Tim nickte zu allen Ermahnungen. Ein einziger Wunsch beseelte ihn, so schnell wie möglich fortzukommen. Zum Abschluß riet ihm Fred:
„Wenn sich keine Gelegenheit zu Anns Befreiung bietet, warte lieber ab." Da preßte der Knabe so eigensinnig die Lippen aufeinander, daß man sofort wußte, diese Anweisung Freds würde er auf keinen Fall befolgen. Im stillen hatte Tim schon lange beschlossen, daß, falls Fred ihn nicht ziehen lassen würde, er sich unsichtbar machen und aus der Stadt verschwinden würde. Schließlich trug er ja den Zauberreif auf dem Kopf.
„Ich fürchte, daß du bloß Unheil anrichten wirst!" Fred war beim Abschied sehr besorgt. Endlich saß Tim in der Kabine von Tilli-Willi, und der Riese brachte ihn schnurstracks ins Tal von Hurrikap. Unterwegs fragte der Eiserne Ritter den Jungen immerfort nach Charlie Black. Tim hatte den Einbeinigen Seemann nur selten in Kansas gesehen. Doch da er den Riesen nicht betrüben wollte, dachte er sich unglaublich viele Geschichten über Charlies angebliche Heldentaten in der Großen Welt aus. Wollte man seinen
Worten trauen, so wimmelte es dort von Zauberern und Hexen. Der gutgläubige Riese äußerte seine Begeisterung so lauthals, daß seine dröhnende Stimme viele Meilen im Umkreis zu hören war. Nur gut, daß sie unterwegs kein Helikopter der Außerirdischen bemerkte.
Der Eiserne Ritter versteckte sich im Pavillon von Hurrikap, während Tim, der den Rubinknopf gedreht hatte, sich unsichtbar machte und mutig auf Ranavir zuschritt. Der Älteste der Zwerge, Kastaglio, der die folgenden Tage im Lager der Außerirdischen beschrieb, bezeichnete sie als eine irrsinnige Zeit.
Alles begann damit, daß eine eiserne Tonne mit Brennstoff, die auf einem Hügel unweit der Startplätze stand, plötzlich eine Arbeitsbühne abwärts kollerte. Sie rollte so schnell hinab, daß Flieger und Ingenieure nur mit knapper Not im letzten Augenblick zur Seite springen konnten. Zu allem Übel schlug die Tonne auf den Helikopter von Baan-Nu auf, den der General noch kein einziges Mal benutzt hatte, und zerschmetterte ihn. Es war der beste, luxuriöseste und schnellste Helikopter der Staffel gewesen. Der General eilte persönlich zum Unglücksort. Doch als er am Brunnen vorbeiging, richtete sich urplötzlich der Schlauch auf. Ein kalter Wasserstrahl schlug Baan-Nu gegen Brust und Gesicht. Die neue Paradeuniform des Generals, die nach dem Überfall der Feldmäuse aus dem Reserveteil der „Diavona" geholt worden war, war bis auf den letzten Faden durchnäßt.
Der General wollte etwas sagen, doch immer, wenn er den Mund öffnete, schlug ihm der Wasserstrahl direkt in den Mund, und er japste nach Luft. Wenn der Strahl auf die Erde schlug, zerstob er in kleinste Wasserspritzer, die lustig in allen Regenbogenfarben glitzerten.
Die Rettung kam in Gestalt Ilsors. Er sprang unter den Wasserstrahl und packte den Schlauch, der sich wie eine Schlange wand. Der Anführer der Arsaken hätte schwören mögen, daß im selben Augenblick eine unsichtbare Hand vom Schlauch glitt. Auch glaubte er leise Schritte zu vernehmen, die sich eilends entfernten. Ilsor drehte den Hahn zu und führte den durchnäßten General ins Schloß, um ihm beim Umkleiden behilflich zu sein.
Baan-Nu war außer sich vor Zorn. Doch er wäre wohl vollends vor brennender Scham vergangen, wenn er gewußt hätte, daß der Scheuch in seinem Schloß die ganze Szene von Anfang bis Ende beobachtet hatte.
„Dieser Tim! So ein Prachtkerl!" rief Faramant und klatschte begeistert in die Hände. „Der hat ihm ja ein herrliches Bad gerichtet!"
Der Scheuch sagte mit wichtiger Miene: „Ein au-ßer-or-dent-li-cher Anblick!" Cunning murmelte nervös
„Ich fürchte, daß er Unheil anrichtet!"
Allmählich schien im Lager der Außerirdischen wieder Ruhe einzutreten. Eine Straßenreinigungsmaschine schüttete die riesige Pfütze am Brunnen, wo der General sein unfreiwilliges Bad genommen hatte, mit Sand zu. Doch unvermittelt geriet wieder ganz Ranavir in Aufregung.
Der Schuldige an dem neuen Durcheinander war Baan-Nu persönlich. Bei Gefahr war im Lager ein Signal für Gefechtsalarm vorgesehen. Die Geheimtaste befand sich im Arbeitszimmer des Generals.
Der wieder trockene, aber noch immer zerzauste General, der sich frische Shorts angezogen hatte, beschloß aus unerfindlichen Gründen festzustellen, ob seine Untergebenen zur Abwehr eines unerwarteten Angriffs der Erdbewohner bereit seien...
Wieder wurden die Ramerier aufgeschreckt. Jeder rannte zu seinem vorgeschriebenen Standort. Die Menviten schleppten Feuerlöscher herbei, knipsten an ihren Strahlpistolen, um zu überprüfen, ob sie funktionierten. Die Wachsoldaten aus der Abteilung zur besonderen Verwendung verschlossen die Einstiegsluke des Sternschiffs und zogen wie drohende Standbilder auf Posten.
Tag und Nacht rannten die Ramerier hin und her, um alle Befehle zur Zufriedenheit des Generals zu erfüllen, doch am Morgen erwarteten sie neue Überraschungen. Die Tische und Stühle in dem Raum, in dem die Menviten ihre Mahlzeiten einnahmen, waren zu einer Pyramide gestapelt, deren Spitze an die Decke stieß. Aus dem Zelt der Sklaven waren alle Stiefel auf die Waldwiese gewandert und hatten sich im Kreis angeordnet, als wollten sie einen fröhlichen Reigen eröffnen.
Lachend suchten die Arsaken ihr Schuhzeug zusammen: Da hatte jemand mit ihnen seinen Scherz getrieben, aber er wollte ihnen nichts Böses antun. Auf den Startplätzen hatte man nachts ein Knarren und Knipsen vernommen, doch die Wachsoldaten hatten nichts bemerkt. Dennoch fehlten auf den Armaturenbrettern der Helikopter wichtige Details ...
Baan-Nu befahl, Mentacho vorzuführen. Wütend starrte er ihn an und sagte: „Erdbewohner, erkläre mir den Grund für diese eigenartigen Vorkommnisse." Mentacho bewahrte die Fassung. Ilsor hatte ihm schon den Auftrag des Scheuchs ausgerichtet.
„Was tun, Herr- General! In diesem Jahr haben die Wahnsinnstage früher als gewöhnlich begonnen. Ich konnte Sie nicht rechtzeitig darauf hinweisen!" Schuldbewußt ließ er den Kopf hängen. „Was für Wahnsinnstage?" fragte der General finster.
„Die Wahnsinnstage der Dinge, Herr General! Die haben wir hier in Goodwinien alljährlich. Wir sind schon daran gewöhnt und halten Augen und Ohren offen." „Was heißt, Augen und Ohren offenhalten?"
„Das bedeutet, daß man aufpassen muß, wenn man mit den Dingen zu tun hat. Sie hören auf, sich uns zu fügen und versuchen den Menschen üble Streiche zu spielen. Der Spaten schlägt den Bauern gegen die Stirn, das Geschirr fällt vom Tisch, und die Zäune rund um die Häuser wandern in den Wald..."
„Ihr lebt doch wirklich in einem unzivilisierten Land." Der General schüttelte den Kopf. „Und wie lange dauern diese Wahnsinnstage?"
„Meist ein oder zwei Tage, selten länger. Ich vermute, daß sich die Dinge schon beruhigt haben, General. Es wird alles wieder ruhig und friedlich werden", erklärte der Weber.
Der General entließ Mentacho und dachte lange darüber nach, wieviel Seltsames und Unverständliches es doch auf der Erde gab, Dinge, die niemals auf Rameria geschehen könnten.
Nach den seltsamen Ereignissen in Ranavir waren die Außerirdischen mehr auf der Hut als zuvor. Vorsichtig betrachteten sie alle Gegenstände, denn sie erwarteten von ihnen neue böse Streiche. Wenn sie eine Tür öffneten, glitten sie schnell über die Schwelle, denn sie fürchteten, sie würde ihnen an die Stirn oder an den Hinterkopf schlagen. Diesmal glaubte der General jedoch nicht Mentachos Geschwätz und befahl sicherheitshalber, die Wachposten an den Durchgängen zu verdoppeln und Patrouillen aufzustellen, die stündlich das Territorium des Lagers durchkämmen sollten. Tim geriet dadurch in Schwierigkeiten, und er bedauerte aufrichtig, daß er bei den Versuchen, den Fremdlingen Unannehmlichkeiten zu bereiten, übereifrig gewesen war. Sonst hätte er Ann ungestört entführen können. Jetzt, da die Menviten argwöhnisch geworden waren, wurde das schwieriger. Tim gab die Hoffnung jedoch nicht auf. Hinter einem Holzstoß verborgen, beobachtete er ununterbrochen das Blaue Häuschen. Endlich wurde sein Warten belohnt!