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«Siehst du — und da hat der Onkel Erich Schmerzen. Da tut es ihm weh.«

«Dann ist er krank?«

«Ja.«

«Dann mußt du den Onkel Doktor holen.«

Frau Kartuscheck schüttelte langsam den Kopf.»Den brauchen wir hier nicht. «Sie drückte den Kopf des Kindes wieder an sich und sah hinüber zu dem gebückten Mann, der in den Dahlienbeeten harkte.»Dafür bist du da, Barbara.«

Am nächsten Morgen wartete Erich Schwabe vor dem Gewächshaus auf Barbara. Er hatte aus Dahlien und frühen Astern, aus kleinen Chrysanthemen und bunten Pantoffelblumen einen lustigen Haarkranz geflochten, den er Barbara auf die langen, blonden Locken drücken wollte.

Aber Frau Kartuscheck kam nicht.

Über eine Stunde ging Schwabe untätig hin und her, den bunten Kranz in der Hand. Er ging zum Eingang und unterhielt sich mit dem Pförtner über die unmöglichsten Dinge, nur um den Weg nach Bernegg überblicken zu können. Zweimal kam der Omnibus herauf, hielt an der Haltestelle vor dem Schloß — dann fuhr er weiter nach Waidenheim, dem nächsten Dorf hinter den Hügeln. Frau Kartuscheck stieg nicht aus.

Erich Schwabe ging zu seinem Gewächshaus zurück und legte den Blütenkranz in einen Eimer mit Wasser. Vielleicht hat sie heute Nachmittagsdienst, dachte er. Aber davon hat sie gestern nichts gesagt. Oder die Mutter der Kleinen ist wieder gesund. Vielleicht ist auch etwas passiert? Es kann ja sein, daß Barbara plötzlich krank geworden ist, daß sie hingefallen ist, daß sie sich ein Knie wundgeschlagen hat oder die Ellenbogen, oder. oder das Gesicht.

Schwabe riß seine schmutzige Gärtnerschürze herab und rannte zum Block B. Lisa hatte gerade die Morgenvisite beendet. Sie besprach mit Dr. Vohrer und Dr. Sulzbarth, dem neuen I. Assistenten, die festgestellten Mängel und den weiteren Arbeitsplan. Professor Rusch war wieder in Würzburg zu einer Vorlesung. Er demonstrierte sein berühmt gewordenes >Verlöten< der Knochen.

«Schwabe?«fragte Lisa über die Köpfe der anderen Ärzte hinweg.»Was gibt's? Haben Sie einen dicken Maulwurf in den Beeten? Sie sehen so zerwühlt aus.«

Schwabe lächelte über diesen Witz. Zu Baumann hätte er jetzt gesagt:»Halt die Fresse, du Idiot. «So aber stand er vier Schritte von

Lisa entfernt im Flur und sah sie flehend an wie ein verhungerter Bettler, der den Duft von Speisen aus einer Küche riecht. Er wußte nicht, daß Lisa auf diesen Augenblick bereits gewartet hatte.

«Sie wollen mich sprechen, Schwabe?«

«Ja, Frau Doktor — wenn es möglich ist.«

«Gleich.«

Lisa strich noch einige Namen auf der Liste an, die Vohrer und Sulzbarth in den Händen hielten. Es waren Patienten, die zu neuen, kleineren Operationen für den morgigen Tag vorbereitet werden sollten.

«Kommen Sie mit, Schwabe«, sagte die Ärztin dann, als die Visitenbesprechung zu Ende war.»Aber machen Sie es kurz, ich muß noch nach Würzburg.«

Erich Schwabe blieb im Chefzimmer an der Tür stehen und drehte die Finger ineinander, daß man die Gelenke knacken hörte.

«Nur eine Frage ist es, Frau Doktor«, begann er stockend.»Eigentlich ist es dumm von mir, Sie damit zu belästigen, aber ich weiß mir keinen Rat mehr.«

«Wegen der Wühlmäuse, Schwabe?«Lisa blätterte in einer Zeitschrift.»Es gibt da ein neues Mittel auf dem Markt, ein Pulver — das schüttet man in die Mäuselöcher und. «Sie blickte auf und sah die Ratlosigkeit in Schwabes Augen.»Keine Wühlmäuse, Schwabe? Was ist es denn?«

«Es ist wegen Barbara.«

«Barbara?«Lisa tat, als begriffe sie nicht sofort.»Wer ist Barbara? Schwabe — haben Sie sich etwa verliebt? Das ist doch unmöglich bei Ihrem Menschenhaß.«

«Barbara ist das Mädchen, das gestern mit der neuen Putzfrau kam«, sagte Schwabe leise.

«Putzfrau? Welche? Mensch, Schwabe, wie können Sie sich in ein so junges Mädchen verlieben? Wie alt ist es denn? 17 oder 18 Jahre, was? Überlegen Sie es sich genau, ob.«

«Barbara ist vielleicht drei Jahre alt«, stotterte Schwabe.

«Ach ja. Das süße, kleine Ding mit den blonden Locken. «Lisa lachte.»Ist es nicht ein süßer Balg?«»Eben, Frau Doktor, eben darum.«

«Was soll das heißen, Schwabe?«

«Wir haben Freundschaft geschlossen, Barbara und ich. Und heute wollte sie wiederkommen. Ich habe ihr aus vielen Blumen… aber das ist ja nicht so wichtig. Sie ist jedenfalls nicht gekommen. Und nun — nun weiß ich nicht. Ich habe mir gedacht, daß vielleicht Sie.«

«Frau Kartuscheck hat heute ihren freien Tag, das ist alles.«

Lisa sah, wie Schwabe aufatmete, wie eine Last von ihm abfiel und seine Augen einen anderen Glanz bekamen.

«Ihr freier Tag, natürlich. Und morgen kommt sie wieder?«

«Das nehme ich doch stark an.«

Den ganzen Tag über war Schwabe in bester Laune. Er sang, während er die Beete sprengte, bis aus einem Fenster jemand schrie:»Ruhe. Wir sind gestraft genug.«

Am Abend saß er an einem großen Tisch und rahmte eine Scheibe. Dann begann er, mit besonderen Ölfarben das Glas zu bemalen. Er malte einen alten Brunnen, auf dessen Rand eine schöne, goldlockige Prinzessin saß, in weißen und rosa Spitzengewändern. Vor ihr hockte ein dicker Frosch mit einer Krone auf dem Kopf. Es war eine Szene aus dem Märchen vom Froschkönig.

Schwabe stellte die bemalte Glasscheibe an das Fenster, damit die Farbe schneller trocknete. Am nächsten Morgen trug er das Gemälde in das Gewächshaus und hängte es gegen die sonnenbeschienene Glaswand. Da leuchteten die Farben auf, und es war, als lebten die zarte Prinzessin und der dicke, häßliche Froschkönig.

Mit dem Neun-Uhr-Omnibus kamen Frau Kartuscheck und Barbara an. Schwabe sah sie aus dem Wagen steigen. Er stand hinter der ehemaligen Hauptwache und hatte die Straße durch die Toreinfahrt beobachtet. Er rannte schnell zur Gärtnerei zurück und schnitt bereits wieder die verblühten Dahlien ab, als Frau Kartuscheck mit dem Kind über die Parkwege kam.

«Onkel«, rief Barbara schon von weitem, als sie Schwabe sah.»Onkel Erich. Huhu.«

Erich Schwabe spürte, wie ihn das Glück durchströmte. Er warf die

Gartenschere hin und winkte mit beiden Armen.

«Babs«, rief er.»Guten Morgen, Babs.«

Frau Kartuscheck winkte zurück. Sie gab dem Kind einen kleinen Schubs und ging dann zurück zum Block B. Mit fliegenden Haaren lief Barbara auf Schwabe zu. Kurz vor ihm breitete sie die Arme aus und warf den Kopf in den Nacken.

«Fang mich auf, Onkel«, rief sie.»Fang mich.«

Schwabes Herz zuckte wild. Auch er breitete die Arme aus, bückte sich etwas, und es war ihm, als müsse er schreien vor Freude, daß ihm ein Kind in die Arme entgegenlief.

Dann fing er den kleinen Körper auf, umschlang ihn und wirbelte ihn hoch durch die Luft, schwenkte ihn im Kreis und hatte Lust, einzustimmen in den Jubel dieses hellen, klaren Stimmchens.

«Wie stark du bist, Onkel«, sagte Barbara, als sie wieder auf der Erde stand und sich die wirren Locken aus dem geröteten Gesichtchen strich.»Mama kann das nicht so — auch nicht, als sie noch gesund war. «Sie sah Schwabe wieder mit schrägem Köpfchen an und zeigte plötzlich mit ausgestrecktem Arm auf sein Gesicht:»Ist das vom Krieg?«

Schwabe zuckte zusammen.»Was weißt du vom Krieg?«fragte er heiser.

«Mama hat mir erzählt, der Krieg hat uns den Papi weggenommen.«

Schwabe preßte die Lippen fest aufeinander.»Komm«, sagte er schwer atmend.»Ich zeige dir das Reh. «Er nahm Barbaras Hand und ging mit ihr schnell in den Park.

Am Fenster des Chefzimmers standen Lisa und Frau Kartuscheck. Sie sahen zu Schwabe und Barbara hinab und warteten, was geschah.

«Er ist ganz verrückt nach dem Kind«, sagte Frau Kartuscheck.»Ich hätte nicht gedacht, daß es so schnell geht.«

«Ich schon. «Lisa schloß das Fenster.»Schwabe ist ein ausgesprochen weicher, sensibler Mensch. Und weil er das von sich selbst weiß, umgibt er sich mit dem Panzer der Gefühllosigkeit. Unsere kleine Barbara wird ihm bestimmt bald zeigen, wie absurd das alles ist.«