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DIE ENTFÜHRUNG DES MENTACHO

Es gab eine Zeit, da tief unter dem Wunderland in einer großen Höhle Menschen lebten. Sie hießen Erzgräber, weil sie in den Schächten Metall und Edelsteine abbauten. Man nannte sie auch die Unterirdischen, weil sie im Erdinnern lebten und arbeiteten. Viele Jahrhunderte arbeiteten die Unterirdischen Erzgräber im Schweiße ihres Angesichts, fristeten jedoch ein kärgliches Leben. Sie wurden nämlich von sieben faulen Königen regiert, die selbst nichts taten, dafür aber ein Leben voller Prunk führten und auch ihre ganze Armee von Bediensteten zu Nichtstuern erzogen hatten. Zum Glück für die Erzgräber kamen eines Tages Elli und ihr Cousin Fred in die Höhle, denn sie wurden auf dem Ausflug zu einer Höhle verschüttert und dann von einem unterirdischen Fluß zu den Erzgräbern getragen.

Damals nahm die Macht der sieben Könige ein Ende. Der Weise Scheuch hatte einen klugen Einfall gehabt: Er brachte die Erzgräber auf den Gedanken, den Herrschern Schlafwasser zum Trinken zu reichen. Als sie aus dem Schlaf erwachten, hatten die Könige alles vergessen, so daß man ihnen einreden konnte, sie hätten früher das einfache Leben von Handwerkern geführt: Der eine sei Weber, der andere Hufschmied, der dritte Ackerbauer gewesen...

Die Erzgräber verließen die Höhle und errichteten in der Nachbarschaft der Käuer unter der heißen Sonne des Zauberlandes ihre Dörfer. Sie trieben so wie die anderen Einwohner in Hurrikaps Land Ackerbau. Reihum zogen sie in Brigaden in die Schächte, um Kupfer, Eisen und andere Metalle abzubauen, ohne die kein einziger Staat auszukommen vermag.

Mentacho war einstmals der hochmütigste unterirdische König gewesen, der besonders stolz auf seine hohe Abkunft war. Der ehemalige König, der jetzt Weber war, und seine Frau, die alte Elvina, bewohnten ein kleines schmuckes Häuschen im Dorf der Erzgräber. Sie hatten sich gut eingelebt. Diese beiden nun hatte Ilsor auf seinem Kundschaftergang entdeckt.

Tagsüber arbeitete Mentacho an seinem Webstuhl. Wenn er einmal nichts tat, so sehnte er sich nach dem Klappern, denn er fand, daß es nichts Schöneres gab als den Webstuhl. Abends trat er vor sein Häuschen, um mit den Nachbarn zu schwatzen. Elvina machte sich in der Wirtschaft zu schaffen, arbeitete im Garten und züchtete Hühner und Enten. Beide waren mit ihrem Schicksal zufrieden und hatten völlig vergessen, daß sie einstmals Königsmäntel getragen und Hunderte von Menschen regiert hatten. Eines Morgens, als Mentacho und Elvina beim Frühstück saßen, wurde plötzlich die Haustür aufgerissen. Ein Unbekannter in ledernem Overall trat gebückt in die Stube, denn er war von sehr hohem Wuchs. Er blickte sie mit gebieterischem Auge an; Mentacho und Elvina vermochten es nicht, sich diesem Blick zu widersetzen. Sie hoben die Augen zu dem Unbekannten und blickten ihn starr vor Schreck an. Nicht einmal zu einem Aufschrei reichte ihnen die Kraft.

Der Fremde, es war Mon-So, packte mit einer Hand den an sich nicht kleinen Mentacho, hob mit der anderen Elvina wie ein Federchen in die Luft und schubste beide vor sich her auf die Straße. An der Vortreppe erblickten der Weber und seine Frau eine unbekannte Maschine, doch der Fremde ließ ihnen keine Zeit, sie genauer zu betrachten. Er stieß die alten Leutchen in die Kabine, klappte die Tür zu, und die Maschine stieg in die Lüfte auf. Elvina war zu Tode erschrocken, auch Mentacho war unruhig. Alles Ungewisse schreckte ihn.

Nach einiger Zeit begann Mentacho zu überlegen. Er war früher häufig auf Drachen geflogen, und ihm schien, daß das, was er jetzt mit Elvina erlebte, einem Flug gleiche.

Mentacho redete also begütigend auf seine Frau ein: „Hab keine Angst, Altchen, dieses Ding, dieses Tier, das uns jetzt trägt, ist wahrscheinlich eine Art Drachen. Sein Besitzer wird uns kaum Böses tun. Weshalb sollte er das am Himmel machen? Wir sind einfach gefangen genommen, wenngleich ich nicht recht verstehe, wozu man uns brauchen sollte."

Die Worte ihres Mannes beruhigten Elvina ein wenig. Verstohlen blickte die Alte sogar aus dem Fenster, auf Felder und Wälder, die undeutlich unter ihnen in der Tiefe dahin glitten.

Sie flogen eine Stunde oder etwas länger, jedenfalls gelangte der Helikopter, den Mon-So lenkte, nach Ranavir.

Die Maschine glitt langsam zur Erde, und Mentacho erblickte ein Schloß. Das konnte nur die Wohnstatt von Hurrikap sein, wo sich die Außerirdischen niedergelassen hatten. Mentacho und Elvina wurden in das Arbeitszimmer des Generals geführt. Ein Lichtstrahl, der durch die rosa Glasscheiben fiel, erhellte die schlanke Gestalt des Menviten und glitt über seine gold- und silbergestickten Orden. Vielleicht erschien Mentacho und Elvina der Außerirdische aus diesem Grunde so strahlend. Es kam ihnen vor, als ginge von seinem Antlitz, seinem Haar und seinem Bart ein ganz besonderes Leuchten aus. Der Flieger meldete:

„Unternehmen erfolgreich abgeschlossen, mein General." „Schon gut, Mon-So, führe sie näher heran."

Als die Gefangenen näher traten, wurde Baan-Nu unsicher. Er hegte sogar den Verdacht, daß man ihm keine gefangenen Bellioren vorführte, sondern verkleidete Arsaken. Sie waren nur von anderer Hautfarbe, glichen sonst aber den Sklaven der Menviten wie Brüder.

Doch ein Fehler war ausgeschlossen. Den Auftrag hatte der getreue Mon-So ausgeführt. Die verblüffende Ähnlichkeit von Bellioren und Arsaken verwirrte den General allerdings.

Mentacho fühlte den aufmerksamen Blick von Baan-Nu auf sich gerichtet, fürchtete jedoch, ihn anzublicken. Aber er wußte: Man muß der Gefahr ins Auge blicken, nur dann wird sie weniger gefährlich. Mit großer Überwindung hob er also den Kopf. Das war Mentachos entscheidender Fehler, lag doch die größte Gefahr für alle Geschöpfe im Blick der Menviten. Nun vermochte der Weber nicht mehr seine Augen vom Gesicht des Generals abzuwenden. Eine geheimnisvolle Kraft schien ihn zu fesseln, und entgegen seinem eigenen Willen blickte er den Außerirdischen an, als erwarte er einen Befehl, den auszuführen er sofort bereit war.

Mentacho dachte: Was ist nur mit mir, warum wird mir so seltsam? Ich scheine nicht mehr zu sehen und zu hören. Und es ist, als versage mein Wille. Ich scheine gar einzuschlafen. Bei diesem Gedanken mußte er tatsächlich gähnen. Das geht doch nicht, das geht ja einfach nicht, dachte Mentacho und kämpfte mit letzter Kraft gegen den Schlaf an, der ihn zu übermannen drohte.

Doch der Menvite hatte gar nicht daran gedacht, dem Weber Befehle zu erteilen. Er überlegte, und sein nachdenklicher Blick blieb zufällig auf Mentachos Gesicht haften. Der General grübelte noch immer über die verblüffende Ähnlichkeit zwischen den Arsaken und seinen Gefangenen hier nach. Ob ihre Vorfahren in fernen Zeiten vielleicht von einem Planeten zum anderen übergesiedelt waren?

Endlich riß sich Baan-Nu zusammen: Ich muß anfangen zu handeln, dachte er. Wir müssen die Erdenbürger so rasch wie möglich unterwerfen. Sonst erkennen die Arsaken in ihnen am Ende Verwandte und schlagen sich auf ihre Seite! Aber das dürfte eigentlich ausgeschlossen sein. Die Arsaken sind schließlich unsere Sklaven und äußerst gehorsam. Das Gesicht des Generals verfinsterte sich. Eiskalt befahl er Mon-So, die Gefangenen abzuführen. Mentacho und Elvina wurden in einen Raum gesperrt, der aussah wie ein Schuppen. Hier lagen Einzelteile von einer Maschine herum, und die beiden Alten seufzten leise vor sich hin und grübelten darüber nach, welches Los sie erwartete.