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Frau Schwabe starrte ihren Sohn an, und sie dachte an die Worte Lisa Mainettis: Nur an den Augen werden Sie ihn erkennen… aber bitte, bitte zeigen Sie es ihm nicht.

Als ihr Sohn hereingekommen war, hatte sein Anblick ihr Herz wie mit einem glühenden Messer durchschnitten. Es war ihr, als müsse sie umfallen und sterben vor Entsetzen. Wie ein rasender Film jagten die vergangenen Jahre an ihr vorbei. die Geburt, das kleine, schreiende Bündel im Körbchen, der tapsige, weißblonde Zwerg, der die ersten Schritte versucht, der goldgelockte, fröhliche Junge, der am Aachener Weiher im Sandkasten spielte, der Schulanfänger mit der großen Schultüte im Arm, der Kommunikant im blauen Anzug, der lustige Lehrling in der Glaserei, der verliebte, plötzlich in Geheimnissen lebende Jüngling, der glückliche, strahlende Bräutigam, der siebenmal verwundete Soldat… und immer war ein Lachen in seinem Gesicht, war Lebensfreude in seinen Augen gewesen, war er wie ein Spiegel der Jugend, bei dessen Anblick man selbst fröhlich sein mußte.

«Mein Junge.«, sagte Frau Schwabe. Ihre Stimme war ein wenig zittrig, aber voll mütterlicher Wärme und tiefsten Glücks.»Mein lieber. lieber Junge.«

Sie breitete die Arme aus und rannte auf ihn zu. Auch Erich Schwabe warf die Arme nach vorn und stürzte auf sie zu.

«Mutter!«schrie er auf.»Mutter. o Mutter.«

Sie umklammerten sich, als wollten sie gemeinsam ertrinken, sie sahen sich an, und die gräßlichen Verstümmelungen schmolzen in den Augen der Mutter, und sie sah ihn so, wie er immer gewesen war. ein großer, fröhlicher Junge.

Mit beiden Händen umfaßte sie seinen Kopf und küßte ihn auf die schreckliche Mundhöhle, sie streichelte über die Mullplacken und Leukoplaststreifen, über den Rollappen und die abgerissene Nase, und sie küßte ihn wieder und immer wieder und herzte ihn wie damals, als er noch ein Kind war.

«Wie gut du aussiehst.«, sagte sie weinend vor Glück. Es war keine barmherzige Lüge, es war ihr die vollste Wahrheit. Er lebte. er hatte seine Augen noch und seine Stimme, seine Arme und Beine. Mein Gott, ich danke dir, dachte sie ergriffen. Ihn wird der Krieg nicht mehr holen, nun bleibt er für immer bei mir. Wofür ich sechs Jahre lang täglich gebetet habe, nun ist es mir erfüllt worden. Ich habe ihn endlich wieder. für immer. für immer.

«Du. du erkennst mich noch, Mutter.«, stammelte Erich Schwabe. Er hatte die Hände seiner Mutter erfaßt und saß nun mit ihr auf dem Bett Lisas. Frau Schwabe bemühte sich, ihn zu verstehen.

Seine Worte kamen zischend, lallend und krächzend aus der Mundhöhle.

«Du bist ein dummer Junge! Bist es immer gewesen. Man sollte dich jetzt noch übers Knie legen. Warum sollte ich dich nicht erkennen?«

«Mein Gesicht, Mutter.«

«Na und? Es bleibt doch nicht so! Ich habe ausführlich mit der Frau Doktor gesprochen. Es wird alles wieder in schönste Ordnung kommen.«

Erich Schwabe legte den Kopf an die Schulter seiner Mutter. Schluchzen schüttelte seinen Körper. Sie legte den Arm um ihn und drückte ihn an sich, wie sie ihn hundertmal getröstet hatte, wenn er als Kind ein für ihn unüberwindbares Leid nach Hause gebracht hatte.

«Sag es mir ehrlich, Mutter, ganz ehrlich, bitte, bitte… glaubst auch du, daß alles wieder gut wird? Kann man ein solches Gesicht wieder herstellen? Gibt es wirklich einen Funken Hoffnung für mich.«

«Wenn du nicht so groß wärst, bekämst du jetzt eine Ohrfeige!«

Frau Schwabe starrte gegen die Wand vor sich.

«Und. und was wird Ursula sagen.«

«Sie läßt dich grüßen.«

Schwabe zuckte hoch.»Sie weiß, daß du bei mir bist?«

«Glaubst du, ich belüge deine Frau? Natürlich habe ich es ihr gesagt.«

«Und. wie hat sie es aufgenommen? Ich meine. hat sie nicht.«

«Sie hat geweint. Natürlich! Nicht, daß du verwundet bist, daran haben wir uns schon bei deinen sieben anderen Verwundungen gewöhnt. Aber daß du geschrieben hast, sie solle nicht mitkommen. das war nicht schön von dir, Erich.«

«Ich dachte, Mutter… mein Gesicht… wenn sie es sieht… ich habe solche Angst, daß sie. «Er senkte den Kopf und krampfte die Finger ineinander.»Warum hast du ihr den Brief gezeigt, Mutter?«

«Weil es sich so gehört, mein Junge. «Frau Schwabe schob mit den Füßen die Tasche unter das Bett, ohne daß Erich es merkte. Ein Rosinenkuchen und eine Schmierwurst… wie sinnlos waren sie jetzt.

«Man kann nicht einfach alles aufstecken, nur weil man ein paar Narben im Gesicht hat.«

«Ein paar Narben.«, sagte Schwabe bitter.»Ich weiß jetzt, wie ich aussehe. Ich habe mich vorige Woche im Wasser gespiegelt. Ihr braucht mir nichts zu erzählen.«

«Welch ein dummer Junge!«Frau Schwabe schlug die Hände zusammen, wie sie es immer tat, wenn sie eine Situation zu klären begann.»Ein Haus kann noch so schön gebaut sein. es sieht erst nach etwas aus, wenn die Fassade verputzt ist. Das müßtest du als Glaser eigentlich wissen, Erich!«Sie nahm alle Kraft zusammen, hob den Kopf ihres Sohnes hoch und sah ihm in das weggerissene Gesicht.»Wenn du's so besser verstehst, du eitler Fratz: Die Frau Doktor ist dabei, dir eine neue Fassade zu geben! Verstanden?«

Erich Schwabe lächelte mühsam. Frau Schwabe erkannte es nur daran, daß sich die Seiten der Mundhöhle wie gequält etwas verzerrten.

«Ja, Mutter. - Ich bin so froh, daß du gekommen bist. Aber Ursula wird doch verstehen, daß ich sie noch nicht sehen will? Bitte, mach es ihr klar. nur ein paar Wochen noch.«

Frau Schwabe nickte. Die Stimme versagte ihr plötzlich. Es war das erste, was sie dachte, als sie Erich in der Tür stehen sah: Mein Gott, so darf ihn Ursel nie sehen! Nie! Sie kann ihn noch so sehr lieben. diesen Anblick wird sie nie vergessen. Er brennt sich in das Herz ein für immer.

«Ich werde es ihr klarmachen, mein Junge. auch wenn es nicht richtig ist«, fügte sie schnell hinzu, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er sähe wirklich grauenhaft aus.»Vielleicht kannst du Weihnachten sogar nach Hause.«

Sie sagte es, obgleich sie sah, daß es unmöglich war. An seinem Blick erkannte sie, daß er es auch nicht glaubte, aber sich bemühte, sie in diesem Glauben zu lassen.

«Erzähl von zu Hause«, sagte er und faßte wieder die Hände der Mutter.»Erzähl mir von Köln. wie ihr lebt. erzähl mir von Ursel.«

Sie nickte. Er hat neuen Lebensmut, dachte sie glücklich. Ich habe ihn ihm gebracht. Und eigentlich ist alles so, wie es früher war in all den Jahren: Ein kleiner Junge liegt krank im Bett, und die Mutter hält seine Hände und erzählt ihm ein Märchen, bis er glücklich einschläft.

«Es geht uns eigentlich gut«, sagte Frau Schwabe und streichelte Erichs Hände.»Seitdem das Haus zerbombt ist und wir im Keller leben, fühlen wir uns sicher.«

Und sie erzählte und erzählte und sah an den Augen ihres Sohnes, wie tief sein Glück war und wie stark das neue Leben in ihm emporwuchs.

Ursula Schwabe saß noch immer in der Wachstube. Ab und zu blickte sie auf die Uhr an der Wand und preßte die feuchten Hände zusammen. Der Unteroffizier bedauerte sie im stillen und musterte verstohlen ihre Beine in den hellen Seidenstrümpfen. Ein gutgewachsenes Püppchen, dachte er. Alles dran, wovon der Landser träumen kann. Aber nur träumen… verdammt noch mal. Da sitzt sie nun, das Zuckerpersönchen, und weiß nicht, daß ihr Mann wie ein Wesen vom anderen Stern aussieht, 's schade um das Mädchen… und dabei ist's genau die Kragenweite, die man immerfort trösten könnte.

Nach einer Stunde stand Ursula Schwabe auf.»Muß ich hier immer sitzen bleiben?«fragte sie.

«Natürlich nicht!«Der Unteroffizier rückte seinen Uniformrock gerade.»Sie können es sich auch auf meinem Bett bequem machen.«

«Was Besseres fällt Ihnen nicht ein?«

«Das schon. Aber dazu kennen wir uns zu kurz. «Der Unteroffizier grinste breit. Ursula schob die Unterlippe vor und zuckte mit den Schultern.