Da kamen ihm die Zwerge zu Hilfe. Sie brachten ihre . vielbändige Chronik, die alle Bücherborde in der Schatzkammer hinter dem Thronsaal füllte. Die Bücher im Zauberland erwiesen sich als echte Schätze.
Ihre geringe Anzahl wurde durch jene Leidenschaft aufgewogen, mit der der Gebieter der Smaragdenstadt las.
Als interessanteste unter den aufgefundenen Schätzen erwies sich die „Enzyklopädie". Dort stand viel Interessantes über die Dinge geschrieben, die die Bewohner des Zauberlandes umgaben und über alle möglichen Gegenstände, darunter über Sachen, die der Scheuch niemals gesehen hatte, wie Autobus, Leuchtfeuer, Theater. Der ausdauernde, fleißige Gebieter bildete sich stundenlang weiter. Zeit dafür besaß er genug, denn er brauchte weder zu essen noch zu trinken oder zu schlafen. Gerade diese Dinge aber bereiten den Menschen in der Großen Welt so viele Scherereien. Das Gehirn aus Sägespänen, vermischt mit Näh- und Stecknadeln, diente seinem Herrn schon viele Jahre getreulich. Es gab ihm kluge Gedanken ein und regte ihn zu weisen Taten an, weshalb die Untertanen ihm den Titel Dreimalweiser Scheuch verliehen hatten.
Seitdem dem Dreimalweisen die Enzyklopädie in die Hände gefallen war, wurde der Kopf des Scheuchs regelrecht zu einem Sammelbecken aller möglichen Kenntnisse, und er nannte sich selbst voller Stolz En-zy-klo-pä-dist. Er hatte eine Schwäche für lange gelehrte Wörter und sprach sie, um ihre Bedeutung zu unterstreichen, gern silbenweise aus.
Wer, wenn nicht der Scheuch, mußte eine Erklärung geben können für die Ereignisse jener rätselhaften Nacht. Nachdem der Scheuch die Meldung der Krähe entgegengenommen hatte, erfaßte ihn eine große Unruhe, und er beschloß, umgehend in der Bibliothek den Kriegsrat einzuberufen. Außer dem Gebieter gehörten ihm der Langbärtige Soldat Din Gior an, in Kriegszeiten Feldmarschall, der Hüter des Tors Faramant, der Eiserne Ritter Tilli-Willi und die oberste Leiterin des Nachrichtenwesens Kaggi-Karr. Am Rat nahm auch der Gebieter des Violetten Landes, der Eiserne Holzfäller, teil, der gerade bei seinem Freund zu Gast weilte.
Tilli-Willi, der sich eigentlich in den Saal hätte zwängen können, blieb lieber auf der Erde vor dem Schloß sitzen; sein Kopf reichte gerade bis ans geöffnete Fenster im ersten Stock.
Der Eiserne Ritter war nach menschlicher Rechnung erst ein paar Jahre alt - das reinste Kleinkind. Doch die wunderbaren Schöpfungen des Zauberlandes entwickeln sich wesentlich schneller. Deshalb stand Tilli-Willi mit seiner Auffassungsgabe hinter keinem Schüler der zweiten Klasse zurück. In der Technik kannte er sich nicht schlechter aus als Lestar persönlich, der hervorragende Meister des Zauberlandes. Der kleine Tilli-Willi erinnerte sich so deutlich seines Schöpfers, des Seemanns Charlie, daß er immerfort Sehnsucht nach ihm empfand. Deshalb war ihm jeder Anlaß recht, um über den Seemann zu sprechen. Er wurde dann gleich fröhlicher, denn es kam ihm vor, als habe er Vater Charlie persönlich getroffen.
Ehrlich gesagt, hatte der Einbeinige Seemann, als er Tilli-Willi für den Kampf gegen die Zauberin Arachna schuf, ein Ungeheuer gebaut. Er hatte dem Eisernen Ritter ein ungewöhnlich bösartiges Antlitz gegeben, wie es nur der kleine Gott von der Kuru-Kussu-Insel besaß. Doch wenn der Riese auch schreckliche Hauer aufwies und seine Augen fürchterlich schielten, so besaß er ein freundliches Lächeln und blickte ganz und gar nicht feindlich. Der Riese hatte ein gütiges Herz, weshalb ihn keiner fürchtete. Er
trieb Späße mit den kleinen Kindern, ließ sie auf seinen Schultern reiten, und sie quietschten vor Vergnügen. Die Kinder liebten Tilli-Willi und beachteten deshalb nicht seine riesigen weißen Hauer, so wie man bei Angehörigen und Freunden, bei allen, die man gern hat, über manche äußeren Mängel hinwegsieht. Tilli-Willi betrachtete die Ratsmitglieder freundlich durch das offene Fenster. Am meisten erschreckte alle die Nachricht vom Tode der Vögel durch einen einzigen Feuerstrahl, der lautlos aus einer Stablampe gekommen war. Das war ein unerklärliches Phänomen, von dem bislang keiner gehört hatte. Der Scheuch sprach
„Mit den Besitzern dieser schrecklichen Waffe müssen wir ganz besonders vorsichtig sein."
Der Eiserne Holzfäller fragte:
„Was ist bloß geschehen? Woher kommen diese Leute?"
„Gelbes Feuer, das heult", krächzte Kaggi-Karr. Der Gebieter winkte ab „Wartet, wartet mal!" Er begann in seiner geliebten Enzyklopädie zu blättern: „Meteor, Kugel, Feuer, Heulen, Donner". Halblaut las er die Stichwörter.
„Vielleicht sind sie zufällig herbeigeflogen wie seinerzeit Elli mit ihrem Häuschen? Vielleicht hat sie ein Sturmwind hierher geweht?" mutmaßte der Eiserne Holzfäller.
„Sturmwind, Haus", las der Scheuch. Er sah unter den Worten „Vulkan" und „Erdbeben" nach. Dann schüttelte er den Kopf „Nein, das paßt alles nicht."
Der Torhüter hatte eine Idee: „Man müßte sich diese Maschine mit aller Vorsicht genauer ansehen."
„Das will ich gerade tun", erwiderte der Scheuch gewichtig und ging zu dem Zauberkasten, dem Fernseher, den ihm einstmals die Fee Stella geschenkt hatte. „Ich glaube, dieser Kasten wird uns jetzt den größten Dienst erweisen." Das Fernsehgerät stand im Thronsaal auf einem besonderen Tischchen, rechts und links von ihm waren auf Borden die Bücher angeordnet.
„Birelija-turelija, buridakl-furidakl, es röte sich der Himmel, es grüne das Gras. Kästchen, Kästchen, zeig uns das: Was geht an Hurrikaps Schloß vor?" Der Bildschirm leuchtete auf. Vor den verblüfften Zuschauern erschienen die Fremdlinge. Sie sahen genauso aus, wie die Lerche gemeldet hatte. Mit überheblichen Gesichtern schritten sie auf und ab und erteilten mit scharfen Stimmen den sich untertänigst vor ihnen verneigenden Menschen mit sympathischen Gesichtszügen Anordnungen. Die Versammelten hätten gern die Unterhaltung der Fremdlinge belauscht, doch sie unterhielten sich in einer fremden Sprache. Der Scheuch und seine Freunde bemerkten auf dem Bildschirm ein buntes durchsichtiges Netz. Als sie es genauer betrachteten, erkannten sie unter dem Netz ein dunkles Ungetüm mit einer runden Tür an der Seite, zu der eine lange Treppe führte. Faramant wollte wissen:
„Wie ist dieses Ungetüm bloß in unser Land gekommen? Auf keinen Fall vom Himmel. Vom Himmel konnte es nicht fallen", fügte er überzeugt hinzu, „dazu ist es zu schwer." „Was ist dann aber geflogen und hat so laut geheult?" fragte Din Gior. „Laßt mich nachdenken", bat der Scheuch, „ich werde dieses Rätsel lösen." Der Scheuch begann gründlich zu überlegen, und wieder traten durch diese Anstrengung die Nähnadeln und die Stecknadeln aus seinem Kopf; in solchen Augen-blicken zeichnete sich der weise Gebieter durch eine ungewöhnliche Klarsicht aus. Nach langem Sinnen sagte der Scheuch:
„Ein seltsamer Gegenstand. Es ist kein Wagen, denn ihm fehlen die Räder. Es ist kein Boot, denn in der Nähe von Hurrikaps Schloß gibt es keinen Fluß. Es ist kein Meteor, denn der fliegt, heult aber nicht. Ich glaube, es ist ein fliegendes Schiff. Mit ihm sind diese seltsamen Leute hier gelandet!"
„Ruhm dem Dreimalweisen Scheuch! Ich schwöre bei allen Sturmwinden der südlichen Meere!" sprach TilliWilli ganz leise, doch das genügte, damit alle Glasscheiben in den Schloßsälen klirrten. Keiner wunderte sich, aus dem Munde des Eisernen Buben das Seemannswort, das in dieser Zaubergegend so ungewöhnlich war, zu vernehmen. Tilli-Willi hatte zwar niemals das Meer gesehen, aber er hatte die Aussprüche von seinem Schöpfer, dem Seemann, gehört, damals, als der Einbeinige Charlie das Ungetüm baute. Sie hatten sich in Tilli-Willis Riesenkopf festgesetzt, und er benutzte sie des öfteren. „Ich schwöre bei allen Zauberinnen und Hexen! Maste und Segel! Wind und Wellen! Möge mein Schiff im ersten Sturm zerschellen! Treffe mich der Donner!", kam es stets von den Lippen des Eisernen Ritters, sobald er seinen Mund öffnete. Der Scheuch fuhr fort: