Lisa trat zurück und wusch sich die Hände.»Also ganz klar: Sie wollten irgendwo einsteigen, und da kam der Bräutigam und hat Ihnen das Nasenbein zerschlagen und unseren so mühsam transplantierten Rollappen abgerissen. Wissen Sie, was wir jetzt machen, Wastl? Wir nähen Ihnen den Hintern ins Gesicht. Dann hören die Weibergeschichten endlich auf.«
«Ich wollt' doch nur, Frau Doktor.«
«Ruhe, Wastl. Sparen Sie sich alles auf, bis der Professor kommt. Der wird Ihnen was erzählen.«
«Ich bezahle alles«, schrie der Wastl.
Lisa sah den Wastl Feininger nachdenklich an.»Sie haben doch einen großen Hof, nicht wahr?«fragte sie.
«Ja.«
«Wieviel Vieh?«
«Dreißig Kühe und neunundvierzig Schweinderln.«
«Dann werden Sie zwei Kühe und vier Schweine verkaufen müssen. Bei solchen Dummheiten, Wastl, müssen Sie bluten. Das behandele ich Ihnen nicht auf Ihren Versorgungsschein.«
«Dös is mir klor. «Der Wastl schien zu schwitzen, aber es war nirgendwo mehr ein unverbundener Fleck in seinem Gesicht, wo er den Schweiß abwischen konnte.»Zwei Küh und vier Schweinderl, dös san a paar Tausender, Frau Doktor.«
«Noch immer billiger als sechzehn Jahre Alimente«, sagte Lisa grob. Der Wastl nickte wissend.
«Dös is a Argument«, stellte er fest.»Einverstanden, Frau Doktor. Macht's mir nur wieder a guats G'sicht — und Zeit hob i a. Und wenn i wieder auf Zimmer B 14 dürft'.«
Lachend ließ Lisa den Wastl von einer Schwester auf das Zimmer bringen. Dann ging sie zu Rusch in den OP I.
«Alles klar«, sagte sie ihm ins linke Ohr, während er das Ohr eines Patienten verband. Ihre Stimme war voll unterdrücktem Jubel. Verwundert schielte Rusch zur Seite.
«Welche Fröhlichkeit? Was ist klar?«
«Soeben ist der Wastl Feininger eingetroffen.«
«Der Wastl? Was will denn der hier?«»Er bezahlt die Hälfte von Schwabes Schulden.«
Es war einer der seltenen Augenblicke, in denen Professor Rusch überhaupt nichts mehr verstand und seine Frau nur entgeistert anstarrte.
James Braddock traf ebenso naturgewaltig ein. Allerdings nicht mit einem von einem Nebenbuhler zerschlagenen Gesicht, sondern in einem hellen Flanellanzug, Schuhen in Form indianischer Mokassins und in jeder Hand eine Flasche Whisky. So stand er unten in der Eingangshalle, bestaunt von den Schwestern, und brüllte durch das Treppenhaus.
«Hallo. Hallo. Miß Doktor. Goddam old James ist wieder da.«
Lisa und Rusch hörten das Gebrüll im Vorbereitungszimmer. Sie wuschen sich gerade nach einer anstrengenden Operation. Rusch hatte wieder einen Unterkiefer >verlötet<.
«Das ist doch nicht wahr«, sagte Lisa und ließ die Seife fallen.»Der kann doch nicht einfach da sein und >Miß Doktor< brüllen.«
Sie stieß mit dem Ellenbogen die Tür auf und rannte mit nassen, tropfenden Händen auf den Gang. Braddock streckte die Arme weit aus, kaum, daß er Lisa sah. Sein rundes Gesicht unter den noch immer stoppeligen Haaren leuchtete wie pomadisiert.
«Lisa, Darling«, schrie er.»Come on — kiss me!«
«Braddock. Er ist es«, schrie Lisa zu der offenen Tür zurück. Nun erschien auch Professor Rusch, er trocknete sich die Hände ab und warf das Handtuch einer Schwester zu, die wie die anderen mit halboffenem Mund im Flur stand.
«Major«, rief Rusch.»Welche Freude!«
«Nicht Sie will ich ans Herz drücken, sondern Lisa. Come on, baby
— darauf habe ich mich einige tausend Kilometer lang gefreut.«
Er umarmte Lisa und küßte sie ungeniert auf die lachenden Lippen. Dann hob er eine der Whiskyflaschen, schrie» hopp «und warf sie Rusch entgegen. Dieser fing sie eben noch auf und schüttelte lachend den Kopf.
«Jetzt kann ich sie küssen«, brüllte Braddock und küßte Lisa wieder.»Jetzt ist sie Ihre Frau, Professor. Und jetzt hat's auch keinen Sinn mehr, Sie zu erwürgen.«
Im Chefzimmer trank James Braddock erst einmal zwei Gläser Whisky, ehe er zu erzählen begann. In Zivil wirkte er viel zierlicher und kleiner, und man mußte sogar etwas Phantasie aufwenden, sich daran zu erinnern, daß dieser Mann einmal mit einem Jeep und umgeben von MP-Riesen vor das Schloß gefahren war und gesagt hatte:»Ich habe den Befehl, das Lazarett zu besetzen. «Und der ganze Bezirk Bernegg hatte Angst vor ihm.
«Meinen Brief haben Sie doch bekommen?«sagte Braddock. Er holte wieder die lange, flache Schachtel mit den Brissagozigarren aus der Innentasche des Rockes, zog den Strohhalm heraus und brannte sich die starke Zigarre an.»Er war ein Vorläufer. Damals stand mein Europatrip schon fest. Ich muß hier sein, wissen Sie. Kontaktaufnahme mit den europäischen chemischen Fabriken. Kinder, wenn ich bedenke, wie völlig zertrümmert Germany war und wie es heute wieder dasteht — man könnte direkt wieder Angst bekommen!«
Braddock seufzte und trank einen neuen Whisky.»Ich habe überall in den Staaten erzählt, welch ein toller Kerl Sie sind, Professor. Boys, habe ich gesagt, der setzt euch neue Nasen ins Gesicht, daß ihr von der alten nicht mal mehr träumen wollt. Und euch, liebe Mammies, nimmt er sechs Pfund Fett aus dem Hintern und modelliert euch eine Figur, deren Fotos man in der Brieftasche trägt.«
«Aber Braddock. «Professor Rusch schüttelte den Kopf.»Ich bin Gesichtschirurg. Was Sie da schildern, sind rein kosmetische Operationen.«
«Eben, eben. Damit können Sie im Monat einige tausend Dollar machen. Was glauben Sie, welche Publicity ich Ihnen drüben gemacht habe. Wenn Sie 'rüber kommen, werden sich die Zwei-ZentnerWeiber in Ihrer Praxis drängeln.«
Lisa Rusch sah schnell hinüber zu ihrem Mann. Sie wußte, was er in diesem Augenblick dachte, und er tat ihr leid. Die Illusion, in die er sich hineingesteigert hatte, zerstob wie eine Seifenblase. Man sah es Professor Rusch an. Er saß still und in sich gekehrt am Tisch und hörte stumm den Begeisteiungsausbrüchen James Braddocks zu.
«Sie werden in einem Jahr in Mode sein«, rief er unbeirrt und schwenkte seine Brissagozigarre wie eine brennende Fahne.»Man wird sich zuflüstern: >Na, Nelly, auch schon bei Rusch gewesen? Ein smarter Boy, was?< Lieber Professor — und dann später Ihre Memoiren: >hunderttausend Kilo Fett in meinen Händen<. Sie werden die USA erobern.«
«Bestimmt«, sagte Rusch etwas mühsam und lächelte dazu. Mein armer Bajazzo, dachte Lisa voll Mitleid. Du hältst dich tapfer.»Aber ich glaube nicht, daß ich nach Amerika passe.«
«Wenn Sie nicht — wer sonst? Professor, denken Sie sich bloß diese Publicity: Bilder Ihrer Gesichtsverletzten vor und nach der Operation. In jedem Kino, an den Anschlagsäulen, in den Hotelhallen, auf den Sportplätzen. Und dazu der Slogan: Ruschs Hände formen jedes Antlitz. Das gibt eine neue Welle, Professor. Die Million liegt auf der Straße. Und dann Hollywood, ein Film: >Die zwei Gesichter der Linda B.< Sie wären ein Dummkopf, wenn Sie in Deutschland blieben.«
«Ich bin ein solcher Dummkopf«, sagte Rusch ernst.
James Braddock starrte Rusch an. Dann ließ er seine Zigarre fallen und stieß fast sein Whiskyglas um. Verwirrt starrte er zu Lisa hinüber.
«Der meint es ja ernst«, stotterte er.
«Ja, er meint es ernst«, nickte Lisa.
«Er will nicht?«
«Nein — er kann nicht.«
«Was heißt hier, er kann nicht? Verträge? Kleinigkeit. Als wenn wir keine Übung im Lösen von Verträgen hätten.«
«Und er will nicht.«
«Aber das gibt's doch gar nicht. Ein Mensch allein kann doch nicht so blöd sein.«
«Auch das stimmt, Braddock. «Lisa lächelte ihn freundlich an.»Es gibt zwei Blöde, ihn und mich. Ich will auch nicht.«»Sie auch nicht?«sagte Braddock entgeistert.
«Nein.«
«Aber warum denn nicht, um Himmels willen?«
«Wenn Sie Rusch nicht als einen Operationsvirtuosen, sondern als Mensch und Arzt betrachten, werden Sie es verstehen, Braddock. Es ist nicht seine Welt.«