«Kruzidonnerwetter«, brüllte der Wastl, als er in der Halle von Block B stand und der Famulus Baumann ihn in die Rippen boxte.»Nix hot sich verändert, sogar der saudumme Baumann is do, der damische Hirsch. Und wo san d'andern? Holodrio. «Er jodelte mit erhobenem Kopf und aufgerissenem Rachen das Treppenhaus hinauf und wuchtete seinen schweren Rucksack auf den blanken Steinboden.»Und z' fressen hob i dabei. Eigenschlachtung, ös vertrocknete Zwetschgn. An Kuchen von der Resi. Und drei Büchsen Schmalz.«
Mit dem Nachmittagszug traf Paul Zwerch, der Berliner, ein.»Det ick hier bin, is reine Kameradschaft«, verkündete er als erstes bereits unten in der Halle, als ihn Adam, der Wastl, Schwabe und Hertz umringten.»Mensch, 'ne Puppe saß im Zug. Hellblond, Oojen wie 'n Schaukelpferd und Kurven wie de Avus. Det gab vielleicht 'n Zucken in meenem Maisgrießherz. Und se hat mir anjeblinzelt — so, Kameraden, mit 'nem Blick wie sechs Steppdecken. Aba ick habe mir jesagt: Die Kameraden warten uff dir, und vazichten ist jetzt die erste Bürgerpflicht.«
Kaspar Bloch kam nicht. Er war mit seinem Vater auf einer Vortragsreise in Schweden. Er schickte ein Telegramm:»Macht's gut, Jungens. Beim nächsten Treff bin ich dabei.«
«So, det wär'n wa nun«, sagte der Berliner, als sie ihre Betten in der Stube B/14 gebaut hatten. Er legte zwei Päckchen Spielkarten auf den Tisch und zog seinen Rock aus.»Und nu 'n Doppelkopp, det et kracht. Ick kenn' da 'n paar neue Tricks — die Hosen zieh' ick euch vom Hintern.«
Erich Schwabe saß auf seinem Bett. Vor vier Tagen hatte man ihm einen breiten Hautlappen zur Deckung der linken Wangenpartie transplantiert. Er sah im Augenblick so deformiert aus wie kurz nach seiner Einlieferung 1944. Fritz Adam hatte drei Tage lang mit ihm gesprochen und nichts erreicht als die Bemerkung:»Wenn du weiter über diese Dinge redest, lass' ich mich auf ein anderes Zimmer verlegen. Ich will meine Ruhe haben, verstehst du. Endlich Ruhe.«
«Eins will ich euch gleich sagen«, Schwabe sah in die Gesichter, die sich ihm zuwandten,»wenn ihr hierhergekommen seid, um ein großes Palaver mit mir zu veranstalten — spart euch den Atem. Ich weiß, daß ihr alle Pfundskerle seid und daß wir versprochen haben, uns gegenseitig immer zu helfen. Aber ich brauche keine Hilfe. Bei mir ist alles in Ordnung. Ich fühle mich wohl, so wie es jetzt ist. Und auf eine solche Dummheit wie Oster komme ich auch nicht. Ich habe jetzt andere Freuden. Da ist Otto.«
«Otto ist eine Grünmeise«, erklärte Walter Hertz.
«'ne Meise haste im Jehirn«, sagte der Berliner und warf die Karten, die er gerade mischte, auf den Tisch zurück.»Seh' ick aus wie'n Pastor, der dir zureden will? Jut, vielleicht hat deene Uschi mal an'n falschen Jlas jenippt — Mensch, trinkste denn selbst imma Himbeerwasser? Mensch, Erich — stell dir nicht an wie 'n Heiliger.«
«I hob mit zwoa Sennerinnen a Kind«, schrie der Wastl entrüstet.»Jessesmaria — wenn's Resl oiwei so an Spektakel machn tät. Dös ganze Lebn war ja koa Freud nimma!«
«Ich habe nicht gewußt, daß die Stube B/14 wirklich aus lauter Idioten besteht«, sagte Erich Schwabe laut. Dann stand er auf und verließ demonstrativ das Zimmer. Auf dem Flur stieß er auf Baumann.
«Ich möchte auf ein anderes Zimmer«, sagte Schwabe.
«Was anderes habe ich von dir auch nicht erwartet.«
«Na also. Und wie ist's?«
«Schlaf im Schuppen.«
«Auch gut. «Schwabe hob die Schultern und verließ den Block B. Er ging um den Teich herum spazieren, setzte sich dann unter einer alten Linde ans Ufer und warf Steinchen über die glatte im Schein der Abendsonne goldene Wasserfläche. So traf ihn Dr. Mainetti an, die von dem kleinen Schloßfriedhof herüberkam.
«Das habe ich auch als Kind gemacht«, sagte sie und setzte sich neben Schwabe in das schattige Gras.»Zwölfmal habe ich einen Stein über die Oberfläche flitschen lassen, aber das ist mir nur ein einziges Mal gelungen.«
«Warum laßt ihr mich nicht in Ruhe?«sagte Schwabe dumpf.»Merkt ihr denn nicht, daß ich um so weniger will, je mehr ihr auf mich einredet? Es hat keinen Sinn — bitte, merken Sie sich das auch, Frau Doktor. Ich bin jetzt >drüber<, wie man so sagt. Und ich kann dieses Gewäsch nicht mehr hören. Sagen Sie das auch den anderen.«
«Gut also, Schwabe. «Lisa Mainetti erhob sich und warf die Steine, die sie in die Hand genommen hatte, auf einmal in den Teich.»Wir werden nicht mehr darüber reden, nie mehr. Ich stelle fest: Für Sie existiert die Welt da draußen nicht mehr?«
«Genauso ist es.«
«Sie werden auch nichts mehr davon erfahren. Nicht, wie es Ihrer Mutter geht, was Ihre Frau macht.«
«Es interessiert mich nicht«, sagte Schwabe heiser und gepreßt.
«Und auch was das Kind macht, erfahren Sie nicht mehr. Es ist ja nicht Ihr Kind, nicht wahr?«
Schwabe schwieg hartnäckig. Er starrte Dr. Mainetti nach, wie sie zurück zum Block B ging. Er wußte, daß sie ab sofort alles fernhalten würde, was ihn interessieren könnte.
«Erika«, sagte er leise.»Sie verstehen alle deinen Vater nicht. Ich will doch nur, daß ihr glücklich werdet. Mit mir zusammen könntet ihr es nie.«
Dann ging er langsam tiefer in den Park hinein, warf sich zwischen den Bäumen auf den Rücken und starrte in den blauen Himmel und auf die träge ziehenden Sommerwolken.
«Mein Gott«, schrie er plötzlich,»verstehst du mich denn?«
Der Berliner fuhr wieder ab, nachdem man ihm ein paar Narben herausgetrennt hatte. Dem Wastl nahm Professor Rusch endlich den dicken Rollappen weg, indem er ihn als Deckung der aufgerissenen und zerfurchten Stirn einpflanzte. Dann stand auch der Wastl abmarschbereit und mit leerem Rucksack im Zimmer B/14 und drehte seinen grünen Lodenhut mit dem dicken Gamsbart in den Fingern.
«Noch amol, Erich, komm mit. I bring' di unter bei mir. I hob an großen Hof — und Weiber gibt's genug. Von dö Stadt kemmas 'rüber zum Tauschen. Für a Wurst kriagst fast a jede.«
Erich Schwabe lächelte schwach und klopfte dem Wastl auf die breite Schulter.
«Bist ein prima Bursche, Wastl. Aber was soll ich bei euch? Hier im Schloß habe ich meine Arbeit. Und ich bin von allem genauso weit entfernt wie auf deinem Hof. Vor allem aber werde ich operiert.«
«Das stimmt«, sagte der Wastl.»An neue Visagen kann i dir net bieten. Mach's guat, Kumpel.«
Baumann brachte mit Schwabe, Hertz und Adam zusammen den Wastl nach Würzburg an den Zug. Die Leute auf dem Bahnsteig bil-deten einen weiten Kreis um die vier Männer ohne Gesichter. Der Wastl nickte und winkte aus dem Fenster.
«Mir san koane Zirkusaffen«, brüllte er.
Die Leute wandten sich ab, teils beschämt, teils empört.
«So muaß ma's machen«, sagte der Wastl und winkte mit dem leeren Rucksack, bis der Zug hinter einer Biegung verschwand.
Nach dem Gesetz, daß sich die Ereignisse, sind sie erst einmal richtig im Fluß, wie Sturmwellen überstürzen, brach über die Stube B/14 eine neue und diesmal wesentlich lautere Entscheidung herein.
In der Halle des Blockes B, abgefangen von Baumann und einer Ordensschwester, stand plötzlich Petra Wolfach und verlangte, Walter Hertz zu sehen.
«Ich bin gekommen, ihn abzuholen«, sagte sie zu Baumann, der sie an der Hand nahm und ins Besuchszimmer zerrte. Dort drückte er sie auf einen der geflochtenen Stühle und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
«Abholen. Wie damals, was?«sagte er grob.»Haben Sie eine Zwangsjacke mitgebracht? Anders kriegen Sie Walter nicht mehr aus dem Bau. Der hat von allen Wolfachs die Schnauze voll.«
«Ich bin nicht wie mein Vater«, schrie Petra zurück und sprang auf.
«Mag sein — aber Sie sind von Papas Tasche abhängig.«