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Lisa nickte und schloß das Fenster. Mit einem festen Ruck zog sie die Gardinen vor, als wolle sie den Vorhang endgültig über die Szene ziehen.

«Warten wir die Putzfrau ab«, sagte sie.

Rusch sah Lisa nachdenklich an. Er wußte nicht, welchen Sinn die Worte seiner Frau hatten, aber er wußte, daß sie nicht aus Interesselosigkeit gesprochen worden waren.

«Wann kommt sie?«fragte er sogar.

«Ab Montag.«

«Die Putzfrau?«brüllte Petsch.

«Ja. Und es könnte sich vieles ändern.«

«Vielleicht bin ich ein Idiot«, sagte Petsch,»aber jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«

«Trösten Sie sich. «Professor Rusch lachte gequält.»Ich auch nicht.«

Am Montag, morgens um 8 Uhr, erschien die Putzfrau auf Schloß Bernegg. Es war ein herrlicher Sommertag mit einem wolkenlosen Himmel und einer goldenen Sonne. Ein Tag, der heiß zu werden versprach.

Erich Schwabe arbeitete bereits in den Blumenbeeten. Er sprengte sie, bevor die Hitze zu groß wurde.

«Guten Tag«, sagte die neue Putzfrau zu Erich Schwabe. Sie war eine Frau Mitte Dreißig, drall und klein, mit langen braunen Haaren und einem rosigen, runden Gesicht. Sie gab Schwabe die Hand und drückte sie kräftig.

«Guten Tag«, sagte Schwabe. Dann blickte er zur Seite.

Neben der Putzfrau stand ein Kind. Ein kleines, blondlockiges Mädchen. Die großen blauen Augen sahen den Gärtner kritisch an und musterten ihn, ob er ein guter Onkel sei. Das Mädchen trug ein hellblaues kurzes Popelinkleidchen. Es sah aus wie eine zum Leben erwachte Puppe.

«Es ist das Kind einer Bekannten«, sagte die Putzfrau.»Ich muß es mitnehmen, weil die Mutter im Krankenhaus liegt. Und der Vater. Na ja, ich erzähle Ihnen das ein andermal. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnte die Kleine hier bei Ihnen im Garten spielen, solange ich arbeite. Sie heißt Barbara.«

«Barbara«, sagte Schwabe leise.»Aber nein, es macht mir nichts aus. Im Gegenteil. Sie kann ruhig hierbleiben, und ich zeige ihr die Blumen und die Käfer und die Vögel und was es hier alles gibt im Garten. Nicht wahr, Barbara?«

«Ja, Onkel«, sagte die Kleine und streckte Schwabe die Hand hin.

«Sie hat schon Freundschaft mit Ihnen geschlossen, sieh einmal an«, rief die neue Putzfrau.»Ihr werdet euch gut vertragen, was?«

«Sicherlich. «Schwabe legte den Schlauch hin und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Dann gab er dem Mädchen die Hand.

«Ich bin der Onkel Erich«, sagte er, merkwürdig stockend.

Die kleine Barbara nickte.»Komm, lauf mit mir zum Wasser«, rief sie und lief schon weg zum Teich.»Komm, Onkel Erich, komm.«

Und Erich Schwabe schob den Hut in den Nacken und lief ihr nach. Zufrieden ging die Putzfrau zum Block B zurück.

Die junge Sonne brach gleißend durch die Baumwipfel. Es wurde wirklich ein schöner Sommertag.

Kapitel 21

Nach drei Stunden holte die Putzfrau — sie hieß Frau Emmi Kartuscheck und kam aus Nikolai in Oberschlesien — die kleine Barbara wieder von Erich Schwabe ab.

Sie fand die beiden in dem Gewächshaus, das Schwabe aufzubauen begann. Drei Schlosser, die in der Klinik lagen, halfen ihm, das Gerüst aus Stahlrohr aufzurichten. Alles andere war für den gelernten Glaser eine Freude und ein Hineinarbeiten in eine verschüttete Vergangenheit. Schwabe maß und schnitt die Gläser zu, setzte sie ein, verkittete sie, strich sie mit weißer Farbe, konstruierte drehbare Entlüftungsklappen und eine Berieselungsanlage, indem er über die Treibhausbeete dünne Eisenrohre zog und diese mit winzigen Löchern anbohrte. Wenn er dann das Wasser andrehte, wurden die Beete nach allen Seiten gleichmäßig besprüht, so, als regne es in ganz feinen Strahlen.

Als Frau Kartuscheck in das Gewächshaus kam, saßen Schwabe und Barbara vor einem der Beete und betrachteten eine kleine, hellgrüne Pflanze.

«Das wird einmal ein schöner, großer, leuchtender Weihnachtsstern«, sagte Schwabe und schob mit dem Zeigefinger vorsichtig etwas Erde über einige Wurzeln. Barbara schüttelte den Kopf und lachte.

«Ein Stern ist doch am Himmel, Onkel.«

«Die Blume, die aus diesem jungen Pflänzchen wird, nennt man so.«

«Wer nennt sie so?«

«Der Volksmund.«

«Was ist Volksmund?«

Schwabe kratzte sich den Kopf.»Paß mal auf«, sagte er.»Es gibt einen Vogel, der heißt Sperling. Aber die Leute sagen zu ihm auch Spatz, Mösch und… na ja, und das ist Volksmund. Verstehst du?«

«Nein, Onkel.«

Frau Kartuscheck kam durch die engen Gänge des Treibhauses und lachte.»Die fragt Ihnen Löcher in den Bauch«, sagte sie und drückte Barbara an sich.»Und was für Fragen. Das kommt vielleicht davon, daß sie immer unter Erwachsenen war. Ihre Mutter weiß manchmal gar nicht mehr, was sie antworten soll. Und ich auch nicht.«

«Darf ich morgen wieder mit, Tante Emmi?«fragte Barbara, ehe Schwabe etwas sagen konnte.»Der Onkel kann so schön erzählen.

— Von Weihnachtssternen, die in der Erde wachsen, und vom Volks.

— wie hieß das, Onkel Erich?«

Frau Kartuscheck hob wie um Verzeihung bittend die Schultern.»Ich muß sie morgen wieder mitbringen. - Solange ihre Mutter krank ist, wissen wir gar nicht, wohin mit ihr«, sagte sie.»Wenn sie Ihnen nicht allzu lästig fällt mit den vielen Fragen — darf ich morgen wieder? Natürlich kann ich sie im Block B im Gemeinschaftszimmer spielen lassen, aber.«

Erich Schwabe sah auf das blonde Lockenköpfchen, in die großen blauen Augen und auf den lachenden, kleinen Mund. Es war ihm, als presse man sein Herz mit zwei glühenden Zangen zusammen. Seine Kehle wurde trocken, und er mußte mehrmals krampfhaft schlucken, um überhaupt sprechen zu können.

«Jederzeit«, sagte er mühsam.»Sie können Barbara jederzeit bringen. Ich bin ja immer hier. Auch wenn Sie Besorgungen machen wollen oder sonst irgend etwas vorhaben. Bringen Sie sie immer zu mir, ja? Ich… ich habe Kinder gern.«

«Warum haben Sie dann nie geheiratet?«fragte Frau Kartuscheck. Schwabe wandte sich ab und grub mechanisch mit beiden Händen in einem der Beete.

«Das Leben ist gemein«, sagte er leise.»Aber lassen Sie uns jetzt nicht darüber sprechen. Unsere kleine Barbara sieht uns schon ganz verwundert an. Ich erzähle Ihnen später einmal alles.«

Barbara gab Schwabe die kleine, vom Spielen schmutzige Hand. Durch ein geöffnetes Fenster des gläsernen Treibhauses fiel die Sonne voll auf die goldenen Locken. Wie Ursulas Haare, durchfuhr es Schwabe, und sein Herz zuckte wild und streute einen stechenden Schmerz durch den ganzen Körper.

«Auf Wiedersehen, Onkel.«

«Bis morgen, Barbara«, sagte Schwabe heiser.

«Zeigst du mir morgen das Reh?«

«Ja.«

«Und den großen Goldfisch?«

«Ja.«

«Der Onkel sagt, im Teich da lebt der König der Goldfische. Stimmt das?«

Frau Kartuscheck nickte ernst.»Wenn Onkel Erich das sagt, wird es stimmen, Babs. Der Onkel kennt viel von der Welt und den Tieren und den Menschen.«

«Von den letzteren wäre es mir lieber, weniger zu kennen«, sagte Schwabe bitter. Frau Kartuscheck drückte Barbara an sich.

«Auch Babs ist ein Mensch«, sagte sie leise.

«Ein junger. In diesem Stadium kann man ihn noch ertragen.«

Er wandte sich ab, ließ Frau Kartuscheck stehen und ging langsam durch das Gewächshaus hinaus in den Park. Barbara zupfte an Frau Kartuschecks Kleid. Sie hatte große, ängstliche Augen.

«Was hat der Onkel, Tante Emmi?«

«Er hat ein wehes Herz, Babs. «Frau Kartuscheck zog Barbara aus dem Gewächshaus und ging mit ihr zum Ausgang des Schlosses.»Weißt du, hier in der Brust. Leg mal das Händchen drauf — merkst du, wie es da klopft?«

«Ja«, sagte Barbara, blieb stehen und legte das Händchen auf das Herz. Mit schiefgeneigtem Kopf verfolgte sie die schnellen Herzschläge.