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«Ursula«, sagte Schwabe dumpf.

«— deine Ursula wird nie wissen, wie du vorher ausgesehen hast, wie jetzt zum Beispiel. Braucht sie ja auch gar nicht zu wissen, was? Ist reine Männersache!«

Erich Schwabe nickte.

«Laß deine Mutter kommen. «Fritz Adam legte den Arm um Schwa-bes Schulter.»Wir alle haben das so gemacht. Mütter sind da anders, Erich, weißt du. Die sehen nur, daß du noch lebst, ob ganz oder halb, das ist egal. Ihr Kind lebt, sie können es anfassen, streicheln, liebkosen, sprechen, sehen, hören… da gibt es nichts anderes auf der Welt, was schöner wäre. Daß wir etwas anders aussehen… mein Gott, das ist ein Jammer, gewiß… aber wir leben… ihr Kind lebt. Mehr wollen die Mütter nicht vom Krieg.«

«Glaubst du?«fragte Schwabe leise.

«Bestimmt. Wir haben es doch alle erlebt. Sogar der Feininger hat seine Mutter kommen lassen und nicht seine Resi. Und was hat die alte Feiningerin gesagt: Der halbe Kopf ist weg? Ist nicht schade drum… war doch nie viel drin!«

Erich Schwabe lächelte. Man sah es nur an den blanken Augen und dem Flattern der Lider.

«Ich danke dir, Adam«, sagte er.»Bist ein prima Kerl.«

Am Abend schrieb er an seine Mutter. Sie solle kommen, aber ohne Ursula. Zuerst allein.»Ich bin am Gesicht verletzt«, schrieb er.»Nicht schlimm, Muttchen, aber erst sollst Du es sehen und mir sagen, ob ich Ursel so empfangen kann. Ich möchte sie nicht erschrecken.«

Bei der Visite sah Dr. Lisa Mainetti erstaunt in den Mund Schwa-bes. Neben der Klammer war ein Riß in dem Transplantat, aus dem frisches Blut gesickert war und sich an den Gaumenwänden verkrustet hatte.

«Was ist hier passiert?«rief sie und sah die anderen, die an ihren Betten standen, streng an.»Was ist mit Schwabe geschehen!«

«Die Folge eines Besuches von Herrn Oberarzt Dr. Urban, Frau Doktor. «Fritz Adam meldete es mit dienstlich knapper Sprache.

«Danke!«Lisa Mainetti lächelte Schwabe zu. Es war ein mühsames, verkrampftes Lächeln.

Zwanzig Minuten später rannte Professor Rusch über den Gang zum Zimmer Dr. Mainettis. Durch die Tür hörte er ihre Stimme. Sie schrie, daß man jedes Wort auf dem Flur verstand.

«Tragen Sie die Verantwortung für meine Patienten? Sie, der Sie nicht einmal einen Blinddarm herausnehmen können! Wenn Sie sich noch einmal um meine Station kümmern, werde ich den Herrn Generalarzt darüber aufklären, welch ein Stümper Sie sind und daß sich Ihre ärztliche Tätigkeit darin erschöpft, den jungen Schwestern in die Blusenausschnitte zu greifen!«

Bevor der Professor die Tür aufreißen konnte, wurde sie von innen aufgestoßen. Dr. Urban rannte mit verzerrtem Gesicht aus dem Zimmer.

Dr. Lisa Mainetti stand bebend und hochrot neben dem kargen Feldbett, das außer Schrank, Tisch, zwei Stühlen, einem rohen Bücherregal und einem Schaukelstuhl — welch ein Luxus! — zur primitiven Einrichtung des Arztzimmers gehörte.

«Bist du verrückt geworden?«fragte Professor Rusch laut, während er eintrat.

«Er hat dich und mich Saboteure des Endsieges genannt. Da konnte ich einfach nicht mehr! So ein Schwein, so ein erbärmliches Schwein.«

«Und wenn er uns tatsächlich hinhängt? Was haben wir davon? Lisa, denk an unsere Verwundeten. Sie brauchen uns als Ärzte, nicht als Gegner einer zusammenbrechenden Ideologie!«

«Er wird uns nicht melden«, sagte Lisa Mainetti schwach.

«Bist du dessen so sicher?«

«Ganz sicher.«

«Wieso denn?«

«Er ist Morphinist.«, sagte Lisa.»Er stiehlt es im OP. Ich habe ihn dabei überrascht.«

Frau Hedwig Schwabe wohnte im Keller des Hauses Horst-WesselStraße 4. Es war einmal ein schönes, stattliches Haus gewesen, mit einer verzierten Sandsteinfassade, hohen Fenstern und einem ausgebauten Schieferdach. Der Glasermeister Schwabe hatte es 1928 gebaut, zwei Stockwerke vermietet und selbst die untere Etage bewohnt. Ein gutbürgerliches, gepflegtes, solides Haus mit guten Kellern, die man damals baute, ohne zu ahnen, daß sie einmal das Leben retten könnten.

Im Sommer 1944 gab es dann von diesem Haus Horst-WesselStraße 4 nur noch eine halbe Fassade, hinter der ein riesiger Trümmerberg lag, der zwei Wochen lang noch brannte und schwelte. Die massiven Keller hatten standgehalten, und hier wohnte nun die Witwe Hedwig Schwabe in zwei wohnlich hergerichteten Räumen, bahnte sich jeden Morgen durch die Trümmer ihren Weg zu den Ausgabestellen für Brot, Milch und Margarine und besuchte ihre Schwiegertochter Ursula, die zwei Häuserblocks weiter ebenfalls in einem Kellerraum hauste und die wenigen Habseligkeiten Erich Schwabes bewachte, die man hatte retten können. Eine Briefmarkensammlung war darunter, ein Erbstück vom alten Glasermeister. Niemand wußte, was die bunten Papierchen wert waren.»Wenn's kracht, mußt du die Sammlung als erstes retten!«hatte Erich Schwabe gesagt, bevor er wieder nach Rußland fuhr.»Kann sein, daß wir sie noch einmal brauchen.«

An diesem Vormittag war Frau Hedwig Schwabe in einen großen Zwiespalt geraten. Erich hatte geschrieben! Endlich wußte man genau, wie er verwundet war. Im Gesicht, schrieb er. Nur ein paar Schrammen. Frau Schwabe las diese Zeilen immer wieder durch, und sie war glücklich und fast atemlos vor Freude, daß es nur ein paar Schrammen waren. Die verheilen schnell, dachte sie, als sie den Brief wieder in den Umschlag steckte. Wie oft ist der Erich als Junge hingefallen, einmal — er war, sie dachte angestrengt nach, ja, er war neun Jahre alt — war er mit dem Roller gestürzt und hatte sich die Stirn und die Nase aufgeschabt. Schlimm sah es erst aus. Aber nach ein paar Wochen waren nur ein paar helle Hautflecken übriggeblieben, und auch diese verschwanden völlig mit den Monaten.

«Die Hauptsache, Erich lebt!«sagte Frau Schwabe zu ihrer Nachbarin im Nebenkeller. Man besuchte sich tagsüber durch die Kellerdurchbrüche und trank zusammen eine Tasse Muckefuck, wie der Ersatzkaffee genannt wurde, und aß dazu ein glitschiges Gebäck, das aus Griesmehl, Ersatzmarmelade und Butterschmalz bestand. Immerhin war es ein Kaffeekränzchen, und Frau Schwabe las den Brief vor und freute sich, wie sich nur eine Mutter freuen kann, deren Sohn lebend zurückgekommen ist.

Nur eines bereitete Hedwig Schwabe Sorge: Warum sollte sie Ursula nichts sagen? Warum sollte sie allein nach Schloß Bernegg kommen? War etwas zwischen Erich und Ursula, was sie nicht wußte? Gewiß, Ursel war hübsch, und die Männer drehten sich nach ihr um, aber sie war dem Erich treu geblieben in all den einsamen Jahren. Frau Schwabe mußte es anerkennen, denn wer achtet mehr auf die Moral als die Mutter eines verheirateten Sohnes bei der Schwiegertochter?

Es war ein großer Konflikt in Frau Schwabe, als sie gegen Mittag zu Ursula ging, um nach ihr zu sehen.

Ursula Schwabe saß in ihrem Kellerraum und schälte Kartoffeln. Es hatte eine Sonderzuteilung gegeben, schrumpelige, fleckige Kartoffeln, aber sie schmeckten noch immer besser als die getrockneten Kartoffelscheiben, die man im Wasser aufquellen lassen mußte und die in der Suppe rochen wie gekochter Moder. Sie war ein nettes Mädchen mit langen blonden Haaren, einer Stupsnase, wasserblauen Augen, einem vollen Mund und der glatten, mit blondem Flaum überzogenen, rosigen Haut ihrer 24 Jahre. Als sie Erich Schwabe heiratete, war er ihr erster Mann. Das war etwas, was Erich unbändig stolz machte und was er bei seinen Kameraden auch erzählte.»Auf die Ursel kann ich mich verlassen!«sagte er immer.»Die sieht keinen anderen Mann! Ich war der erste, und ich bin der letzte!«Davon hielten ihn auch die Flachsereien seiner Kameraden nicht ab, die Ursula eine >verklemmte Natur< nannten. Schwabe lächelte nur und schnitt allen die Rede ab:»Ich weiß, was ich habe! Ihr könnt mich alle kreuzweise.«