Der Weber sagte:
„Koch uns ein Hühnchen, Elvina, wir haben ja so viele." Elvina entgegnete:
„Es ist noch zu früh, sie zu schlachten. Sie sind doch so klein."
Wenn Ilsor wenigstens etwas von ihrer Unterhaltung verstanden hätte! Die Worte, die er vernahm, erschienen ihm nur wie leises Murmeln. Ähnlich empfanden die Vögel die Unterhaltungen der Außerirdischen. Der Anführer der Arsaken erkannte, was für eine hohe Barriere zwischen ihm und den Erdbewohnern aufragte. Wie soll man sich ohne Kenntnis der fremden Sprache miteinander verständigen? Heute nun verließ Ilsor das Schloß in einer anderen Richtung. Er ging zu den Weltumspannenden Bergen und gelangte zu Urfins Wohnstatt. Auch hier verstand er kein Wort von der Unterhaltung, die der Erdbewohner mit einer Eule führte. Doch er machte dafür eine andere erstaunliche Entdeckung: Der Erdbewohner und die Eule sprachen miteinander!
Verwundert überlegte der Anführer der Arsaken: Ob das ein abgerichteter Vogel war? Doch er schien nicht wie ein Papagei auswendig gelernte Wörter nachzuplappern. Der Vogel sprach. Der Vogel dachte also.
Tilli-Willi hatte inzwischen die Schlucht der Zwerge erreicht, die nach dem Tod der Zauberin Arachna als freie Menschen im Zauberland lebten. Ihre einzige Pflicht, die sie als angenehm empfanden, war, im Auftrag des Scheuchs die Chronik zu führen. Der Eiserne Ritter streckte sich in seiner ganzen Länge auf dem Erdboden aus. Er war zwar schwer, doch die Federn, die ihm der Seemann Charlie und die Meister aus dem Volke der Zwinkerer eingezogen hatten, funktionierten tadellos, Tilli-Willi konnte sich ohne Schwierigkeiten rasch hinlegen und genauso rasch wieder aufstehen, und keine Feder quietschte dabei.
So leise, wie er nur konnte, rief der Eiserne Ritter nach dem ältesten der Chronikschreiber:
„He, Kastaglio! Alter Freund! Donner und Blitz! Zwerge! Kommt aus eurer Höhle! Ich muß mit euch reden, freß mich der Hai!"
Die Zwerge ließen nicht auf sich warten. Sie umringten den Riesen, dessen Augen so gefährlich hin und her rollten, von allen Seiten. Tilli-Willi sprach zu den Zwergen
„Man erwartet von euch in der Smaragdenstadt einen wichtigen Dienst. Der Scheuch hält euch für die besten Kundschafter. Ihr sollt die Wahrheit über die Fremdlinge herausfinden."
„Der Wunsch des Dreimalweisen Scheuchs ist uns Befehl", ließ sich Kastaglio vernehmen. „Wir erfüllen diesen Auftrag aus freien Stücken. Wie können wir abseits stehen, wenn der Smaragdenstadt Gefahr droht?"
Im Handumdrehen waren die Gnome bereit. Sie nahmen keine Rucksäcke mit Kleidern und Fallen mit sich, um Hasen zu erlegen. Das alles würden sie kaum gebrauchen können. Sie wollten schließlich nicht auf Wanderung gehen, sondern sollten einen besonders wichtigen Auftrag erfüllen. Alles, was ihnen bei so einem Kundschafterdienst hinderlich sein konnte, mußten sie also daheim lassen. Sie beschlossen sogar, ihre Kleider unterwegs in den Bächen zu waschen. Selbst in friedlichen Zeiten ernähren sich die Zwerge bekanntlich am liebsten von Nüssen und Beeren. Die würden sie in den Wäldern sammeln. Nur Zahnbürste und Seife steckten die kleinen Kundschafter ein, denn sie waren sehr eigen. Vor allem aber vergaßen sie nicht, ihre grauen Kapuzenumhänge anzulegen. Wenn sich ein Zwerg von Kopf bis Fuß in so einen Umhang wickelte und sich zusammengerollt in eine Grube legte oder wie ein Pflock am Wegesrand aufragte, war er kaum von einem Schwefelstein zu unterscheiden, wie es sie so viele in den Hainen des Wunderlandes gab. Nicht von ungefähr pflegte Kastaglio zu wiederholen:
„Wir sind einfach unübertrefflich in der Tarnung." Mehrere hundert Zwerge, so viele, wie Platz fanden, kletterten in den mit weichem Moos ausgelegten Korb. Kastaglio hatte wie stets den Befehl übernommen. Der langbeinige Ritter legte in wenigen Minuten die große Entfernung zurück und brachte das scharfäugige Heer in den Wald zum verlassenen Schloß. Die Zwerge zerstreuten sich in alle Richtungen und drangen bald an verschiedenen Stellen auf das Territorium der Außerirdischen vor. Die Fremdlinge wußten es nicht, doch was auch immer die von den Menviten befehligten Arsaken tun mochten - ob sie Startplätze für die Helikopter bauten, Brunnen ausschachteten oder Essen zubereiteten -, überall beobachteten sie fortan aufmerksame Knopfaugen. Die Zwerge lugten aus dem Strauchwerk hinter den Steinen hervor, sie kletterten auf die verschiedensten Aggregate, die aus der „Diavona" ausgeladen wurden. Besonders mutige schlichen sich unter Leitung von Kastaglio sogar in das Raumschiff und untersuchten gründlich die gesamte Ausrüstung, ohne allerdings etwas von der Technik zu verstehen.
Mitunter hörten die Fremdlinge schlurfende Laute in ihrem Lager, doch selbst der aufmerksamste Menvite, der auf Posten stand, dachte bei sich, daß da irgendein Insekt mit den Flügeln surrte oder ein Käfer raschelnd vorüberkroch. Auf einen anderen Gedanken kam keiner.
Die Zwerge schrieben ihre Beobachtungen fein säuberlich auf winzige Papierstückchen nieder. Auch ihre Bleistifte waren winzig klein. Keiner außer den Besitzern hätte sie benutzen können.
Die Meldungen der Zwerge waren für die Vögel sehr leicht zu befördern. Umgehend brachten sie sie in die Smaragdenstadt. Kastaglio wickelte sie nämlich zu kleinen Rollen auf und befestigte sie mit Gräsern an den Pfoten der Spottdrossel, des Seidenschwanzes und des Goldspechtes, die die Botenflüge übernahmen. Doch wäre es sicher sehr schwierig gewesen, die Nachrichten zu entziffern, wenn der Erfinder, Meister Lestar, und Rushero nicht ein Mikroskop aus mehreren Vergrößerungsgläsern und einigen Wassertropfen konstruiert hätten. Der Scheuch hätte sie sonst selbst bei größter Konzentration, wenn alle Nadeln aus seinem Kopf stachen und abstanden wie bei einem Igel, kaum lesen können.
Tilli-Willi fand eine Stelle, wo er sich im tiefsten Wald, weit fort vom Schloß versteckte. Dort hatte Hurrikap in längst vergangenen Zeiten einen Pavillon erbaut, in dem er auf seinen Spaziergängen rastete. Tilli-Willi, der die Depeschen des Scheuchs zustellte, ließ sich nun in diesem Pavillon nieder und beobachtete aufmerksam den Weg, damit ihn kein Außerirdischer, der sich zufällig hierher verirrte, entdecken könnte. Schlimmstenfalls sollte der Ritter den Fremdling gefangennehmen, ihn fesseln und in den Smaragdenpalast bringen. Nach wie vor verfaßten der Feldmarschall oder der Torhüter für den Gebieter die Befehle. Der Scheuch las zwar gut, das Schreiben aber hatte er doch nicht erlernen können. Das passiert mitunter im Zauberland.
Der Scheuch und seine Freunde waren über alles informiert, was sich vor Hurrikaps Schloß abspielte. Nur konnten sie nicht begreifen, weshalb die Außerirdischen ausgerechnet in diese einsame Gegend vorgedrungen waren. Häufig saßen der Scheuch und der Eiserne Holzfäller vor dem Bildschirm des Zauberkastens und beobachteten aufmerksam die arbeitenden und die befehlenden Fremdlinge. Doch das brachte sie keiner Erklärung näher.
Inzwischen hatten die Zwerge die Außerirdischen überall unter Beobachtung gestellt. In den Gesprächen der Fremden wiederholten sich besonders häufig zwei Wörter: Menviten und Arsaken. Der weise Kastaglio brauchte nur wenig Zeit, um herauszufinden, daß die Herren als Menviten und die Sklaven als Arsaken bezeichnet wurden. Oft wiederholte sich auch das Wort Rameria, wobei der Sprechende meist zum Himmel aufschaute. Kastaglio versuchte dem Blick des Außerirdischen zu folgen, sah ebenfalls zum Himmel, und da dies auch des Nachts geschah, erblickte er wiederholt den Mond. Deshalb dachte der weiseste der Zwerge, daß Rameria in der Sprache der Fremdlinge Mond bedeute. Von dort waren sie nach Kastaglios Ansicht zur Erde geflogen.