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Dreimal hatte Erich Schwabe noch versucht, eine Scheidung zu erreichen. Ursula ließ wissen, daß sie nicht daran dächte. Da resignierte Schwabe und sagte zu Lisa:

«Dann geht es eben so weiter. Es ist ja doch nur eine Formsache.«

Seine Tochter Erika hatte Schwabe nicht wiedergesehen. Sein erster Besuch in Würzburg war Begrüßung und Abschied zugleich gewesen. Er sprach auch niemals mit einem anderen über sein Kind, auch nicht mit Rusch oder Lisa. Nur abends saß er manchmal still und blaß unter der Lampe und betrachtete Bilder kleiner, lockiger Mädchen, die in den Zeitungen und Illustrierten abgebildet waren.

Von Monat zu Monat veränderte sich auch das Gesicht Erich Schwabes. Die dritte Nase saß endlich richtig und wuchs ohne Komplikationen ein. Die linke Ohrmuschel wurde geformt. Rusch und Lisa nahmen dazu Rippenknorpel Schwabes und ein neues Plastikmaterial, das man in Amerika bei Gesichtsplastiken verwendete und das Fritz Adam von der Universität Heidelberg zu Versuchen herüberschicken ließ. Professor Rusch machte den Versuch mit Schwabes rechtem Ohr und transplantierte das körperfreundliche Weichplastikmaterial. Es heilte ohne Zwischenfälle ein. Am Tage der Währungsreform 1948 operierte Rusch die letzte Korrektur der Nase. Das Gesicht Schwabes hatte jetzt das Fratzenhafte verloren, es war wieder ansehbar, es war ein menschliches Gesicht, ein bißchen fremd, wenn man die Fotos des früheren Erich Schwabe mit dem neuen Antlitz verglich, aber immerhin doch ähnlich, erkennbar und vor allem nicht abstoßend. Ein paar große Narben störten zwar noch, aber sie sahen aus, als habe Schwabe als Student auf dem Paukboden ein paar kräftige Durchzieher erhalten.

«Na, wie stehen wir da?«fragte Lisa, als Schwabe nach dem letzten Verbandswechsel in den Spiegel sah.»Fast vier Jahre sind vergangen, und der Kerl sieht jünger aus als vorher.«

Der Spiegel in Schwabes Fingern zitterte. Er mußte ihn mit beiden Händen festhalten. Ich bin es, dachte er ergriffen. Ich bin es wirklich. Ich bin kein Ungeheuer mehr, von dem die Menschen sich abwenden. Ich habe ein narbiges Gesicht. Aber ich habe ein Gesicht. Ich bin wieder der Glaser Erich Schwabe aus Köln.

Wenn das Mutter sehen könnte. Und Ursula.

Er ließ den Spiegel sinken und starrte in Lisas Augen.

«Ich — ich bin wieder da«, sagte er mit einer kläglichen Stimme.»Sie haben mich wieder zu einem Menschen gemacht.«

Und plötzlich umarmte er die Ärztin, drückte das Gesicht an ihre Brust und weinte haltlos. Er klammerte sich an ihr fest, als sie ihn sanft von sich wegdrücken wollte.

«Ich bin wieder ein Mensch«, schluchzte er.»Ich erkenne mich wieder, ich erkenne mich wieder.«

Der ewige Famulus Baumann wischte sich schnell über die Augen. Er tippte Schwabe auf die zuckende Schulter und zog ihn von Lisa weg.

«Mensch, komm vom Tisch 'runter«, sagte er grob.»Nach vier Jahren kannste mal Platz machen für die anderen. Und reiß dich zusammen, Kerl. Wennste dir die Augen ausheulst — die können wir dir nicht ersetzen.«

«Du Rindvieh, du erbärmliches«, weinte Schwabe. Er umarmte Baumann, küßte ihn auf die Backe und drückte ihn an sich.»Du hast es nicht geglaubt, nicht wahr. Du hast es nicht geglaubt?«

«Ich kenne doch unseren Professor, Mensch. Natürlich war das klar. Aber du hast nie daran geglaubt, du Pflaume.«

Schwabe nickte.»Ich habe es nie für möglich gehalten. Und nun so etwas, so etwas.«

Er rannte aus dem OP wie ein Junge, der einem davonschwebenden

Luftballon nachjagt.

Professor Rusch sah vom Vorbereitungsraum aus herein. Er hatte durch die offene Tür alles mit angehört, während er sich für die nächste Operation wusch.

«Jetzt sollte man seine Frau kommen lassen«, sagte er.

Lisa schüttelte den Kopf.»Ich weiß etwas Besseres, Walter. Ich habe nur auf diesen Augenblick gewartet.«

Das deutsche Volk stand einen Augenblick fassungslos vor den über Nacht prall gefüllten Geschäften. Es hatte pro Kopf 40 neue Deutsche Mark in der Hand und eine unbezwingbare Kauflust im Herzen. Nach der Auszahlung des nächsten Gehaltes und Lohnes in der harten Währung begann dann auch ein Sturm auf die Geschäfte, der in die Geschichte des Wiederaufbaus als >Freßwelle< einging.

Aber mit einer äußeren Gesundung allein war es nicht getan Ein Hausputz erfaßt nicht nur den Fußboden, wo man ihn sieht, sondern er fegt auch die Ecken leer. Er kehrt die Spinnweben weg und die Überreste vergangener Tage.

Professor Dr. Walter Rusch erhielt ein Schreiben. Es war dienstlich, knapp und enthielt eine Vorladung zur Entnazifizierung. Der Termin für eine öffentliche Verhandlung in Würzburg war bereits angesetzt.

«Entnazifizierung?«sagte Rusch und legte die Vorladung auf seinen Tisch zu den Röntgenplatten.»Das ist doch wohl wieder ein Irrtum wie in Darmstadt. Sie müssen doch die Akten haben.«

Er schrieb nach Würzburg, schilderte seinen Fall und erhielt postwendend eine Antwort.

«Die Entscheidungen des amerikanischen Gerichtes im Internierungslager Darmstadt sind für uns nicht bindend. Sie haben sich zum angegebenen Termin.«

«Und es erhebt sich wieder das stolze deutsche Haupt.«, sagte Lisa Rusch, geborene Mainetti, als sie den Brief abheftete.»Wir haben wieder Brot und Butter, Beamte und Bürokratie. Es wird nicht mehr lange dauern, und die Kanonen kommen auch wieder.«

«Um Himmels willen, Lisa. Wenn das möglich wäre. Ich würde sofort einen Ruf nach Amerika annehmen.«

«Dann wäre es gut, schon jetzt die Koffer zu packen. «Lisa zeigte auf die erste Seite einer Zeitung.»Man riecht zwischen den Zeilen schon den Schwefel.«

Eine Woche später fuhren sie nach Würzburg zur Verhandlung vor der Entnazifizierungskammer. Professor Rusch hatte einen schwarzen Anzug angezogen, als gehe er zu einem Fest oder zu einer Beerdigung. Baumann fuhr den neuen Wagen, den sich Rusch gekauft hatte. Auf dem vierten Sitz saß Erich Schwabe. Lisa hatte darauf bestanden, ihn mitzunehmen, dazu eine Fülle von Fotos und Röntgenbildern.

«Wir wollen ihnen zeigen, was du getan hast, während die anderen marschiert sind und gesungen haben >Es zittern die morschen Knochen<. Diese Anklage hat ein Idiot erhoben.«

Die Verhandlung fand in einem mittelgroßen Zimmer statt, das kahl war bis auf einen Tisch und einige Stühle. Hinter dem Tisch saßen wichtig dreinblickende Herren, die Professor Dr. Rusch wie ein Wundertier bestaunten und mit einer Handbewegung — gleich drei machten sie mit deutlich sichtbarer Jovialität — aufforderten, Platz auf einem Stuhl am Tisch zu nehmen.

«Zu gütig«, sagte Rusch und blieb stehen, stützte sich auf die Lehne des angebotenen Stuhles und sah auf seine Richter hinab. Das machte einen fatalen Eindruck. Nichts beleidigt einen zu Höherem berufenen Deutschen mehr als der Stolz des Gegners.

Die einstündige Verhandlung verlief nicht sehr zufriedenstellend. Man verlas die Anklage, und Professor Rusch erwiderte darauf:»Al-les Blödsinn.«

«Erlauben Sie mal«, rief der Vorsitzende.»Wir haben hier Dokumente.«

«Sie haben Aussagen. «Professor Rusch nickte zu dem Tisch hin, auf dem ein dickes Aktenstück lag, mit einem Etikett, auf dem sein Name stand.»Sie lesen mir da vor: Bei einer Aktion >Heldenklau< soll ich selbst eine Reihe Gesichtsverletzter zur Entlassung vorgeschlagen haben. Ja, auf meinen Antrag hin soll diese Aktion überhaupt erst angelaufen sein, obwohl die Speziallazarette ausgenommen waren. Und von wem stammt diese Aussage? Von einem Oberst a.D. Paul Mayrat. Protokolliert bei dessen Antrag auf Pension. Als Zeuge gegengezeichnet von einem Dr. Fred Urban. «Professor Rusch beugte sich etwas vor.»Meine Herren, wenn ich den schweinischen Charakter dieser >Herren< hätte, könnte ich Ihnen jetzt etwas erzählen. Aber wozu? Nur eine Frage: Wo ist dieser Dr. Urban jetzt?«