ins Haus?«, erwiderte Sassa ernst. »Auf keinen Fall. Ich komm mit und pass auf dich auf wie ’n Luchs.«

Schon eine halbe Stunde später standen der Indianer und Alyss dann vor dem grauen Steinbau auf der anderen Seite der Themse. Sie blickte zu Sassa, der ihr ermunternd zunickte. Alyss war so froh, dass er darauf bestanden hatte, sie zu begleiten. Das Messer, das er heute an seinem Gürtel trug, vermittelte ihr obendrein ein Gefühl der Sicherheit. Beherzt griff sie nach dem schweren Klopfer und ließ ihn auf die Tür fallen. Der dumpfe Klang hallte im Haus wider. Dann hörte man Schritte. Einen Augenblick später wurde die Tür von der netten molligen Haushälterin, in strahlend weißer Schürze und Haube, geöffnet. Wie das letzte Mal war sie überaus gesprächig.

»Wie schön, dich gesund wiederzusehen.« Ein Lächeln breitete sich über ihr rundes Gesicht aus. »Wenn ich nur gewusst hätte, dass dich Master Milton zu den Ratten gesteckt hat, da hätte ich dich selbstverständlich gleich wieder rausgeholt. Aber ich hatte ja keine Ahnung. Jetzt ist er überstürzt abgereist. Der gnädige Herr hatte nicht mal Gelegenheit, mit ihm über die Sache zu sprechen.« Sie schloss die Tür hinter den Besuchern.

Alyss sah sich in der Eingangshalle um. Nichts hatte sich seit dem letzten Mal verändert. Das Porträt des Mannes neben der Treppe, ganz in Schwarz mit dem langen Bart, verfolgte sie weiterhin beharrlich mit den Augen, und das Bild des Salamanders schmückte immer noch die Wand über der Doppeltür. Nur die Möbel, die man von der Halle aus im Gang sehen konnte, waren nicht mehr mit weißen Leintüchern verhängt. Wie damals angekündigt, hatte die Haushälterin die Laken weggeräumt und das Haus für Sir Christophers Rückkehr herausgeputzt. Auch der Boden war blitzblank geschrubbt und es roch nach Lavendel.

Im nächsten Augenblick schwang die Doppeltür auf. Ein alter Mann mit langem, grauem Bart, ganz in Schwarz gekleidet, trat in die Halle. Er trug eine altmodische steife Halskrause. Die Ähnlichkeit mit dem Gemälde an der Wand war eindeutig. Fast war es Alyss, als sähe sie doppelt. Sir Christopher nickte erst Sassa freundlich zu, dann wandte er sich an das Mädchen.

»Herzlich willkommen in meinem Haus.« Er betrachtete Alyss eine Weile schweigend. Schon meinte sie, dass er es sich anders überlegt hatte und sie wieder aus dem Haus weisen würde, doch dann breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht, und um seine Augen erschienen Hunderte von winzigen Lachfältchen.

»Selbst in Jungenhose bist du unverkennbar die Tochter deiner Mutter«, meinte er. »Obwohl du deine Courage und Abenteuerlust sicher von deinem Vater geerbt hast.«

»Ihr kanntet meine Mutter?«, war alles, was Alyss hervorbrachte.

»Dolores Mendoza? Gewiss. Sie war die hübscheste und charmanteste Spanierin, die mir je begegnet ist. Und du siehst ihr sehr ähnlich.«

Alyss und hübsch? Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, sich als hübsch zu bezeichnen. Von der Schönheit ihrer Mutter dagegen hatte ihr Vater früher auch immer geschwärmt. Sie musterte den Mann. Wenn er so liebenswürdig über ihre Mutter sprach, konnte sie ihm bestimmt trauen.

Sir Christopher führte seine Besucher durch die Doppeltür. Hier gab es noch mehr Bücher als in dem Raum, in dem Alyss das letzte Mal empfangen worden war. Es roch nach Leder, Papier und Druckfarbe. Alyss zerrte ungeduldig an der Kordel von Jacks Beutel und holte den Salamander hervor. Sie wollte so schnell wie möglich zur Sache kommen.

Doch der alte Mann blickte das Tierchen nur kurz an, bevor er es Alyss zurückgab. Dann rieb er sich den Rücken und ließ sich auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder.

»Dein Freund hier hat mir bereits alles berichtet. Ich werde so bald wie möglich einen Anwalt nach Hatton Hall schicken, der sich um die Angelegenheit kümmern wird.«

»Und der Salamander?« Alyss verstand nicht. Wieso wollte ihn jeder besitzen, nur Sir Christopher nicht? Sie betrachtete das Schmuckstück auf ihrer Hand. Die roten Steine auf dem Rücken des goldenen Reptils glitzerten. »Wieso hat mir Vater gesagt, dass ich ihn Euch bringen soll?«

Sir Christopher lächelte. »Das war nur so eine Idee deines Vaters. Bevor er das letzte Mal lossegelte, hatte er wohl eine Vorahnung. Er bat mich, falls du und das Hauspersonal mit einer Notlage nicht alleine zurechtkämen, euch beizustehen. Der Salamander sollte das Zeichen für mich sein, um einzuschreiten. Obwohl ich von dem Schiffbruch wusste, habe ich jedoch nichts unternommen. Ich war überzeugt, dass du bei deinem Onkel gut versorgt warst.«

»Aber wieso dieser Salamander? Wäre es nicht einfacher gewesen, einen Brief zu schicken?«

»Dein Vater arbeitete als königlicher Agent. Er liebte Heimlichkeiten. Außerdem war er Mitglied unseres Geheimbundes.« Wieder rieb er sich den Rücken. »Und der Salamander war unser Symbol.«

»Geheimbund? Was für ein Geheimbund?« Alyss hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. Nur Sassa blieb wachsam hinter ihr stehen.

»Der Geheimbund des Salamanders«, begann Sir Christopher. »Wir waren eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich aus Naturphilosophen, Alchemisten, Mathematikern, Physikern, Chemikern, Ärzten, Astrologen und anderen Forschern zusammensetzte. Wir wollten mehr über die Welt um uns herum erfahren. Ein Salamander eignete sich wunderbar als unser Wappen. Schon seit Ewigkeiten haben Magier ihn zu ihrem Symbol gemacht. Er kann Feuer überleben und entsteigt den Flammen als weiseres Wesen. Genauso, wie uns Wissen in klügere Menschen verwandelt.« Er hielt einen Augenblick inne. »Leider gibt es den Geheimbund schon lange nicht mehr. Die meisten der Mitglieder sind verschollen oder verstorben. Nur dein Vater besuchte mich noch jedes Mal, wenn er in London war, bis er dann von seiner letzten Reise auch nicht mehr zurückkehrte.«

»Und was ist nun an dem Salamander so außergewöhnlich?«, beharrte Alyss. Sie strich mit ihrem Zeigefinger über die winzigen Rubinaugen des Schmuckstücks, dann drehte sie es um. »Was bedeutet dies hier?« Sie deutete auf die eingravierten Zeichen an der Unterseite. »Und vor allem würde ich gerne wissen, wieso alle hinter ihm her sind. Onkel Humphrey hat sogar den ganzen Garten umgegraben. Er sprach von einem Schatz.«

»Du lässt wohl nicht so schnell locker.« Sir Christopher lächelte. »Da bist du ganz wie dein Vater. Der wollte auch immer allem auf den Grund gehen.«

Sassa hatte sich inzwischen ebenfalls auf einen Hocker neben Alyss gesetzt und lauschte interessiert.

»Selbst ich habe erst kürzlich herausgefunden, welches Geheimnis sich dahinter verbirgt.« Sir Christopher seufzte. »Wenn wir schon damals gewusst hätten, welches Chaos ein kleines goldenes Reptil heraufbeschwören würde, hätten wir für unseren Geheimbund gewiss ein anderes Symbol gewählt.« Er deutete auf das Schmuckstück in Alyss’ Hand. »Dein Salamander ist nicht der einzige. Jeder von uns Wissenschaftlern hatte einen. Sie wurden früher in den spanischen Kolonien Amerikas sogar in Massenproduktion hergestellt. Spanische Seeleute sind fest davon überzeugt, dass goldene Salamander sie vor Feuer und bösen Kräften beschützen. Sie nehmen sie deswegen oft als Glücksbringer mit an Bord ihrer Galeonen. Außer Glück, meinen manche Leute auch, dass er den Besitzer zu Reichtum führen könnte.«