Allein zu leben war für ihn genauso selbstverständlich wie essen und trinken. Nach wie vor wollte er nicht anderen Menschen gleichen und trug deshalb Kleider von anderer Farbe: keine blauen und keine violetten, sondern grüne. Er tat das nicht aus böser Absicht, er hatte einfach einen ungeselligen Charakter. Seine einzige Gesellschafterin war die Eule Guamokolatokint, mit der er täglich ein paar Worte wechselte.
„Na, liebe Freundin Guakomo", pflegte Urfin des morgens zu fragen, „sind auf den Schwingen der Elstern neue Nachrichten eingetroffen?"
Und gemächlich diskutierten sie alle Neuigkeiten, die die kluge Eule von anderen Vögeln erfahren hatte. Guamokolatokint erzählte beispielsweise:
„Der Eiserne Holzfäller hat dem Dreimalweisen Scheuch einen Besuch abgestattet. Der Tapfere Löwe ist auch unterwegs. Aber er ist schon alt. Er kommt auf seinen müden Tatzen nur langsam voran und muß häufig rasten."
„Und was macht unser Dreimalweiser?" wollte Urfin wissen.
„Der hat sich wieder etwas ausgedacht. Will irgendeine Bibliothek einrichten und liest ernsthafte Bücher." „Das ist seine Sache", seufzte Urfin.
Urfin war stets ein geschickter Tischler gewesen. Es hatte zwar Zeiten gegeben, das läßt sich nicht bestreiten, als die Tische, Stühle und anderen Gegenstände, die er aus Holz fertigte, den griesgrämigen Charakter ihres Meisters annahmen und es darauf abgesehen hatten, die Käufer zu stoßen oder zu treten. Kurz, sie bereiteten den Menschen Ungemach. Deshalb kaufte keiner mehr diese widerspenstigen Gegenstände, und Urin mußte sich wohl oder übel auf die Gemüsezucht verlegen. Wovon hätte er sich sonst ernähren sollen?
Urfin wurde also Gärtner, er arbeitete flink, aber irgendwie lustlos. Die Arbeit machte ihm keine Freude. Doch dann begann Urfin über sich und seine Taten nachzudenken und war miteins wie neugeboren. Rundum schien sich alles zu verändern. Seltsame Dinge trugen sich zu. Ihm ging alles so hurtig von der Hand, daß es ihn selbst erstaunte. Er renovierte ein kleines Häuschen im Tal und strich es mit den lustigen Farben, die sich in seiner Wirtschaft fanden. Er fühlte direkt, wie die Gärtnerei begann, ihm Spaß zu machen.
Von dem Tage an, da ihm der Scheuch angeboten hatte, in die Smaragdenstadt zu ziehen, wußte er, daß die Einwohner des Zauberlandes ihm nicht mehr zürnten. Da erwachte in ihm der Wunsch, ständig etwas für sie zu erfinden. Mut und Geduld besaß Urfin reichlich, so daß er in seinem Anwesen so ungewöhnliche Früchte züchtete, daß selbst die Eule Guakomo, die anfangs Urfins Unternehmungen mißtrauisch betrachtet hatte, von grenzenloser Hochachtung zu ihm erfaßt wurde. „So ein Wunder!" krächzte sie und spreizte die Flügel. „Unglaublich! Du scheinst immer noch zaubern zu können!"
In Urfins Garten gediehen goldene Mohrrüben, blaue Gurken, dunkelrot leuchtende Pflaumen, die an Granatfrüchte erinnerten, und Äpfel, sonnenfarben wie reife Apfelsinen. Die Früchte sahen herrlich aus. Aber sie prangten nicht nur in leuchtenden Farben, sondern waren auch außergewöhnlich süß, groß und schmackhaft. Urfin hatte es wohl nicht von ungefähr zur Gärtnerei gezogen. Es machte ihm Spaß, Obst und Gemüse für andere zu züchten, und so gelang ihm auch alles. Wenn die herrlichen Früchte reiften, lud sie Urfin auf einen Schubkarren und brachte sie in die Smaragdenstadt.
Dort fand ein richtiges Schmausefest statt. Alle, die es sich einrichten konnten, kamen aus allen Enden und Ekken des Zauberlandes zu Gast.
Urfin wollte keinen kränken, sondern alle Einwohner und Gäste reichlich beschenken. So belud er immer wieder seinen Schubkarren mit Früchten und eilte mehrmals in die Stadt. Der Weg war jedoch weit und beschwerlich. Da schickten die Einwohner des Zauberlandes Urfin einen hölzernen Läufer zu Hilfe. Der wurde niemals müde und beförderte Urfins Gaben mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit in die Stadt. Urfin erntete beizeiten Obst und Gemüse, wusch alles im klaren Quellwasser, und die liebe Sonne trocknete es im Handumdrehen. Dann sortierte er die Früchte sorgfältig im Schubkarren. Die Einwohner der Smaragdenstadt wiederum ließen den Gärtner erst heimziehen, wenn er einen ganzen Berg Piroggen verzehrt hatte, schmackhaft, wie sie allein die Einwohnerinnen der wunderbaren Stadt zu bakken verstanden.
Diese Schmausefeste fanden alljährlich statt, und jedermann erwartete sie voll Ungeduld, wie man auf seinen Geburtstag wartet. Denn so herrlich das Leben im Zauberland auch sein mochte, glich dennoch ein Tag dem anderen. Morgens stieg die Sonne am Himmel auf und versank, wenn die täglichen Wunder vollbracht waren, am Abend wieder hinter den Bergen.
Unmittelbar vor Beginn des Schmausefestes trug sich folgendes zu. Das Fest war wie stets unbemerkt herangekommen und dauerte einige Tage, damit alle in die Smaragdenstadt zurecht kämen und der Gärtner genügend Zeit hätte, das Obst und Gemüse heranzuschaffen. In diesem Jahr fiel die Ernte besonders reich aus, so daß Urfin fürchtete, nicht alles bis zum Beginn des Festes in die Smaragdenstadt befördern zu können. Vor dem Palast des Scheuchs wurden in langen Reihen Tische aufgestellt, die die Einwohner, aus ihren Häusern herbeischleppten.
Urin und der hölzerne Läufer, der ihm eifrig zur Hand ging, liefen rastlos zischen den Weltumspannenden Bergen und der Smaragdenstadt hin und her.
Als sie mit vollen Schubkarren durch das Land der Käuer kamen, verbreitete sich ein herrlicher Duft von sonnengereiften Früchten. Wie hätten die Käuer da das prächtige Obst und Gemüse im Schubkarren ruhig ansehen können?
Sie lehnten sich fast bis zum Bauch aus den runden Fenstern ihrer Häuser. Daß sie nicht hinausfielen, lag einfach daran, daß sie sich mit den Beinen an den Fensterbrettern festklammerten. Außer sich vor Begeisterung unterhielten sie sich miteinander.
„Ei-ei-ei", sagte ein Käuer, „wieder diese blauen Gurken. Hervorragend!"
„Ach was, die Gurken! Die gelben Nüsse sind ein Wunder! Ich hab's selbst gesehen, es war eine ganze Fuhre!" rief ein anderer. „Mir läuft schon jetzt das Wasser im Munde zusammen."
Ein zartes Frauenstimmchen mischte sich ein:
„Und ich liebe die Äpfel und die Apfelsinen. Die Äpfel von unserem Urfin leuchten wie Apfelsinensonnen. Und die Apfelsinen sind rotbackig wie Äpfel."
„Ach werd' ich mich diesmal vollschlagen", verkündete ein Käuerknabe mit heller Stimme.
Bergeweis häuften sich die prachtvollen duftenden Früchte auf den Tischen der Smaragdenstadt. Doch in Urfins Garten schienen sie nicht weniger zu werden. Die Käuer bürsteten sorgfältig ihre Anzüge und verzierten sie mit festlichen Kragen, die Frauen zogen Röcke an, die an Glockenblumen erinnerten, und nähten sich neue Glöcklein an ihre Hüte. Kurz, man rüstete sich zum Schmausefest, als ginge es zu einem Ball. Auch in allen anderen Gegenden des Zauberlandes liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren.
Ein kleines Mädchen prahlte:
„Ich werde die allerschönste sein. Meine Mutter hat gesagt, daß ich einen hübschen neuen Spitzenkragen bekomme."
„Nein, der Allerschönste bin ich", widersprach ein Käuer. „Die Glocken an meinem Hut glänzen ganz besonders strahlend. Und wie sie läuten! Ich kann das ganze Fest über zu meiner eigenen Melodie tanzen. Ich brauche keine andere Musik." Ein dritter Käuer meinte besorgt:
„Ich muß noch meinen Hut fertig nähen. Wenn ich es bloß schaffe."